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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 229 - 254 (1. Oktober 1898 - 31. Oktober 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0403

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Wes Mi. Mittwoch, den 19. October 1898.

MWeWl Jütlttlß.

Die Ankunft des deutschen Kaiserpaares in
Konstantinopel.
Konstantinopel, 18. Oct. Um 7^ Uhr kamen
das rumänische Schiff „König Carol«, die Leuchtschiffe
„Vesta" und „Bohcmia" mit der deutschen Kolonie
an Bord, ein Konstantinopeler Schiff mit den deutschen
Schulkindern und zahlreiche Privatdampfer, alle reich
beflaggt, dem deutschen Geschwader entgegen ge-
fahren, das um 8 Uhr in Sicht kam. Um 8^ Uhr be-
gegneten sich die Schiffe gegenüber von Jedikule. Hinter
der „Hohenzollern" fuhr „Hertha", dann die „Hela" und
schließlich die türkische Jacht" „Jzzedin". Die Mufikcorps
spielten „Heil Dir im Siegerkranz". Stürmische Hurrah-
rufe ertönten; die jubelnden Schulkinder schwenkten ihre
Fähnlein. Der Kaiser und die Kaiserin standen
auf der Kommandobrücke und grüßten ununterbrochen
huldvoll nach allen Seiten. Der Kaiser trug Marine-
uniform, die Kaiserin ein hellrothes Kleid mit weißem
Ueberwurf.
Als das deutsche Geschwader um 8'/^ Uhr an der
Seraiitreppe eintraf, gab „Hertha" 21 Schüsse ab, die
von dem Arsenal von Tophane und den türkischen Stations-
schiffen unter Hurrah- und Jascharnfeu der türkischen
Mannschaften erwidert wurden. Als die deutschen Kriegs-
schiffe sich Dolmabagdsche näherten, hißten sie die
türkische Flagge; die Schiffe, auf denen sich die Mit-
glieder der deutschen Kolonie befanden, defilirten, während
bie Musikcorps spielten, und die Hurrahrufe der Deutschen
erklangen vor den Kriegsschiffen. Der weiße Marmorbau
bon Dalmabagdsche machte trotz seiner gemischten maurischen
und Renaissancearchitektur, vom Sonnenlicht umflossen
und dem blauen Meer umspült, einen märchenhaften
Eindruck.
Die „Hohenzollern" warf gegenüber den kaiser-
lichen Forts Anker, rechts die „Hela", links die „Hertha".
Das Meer war überaus belebt durch Dampfbarkasseu und
Ruderboote. Salutschüsse, Musik und Hurrahrufe ertönten
fortwährend zu dem Platze herüber. An den Treppen der
Landungsstelle standen die kaiserlichen Flügeladjutanten,
rechts seitwärts die Musikkapellen und ein 15 Rotten
starker Zug albanesischer Zuaven der Hof-Leibcompagnie,
links seitwärts zwei 24 Rotten starke Züge der kaiser-
lichen Tuefendschi (Büchscnspanncr) mit der Fahne. Vor
diesen standen der Botschafter Frhr. v. Marschall mit
fämmtlichen Mitgliedern der Botschaft und des Konsulates
in Uniform mit ihren Damen. Anschließend an die Leib-
compagnie die Flügel- und Generaladjutanten bis zum
Landungsquai, auf dem sich die das Kaiscrpaar in Em-
pfang nehmenden Würdenträger, unter ihnen Marschall
Edhem Pascha, versammelt hatten.
Nach 9 Uhr ging die Jacht „Teschrifie" mit dem
Groß Vezier und dem Marineminister Marschall Fuad
Pascha, mehreren Hofwürdenlrägern, den Militärattaches,
Unter ihnen Hauptmann Morgen, zur Begrüßung der
Majestäten im Namen des Sultans vom Ufer ab. Be-
reits 9'/§ Uhr verkündeten Kanonenschüsse, daß das
Kaiserpaar die „Hoh e nz o llern" verlassen habe,
^n diesem Augenblick kam der Sultan in Marschalls-
uniform mit seinen deutschen Orden, begleitet von seiner
^uite, an und begrüßte die Gemahlin des deutschen Bot-
schafters. Als das Galaboot der „Hohenzollern" sich dem
^luai näherte, trat der Sultan auf den Quai heraus und
begrüßte von dort aus freudig bewegt das Kaiserpaar,
Ehe noch das Boot angelegt hatte. Tie Majestäten er-
widerten die Grüße lebhaft. Beim Verlassen des Bootes
Unterstützte der Sultan die Kaiserin und drückte ihr,
* Das Romanfeuilleton findet der Leser im heutigen
weiten Blatt.
3ur Lage der deutschen Fahrrad-Industrie
uußert sich Bürgels Industrie- und Handelsblatt,
welches anerkennt, „daß es im Fahrradhandel ganz be-
denklich kriselt". Die Thatsache des Zusammenbruchs
einiger Fabriken und verschiedener Händler wird als An-
^ung, nicht als Schluß einer rückläufigen Bewegung er-
uchtet. Weiter wendet sich das Blatt gegen die „schranken-
lose" Einfuhr billiger Auslandswaare, zugleich darauf
hinweisend, daß die Gesammtausfuhr von Fahrrädern und
Fahrradtheilen aus Amerika nach Deutschland um etwa
,000 pkt. gestiegen sei. Deswegen sei eine Demorali-
firung des Fahrradhandels festzustellen. Der ursprünglich
*u den Händen solider Händler in Eisenwaaren, Näh-
maschinen u. s. w. liegende Verkauf wurde mit dem Sin-
ken der Preise und der Verschleuderung billigster auslän-
bffcher Auktionswaaren zum Theil von jungen Radfahrern
on sich gerissen, welche weder hinreichende geschäftliche Er-
fahrungen, noch genügende Mittel besaßen, um gute deutsche
Fabrikate verkaufen zu können. Schnell war ein Fahr-
rad-Spezialgeschäft für „echt amerikanische Fahrräder" er-
öffnet, das „zu nie dagewesenen Preisen" nie dagewcsene
"Echt" amerikanische Schundwaare an den Mann brachte.
^Erfolgt nicht bald ein Schutz der deutschen Fahrrad-
industrie durch Erhöhung des Eingangszolles, so geräth
or ganze Fahrradhandel in die Hände von Bazaren und
^aisongeschäften, die, ohne dabei einen eigenen Vortheil zu
haben, zu Handlangern für das Ausland und zu Todten-

sich verneigend, die Hand. Die Begrüßung zwischen
Kaiser und Sultan war sehr herzlich: Beide schüttelten
sich freudig bewegt wiederholt kräftig die Hände. Nach
Vorstellung des Gefolges reichte der Sultan der Kaiserin
den Arm und schritt langsam durch das Spalier der Leib-
compagnien. Kaiser Wilhelm, den Minister des Aus-
wärtigen zur Rechten, den Botschafter Frhrn. v. Marschall
zur Linken, folgte, indem er den Gruß der Truppen, die
unter den Klängen des „Heil Dir im Siegcrkranz" salu-
tirten, erwiderte und ihnen freundlich zunickte. Den
Majestäten schloß sich das beiderseitige Gefolge an, hinter
diesem in dichter Menge Hunderte von türkischen Staats-
und Hofwürdenträgern, Militär- und Hofbeamten durch
die weiten Säle von Dolmabagdsche dem kaiserlichen Zuge
nach bis in den Salon, in den der Sultan seine Gäste
zu kurzem Verweilen führte. Die eine Seite des mit
zahlreichen Gemälden geschmückten, nach dem Meere zu ge-
legenen Salons wurde bald von dem beiderseitigen Ge-
folge und den übrigen Würdenträgern dicht besetzt, während
man auf der anderen Seite genau beobachten konnte, wie
lebhaft und freudig bewegt sich die Unterhaltung beider
Majestäten mit dem Sultan abspielte.
Nach einer Viertelstunde reichte der Sultan wiederum
der Kaiserin den Arm und führte sie zum Kaiserthor
auf der Landseite, wo die vierspännigen, goldstrotzenden
Wagen harrten. Die Kaiserin, der Sultan und Munir
Pascha fuhren im ersten Wagen, der Kaiser, der Groß-
vezir und Fuad Pascha im zweiten, während das Gefolge
und die Mitglieder der deutschen Botschaft in weiteren
dreizehn Wagen nach dem I il diz-Palais, der eigent-
lichen Residenz des Sultans, folgten. Zweihundert Meter
vom Jildizkiosk, der Wohnung des Sultans, ist für das
Kaiserpaar der Merassimkiosk, ein Gebäude, das vierzehn
schöne Gemächer sowie zahlreiche Gelasse für das Gefolge
und die Dienerschaft enthält, erbaut. Das Publikum bereitete
den hohen Gästen einen begeisterten Empfang. Der Sultan
geleitete das Kaiscrpaar nach dem Merassimkiosk und ver-
abschiedete sich dann. Der Kaiser und die Kaiserin er-
widerten alsbald, begleitet von ihrem Gefolge, den Besuch
des Sultans. Hierbei verweilte der Sultan in seinem
Arbeitszimmer mit dem Kaiser und der Kaiserin, sowie
dem Großoezier, Staatsminister v. Bülow und dem Bot-
schafter v. Marschall längere Zeit in Unterhaltung. Der
vom herrlichsten Wetter begünstigte Empfang trug in Allem
den Charakter großer Herzlichkeit.
Der Kaiser und die Kaiserin nahmen dann ein
Gabelfrühstück auf der deutschen Botschaft ein, zu
dem außer dem Gefolge die Mitglieder der Botschaft, der
deutsche Generalkonsul und verschiedene türkische Würden-
träger geladen waren. Nach Aufhebung der Tafel nahm
das Kaiserpaar den Vortrag mehrerer Gesangsstücke von
dem im Garten aufgestellten deutschen Handwerkerverein
entgegen. Darauf erfolgte die Vorstellung einer Deputa-
tion des Handwerkervereins sowie einer Deputation der
unter deutschem Schutz lebenden Schweizer. In der
Erwiderung auf die vom Sprecher Grosholz verlesene und
in künstlerischer Ausstattung überreichte Adresse betonte der
Kaiser, wie er sich über die bisherige Aufnahme freue.
Seine Politik und Beziehung zu der Türkei
sei ganz diejenige seines Großvaters, die jetzt
ihre Früchte trage. Die zwischen ihm und dem Sultan
bestehenden trefflichen Beziehungen beweisen, wie zwei
Reiche trotz der Verschiedenheit in Rasse und Religion in
einem freundschaftlichen Verhältnisse zu gegenseitiger För-
derung stehen können. Nachdem noch die Beamten der
Botschaft und des Generalkonsulats, sowie die in türkischen
Diensten stehenden Deutschen empfangen und d-m musika-

gräbern für die deutsche Fabrikation werden. Die letztere
kann, ohne auf ihren Ruf zu verzichten, nicht ebensolche
Erzeugnisse Herstellen, wie sie uns Amerika und England
schicken. Das Blatt warnt weiter vor dem Ankauf des
gefährlichen ausländischen Schundfabrikats. Ein grelles
Licht auf die angeführten Verhältnisse wird durch mehrere
Meldungen geworfen, die sämmtlich allerneuesten
Datums sind. Die erst vor einem halben Jahre in
eine Aktiengesellschaft mit 1,26 Millionen Mark
Grundkapital umgewandelten Nordstern-Fahrradwerke Pop-
lawsky u. Co. in Lehe sind in Konkurs gerathen. Die
Heß-Fahrradwerke in Mannheim, die im August v. I. mit
500 000 Mk. Kapital errichtet wurden, sind gezwungen,
der am 21. October stattfindenden Generalversammlung
eine Herabsetzung ihres Aktienkapitals vorzuschlagen. Die
bisherigen Direktoren Karl und Theodor Heß sind aus
dem Vorstande ausgeschieden. Nach der Münchener Ztg.
verlautet gerüchtweise, daß die Aktiengesellschaft Freya-
Werke, welche im Frühjahr 1897 in München mit einem
Aktienkapital von 600000 Mark gegründet wurde, ihr
erstes Geschäftsjahr per 31. Dez. mit einer größeren
Unterbilanz abschließen werde. Die Aktien, welche eine
öffentliche Notiz noch nicht haben, waren in den letzten
Tagen mit 75 pkt. angeboten, ohne Käufer zu finden.
Wir fügen hier an, daß Aktien der Nürnberger Gußstahl-
kugelfabrik, welche nach der Gründung mit 175 pkt. ge-
handelt worden waren, kürzlich zu 45 pkt. verkauft
wurden. Es sind jedoch nach den M. N. N. zu diesem
Kurse keine Aktien mehr zu haben, da bei einer Liqui-
dation des Unternehmens, selbst wenn die Maschinen als

lischen Dirigenten des Handwerkcrvereins, Musikdirektor
Kange, der Dank ausgesprochen war, begab sich das Kaiser-
paar zum Besuch der deutschen Schule nach Pera.
Der Sultan verlieh dem Staatssekretär Staats-
minister v. Bülow das Großkreuz des Osm anieordens.

Deutsches Reich.
— Wie aus Alexandrien berichtet wird, enthielt nach
einer amtlichen Feststellung jede der beiden zum Attentat
gegen Kaiser Wilhelm bestimmten Bomben zwei
Pfund Knallquecksilber und 26 Revolverpatronen großen
Kalibers. Die Bomben bestehen aus galvanisirtem Eisen,
das mit Bleidraht umsponnen ist. Die Auffindung der-
selben geschah in dem Magazin eines Italieners. Die
Sprengwerkzeuge waren in einer Kiste verpackt; mit der
Ueberbringung der Bomben nach Jaffa war ein ans Triest
gebürtiger Italiener beauftragt, der auf dem zur Verschif-
fung der Bomben ausersehenen Dampfer Dienst als Kell-
ner genommen hatte. Die gleiche Stellung hatte er sich
in Jaffa im Hotel Bristol verschafft, um die Bomben, un-
auffällig für die Theilnehmcr des Verbrechens, aufzube-
wahren. — In einer Meldung der Daily Mail aus
Alexandrien heißt es, daß Alexandrien der Ort ist,
wo der ganze Abschaum von Südcuropa und der
Auswurf der Levante sich sammeln; es befinden sich dort
viele Italiener, darunter eine Gruppe der gefährlichsten
Anarchisten, die sich in Alexandrien unbemerkt glauben.
Sie haben aber alle dasselbe Versammlungslokal, nämlich
eine italienische Weinkneipe niederer Gattung und da, wie
gewöhnlich, ein Angeber unter ihnen war, konnte der Po-
lizeichef Harrington Bey alle Bewegungen der Anarchisten
verfolgen. Der Führer der Bande ist der Cafetier Ugo
Parrini. Als derselbe vor den italienischen Konsul ge-
bracht wurde, versuchte er diesen anzufallen, und er wurde
nur mit Mühe überwältigt. Da die Verhafteten Italiener
sind, hat allein der italienische Konsul das Verfahren gegen
sie zu leiten und dieser erhält seine Instruktionen von Rom
her. Er hat alle Dokumente in Beschlag genommen.
— Die Novelle zum Invalidität?- und
Altersversicherungsgesetze, wie sie imBundesrathe
in Arbeit genommen ist, wird zwei wichtige Neuerungen
bringen. Einmal wird eine andere Vcrtheilnng der Renten-
last vorgeschlagen. Die Gesammtbelastung aller Anstalten
soll hiernach in eine Gemeinlast und in eine Sonder-
last getheilt werden; für erstere haftet ein als Gemein-
vermögen auszusondernder Theil des Vermögens der
einzelnen Anstalten, für letztere dagegen der Rest des
Vermögens jeder Anstalt als Sondervermögen. Ferner
sollen zum Zwecke der Rentenfestsetzung in der Lokalinstanz
besondere örtliche Organe der Versicherungs-
anstalten errichtet werden, welche auf Grund der von
ihnen vorzunehmenden thatsächlichen Feststellungen unter
Zuziehung von Vertretern der Arbeitgeber und Arbeit-
nehmer über die Gewährung und Entziehung von Renten
selbständig entscheiden.
— Der Reichsanzeiger veröffentlicht die Ernennung des
ehemaligen Hamburger Richters Dr. Gelpcke zum kaiser-
lichen Richter in Kiautschou.
Potsdam, 18. Oct. Im Auftrage der Majestäten
wurde heute Vormittag ein Lorbeerkranz mit weißer Schleife
und den Initialen Ihrer Majestäten am Grabe Kaiser
Friedrichs niedergelegt. Nachmittags legten die kaiser-
lichen Prinzen einen Kranz nieder.
Baden. Karlsruhe, 17. Oct. Man hat sowohl
in den Kammern wie in der Presse stets daran festgehalten,
daß auch nach Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches

Eisen verkauft werden würden, doch durch die Verwerthung
des Terrains auf eine höhere Quote gerechnet wird.

Vermischtes.
— (Der auferstandene Tobte.) Dem Berliner
Lok.-Anz. wird aus Athen geschrieben: Ein merkwürdiger Fall
von Scheintod wird von der Insel Mykonos im Aegäischen
Meere berichtet. Seit einiger Zeit litt einer der Bewohner der
Insel an einer schweren Krankheit, die der behandelnde Arzt als
Typhus bezeichnete. Als eines Tages sämmtliche Verwandte
und Freunde des Kranken sein Bett umstanden, wurde er plötz-
lich bleich, öffnete einige Male den Mund und schloß die Augen,
so daß Jedermann ihn für todt hielt. Die Weiber des Hauses
fingen nach griechischer Sitte an, sich die Haare auszuraufen,
die Männer stießen Jammerrufe aus, und kurz danach erschien
auch der Pope des Ortes, um die vorgeschriebcnen Gebete zu
sprechen. Am nächsten Tage war das ganze Dorf auf den
Beinen, um den Todtcn zu beerdigen. Der Sarg mit der Leiche
stand in der Kirche auf einem Tische, geöffnet, wie es die Landes-
sitte vorschreibt, und die Leichenmesse begann, unterbrochcr allein
von dem Schluchzen der Männer und Frauen. Während der
Pope am Schluffe der Messe die Aufforderung an die Anwesen-
den richtete, dem Todten den letzten Kuß mit ins Grab zu
geben, richtete sich dieser plötzlich aus dem Sarge auf und schaute
ganz verwundert auf das Treiben um ihn her. Kaum hatten
aber Verwandte und Freunde, Fremde und Neugierige den
Todtgeglaubten sich regen sehen, als sie in wilder Flucht die
Kirche verließen, durch ihre Aufregung das ganze Dorf in Panik
versetzend mit den Rufen: „Ein Vampyr! Ein Vampyr!" Nach
griechischem Volksglauben nämlich finden böse Menschen wegen
ihrer Sünden nach dem Tode keine Ruhe im Grabe, sondern
kehren in Gestalt eines Vampyrs in ihre alte Wohnung zurück,
ihre Verwandten quälend und beunruhigend. Der so jämmerlich
im Stich gelassene Bauer, selbst aufs höchste erschreckt über den
ganzen ihm unerklärlichen Vorgang, kletterte nun aus seiner un-
bequemen Behausung und begab sich nach seiner Wohnung.
 
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