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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 229 - 254 (1. Oktober 1898 - 31. Oktober 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0343

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monatlich 50 Pf.
frei in's Haus gebracht.
Durch die Post bezogen
'Vierteljahr!. 1.25
»usscbließlich Zustellgebühr.
Telephon-Anschluß Nr. 82.

Xr. 231.

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Dienstag, -en 4. Octodec

Telephon-Anschluß 'Ar. 82.
1898.

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Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht; durch die Post bezogen Mk. 1.25 vierteljährlich,
mit Zustellgebühr Mk. 1.65.

Politische Umschau.
Heidelberg, 4. October.
Am Sonntag hat in Stuttgart der diesjährige sozial-
demokratische Parteitag mit einem Begrüßungsfest be-
gonnen, das Musik und Männerchöre, Schauturnen und lebende
Bilder, ländliche Reigentänze und rothe bengalische Be-
leuchtung brachte. Es muß doch nicht so übel um die
sozialen Verhältnisse in Deutschland stehen, wenn die
Sozialdemokratie so frohe Feste zu feiern vermag! Von
den Rednern, die auftraten, ließ sich natürlich keiner die
„Zuchthausvorlage" entgehen. Wohl weiß ein Jeder, wie
die Oeynhausener Worte des Kaisers zu nehmen sind, daß
sie sich gegen die terroristische Bedrohung des arbeitswilligen
Arbeiters richten, aber cs paßt der Sozialdemokratie in
den Kram, die Sache so darzustellen, als wenn ein Kampf
um bessere Lohnbedingungen mit Zuchthaus bedroht werden
solle. Wie lange wird dieser Schwindel Vorhalten?
Bei den verwickelten politischen und parlamentarischen
Verhältnissen in Oesterreich ist es nicht leicht, das letzte
Vorkommniß im österreichischen Reichsrath zu verstehen.
Der Thatbestand ist folgender: Graf Thun hat den
Reichsrath zusammenberufen und ihm 22 Vorlagen, die
sich auf die Erneuerung des Ausgleichs mit Ungarn be-
ziehen, vorgclegt. Sofort kamen aber die deutschen Par-
teien mit einer großen Zahl von Dringlichkcitsanträgen,
die nach der Gesetzgebung den Regierungsvorlagen vor-
gehen. Wie man weiß, wollen die deutschen Parteien die
Parlamentarische Maschine nicht eher gehen lassen, als bis
die Badenischen Sprachenverordnungen, die eine Unverschämt-
heit gegen das Dcutschthum bedeuten, aufgehoben sind.
Mit der parlamentarischen Erledigung des Ausgleichs sah
es also äußerst kritisch aus, zumal da für dieselbe nur
noch eine kurze Spanne Zeit zur Verfügung steht. Da
griff nun der verfassungstreue — deutsche — Grundbesitz,
der in der Person des Herrn Bärnreither bis dahin einen
Vertreter im Kabinet besaß, ein. Er stellte auch einen
Dringlichkeitsantrag, aber einen eigenartigen: er beantragte,
daß die Berathung über den Ausgleich allen anderen
Dingen vorgehen solle. Dieser Antrag wurde mit 172
gegen 162 Stimmen angenommen. Sofort brach bei
den Deutschen ein großes Halloh aus und man beschul-
digte den Großgrundbesitz, daß er schändlicherweise den
Deutschen in den Rücken gefallen sei. Merkwürdigerweise
herrscht aber bei der Regierung und den sie unterstützenden
Parteien gar keine Befriedigung, vielmehr zeigen sich dort
Mißmuth und Aerger. Hiernach scheinen jene Stimmen Recht
Iu haben, die da sagten, Graf Thun spekulire darauf, daß
der Ausgleich parlamentarisch nicht erledigt werde; er
ivolle die parlamentarische Erledigung gar nicht, die sehr
schwierig und langweilig sein würde, sondern er wolle die
Sache auf dem Verordnungswege erledigen. Das hätte
er gekonnt, wenn die Deutschen die Berathung der Aus-
gseichsvorlagen hinausgeschoben hätten, jetzt aber könne er
diesen bequemen Weg nicht beschreiten. Auch der Umstand,
daß der oben genannte Vertreter des Grundbesitzes im
Kabinet inzwischen seine Demission gegeben hat, spricht

dafür, daß der Dringlichkeitsantrag des Grundbesitzes dem
Grafen Thun in die Quere gekommen ist.

Deutsches Reich.
— Der Reichskanzler ist aus Baden-Baden wieder
in Berlin eingetroffen.
Baden. Das Gesctzesblatt enthält das Hausgesetz der
fürstlichen Standesherrschaft von Leiningen nach
Aufhebung der agnatischen Verbindung und der gegen-
seitigen Erbfolge mit den beiden gräflichen Häusern von
Leiningen. Derzeitiges Familienhaupt ist Fürst Ernst
Leopold, Gemahl der Prinzessin Marie von Baden,
Schwester unseres Großherzogs. Nur protestantische Fa-
milienmitglieder sind zur Erbfolge zugelassen.
Weinheim, 3. October. Auch die hier abgehaltene
Protestversammlung gegen die „Zuchthausvorlage" wurde
aufgelöst.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
Vice-Oberceremonienmeister am Königlich Preußischen Hofe von
dem Knesebeck das Kommandeurkreuz erster Klasse des Or-
dens vom Zähringer Löwen, dem vr. msä. Eugen Rudel von
Landau das Ritterkreuz 2. Klasse des Ordens vom Zähringer
Löwen verliehen, dem Landgerichtsrath und Vorsitzenden der
Kammer sür Handelssachen in Mannheim, Heinrich Könige,
die Erlaubniß zur Annahme und zum Tragen des ihm verliehe-
nen Kgl. Preuß. Rothen Adler-Ordens 4. Klasse ertheilt.
ÄHIaH
Frankreich. Paris, 3. Oct. Der Matin hat von dem
Berichterstatter des Observer, Strong, weitere Mittheilungen
über Esterhazys Enthüllungen erhalten. Darnach wären
auch sehr hohe Militärs an den Machenschaften gegen
Picquart, die in der Fälschung und Beschlagnahme zweier
an ihn gerichteter Briefe ihren Ausdruck fanden, betheiligt.
Paris, 3. Oct. Der morgige Ministerrath wird sich
nach der Liberts ausschließlich mit der Dreyfus-An-
leg enh eit befassen. Brisson beabsichtigt, seine College»
dafür zu gewinnen, daß sie mit ihm den Kriegsminister
Chanoine ersuchen, die engere Haft, in der Oberstlieutenant
Picquart im Cherche-Midi gehalten wird, endgiltig aufzu-
heben. Brisson ist aber keineswegs überzeugt, daß der
Kriegsminister darauf bezügliche Schritte bei dem Militär-
gouverneur Zurlinden unternehmen wird. — Die Droits
de l'Homme schreiben: Die Behauptung, das „xotit blou"
sei gefälscht, hat einem kaum einstündigen Verhör Picquarts
nicht standgehalten und seine Echtheit ist von Picquart
in so klarer Weise nachgewiesen, daß der mit der Unter-
suchung betraute Offizier auf der Anklage wegen Fälschung
nicht länger zu bestehen wagte. Das Blatt fügt hinzu:
Am Abend der Verhaftung Picquarts sagte ein Minister
zu einem unserer Freunde, gegen Picquart schwebe nicht
nur eine Anklage wegen des „xotit filsu", sondern noch
eine andere, viel wichtigere Anklage, die das scharfe Vor-
gehen der Militärbehörde gegen ihn rechtfertige. — Die
Droits de l'Homme sagen, daß diese viel wichtigere An-
klage auf weiter nichts beruhe, als auf einer ganzen
Sammlung gefälschter Schriftstücke, die Oberst
Henry in das Belastungsmaterial gegen Picquart ein-
geschoben habe. Diese Anklagestücke beschuldigten Picquart
des Lande sverrathes und des Komplottes gegen die
Sicherheit des Staates.
Dänemark. Kopenhagen, 3. Oct. Zur Beisetzung
der Leiche der Königin wird der Kaiser von Rußland
am Freitag erwartet.
Spanien. Daß Spanien darauf gefaßt sein muß, eine
oder vielleicht auch einige der Philippinischen Inseln

an die Vereinigten Staaten von Nordamerika abzutrcten,
ist bekannt. Inzwischen breitet sich auf der Inselgruppe
der Aufstand immer weiter und immer heftiger aus^ Be-
sonders sind die Visayas, d. i. die mittlere Inselgruppe,
davon ergriffen. Die Aufständischen haben jetzt sechs Ge-
schütze und Munition. Sie ermordeten verschiedene Offiziere
nebst ihren Familien. Die spanischen Beamten flüchteten
sich. Der Gouverneur Rios schlägt Reformen vor, die
Regierung hält aber den Augenblick dazu nicht sür ge-
eignet. Sie ist von den Nachrichten sehr niedergeschlagen,
hegt Verdacht, daß dieser neue Vorstoß nicht lediglich ein
Werk der Tagalen sei und klagt die Vereinigten Staaten
an, nichts gsthan zu haben, um dieses Vorgehen der mit
ihnen verbündeten Aufständischen zu verhindern, während
sie die Ueberführung der Garnison von Manila nach den
Visayas-Jnseln untersagten, weil der Status yuo nicht
verändert werden dürfe. Die Regierung beschloß, durch
den französischen Gesandten Cambou eine entschiedene Ver-
wahrung nach Washington zu richten.
Türkei. Konstantinopel, 2. Oct. Der Oberstall-
meister Kaiser Wilhelms, Graf Wedel, sein Leibstall-
meister Plinzner und der dienstthueude General v. Scholl
sind mit Wagen und Pferden hier cingetroffen.
Aus Stadt und Land.
Heidelberg, 4. October.
T Die goldene Hochzeit feiern heute die Priv. Gottfried
Schadt Eheleute, Schloßberg 43 dahier wohnhaft. Herr
Geh. Regierungsrath Pfister überbrachte dem Jubelpaare die
Glückwünsche Sr. Kgl. Hoheit des Großherzogs und überreichte
vor- dem Landesherrn für goldene Hochzeitspaare ge-
stiftete Gedachtnißmedaille; Hr. Oberbürgermeister Dr. Wilckens
brachte Namens der Stadt seine Glückwünsche dar.
O Gewerbegerichts-Sitzung vom 30. Sept. Gegenwärtig
Bürgermeister Dr. Walz als Vorsitzender, Wirth Georg Kühner
und Schreiner Christian Rohrer als Beisitzer und Sekretär Dürr
als Gerichtsschreiber. 1. I. S. des Buchdruckereibesitzers Karl
Hörning gegen den Lehrling Georg Oettinger dahier wurde der
Beklagte verurtheilt, das Lehrverhältniß bei dem Kläger fortzu-
setzen. 2. I S. des Kellner Robert Klein gegen Hoteldirektor
Adolf Hartwig zum Kohlhof wegen Zahlung von 65 Mk. Lohn
wurde oer Beklagte auf Anerkenntniß zur Zahlung von 27 Mk
verurtheilt. Mit der Mchrforderung wurde der Kläger abge-
wiesen. 3. I. S. des Taglöhner Heinrich Koch gegen Glas-
maler H. Beiler dahier wegen Zahlung von 5 Mk. 60 Pfq.Lohn
wurde der Kläger - Widerbeklagte - verurtheilt, an den be-
klagten Widerkläger eine Entschädigung von 7 Mk. 40 Pfg. zu
bezahlen, weil Koch die Arbeit ohne gesetzlichen Grund ver-
lassen hat.
X Besuch. Graf Hatz seidt, der deutsche Botschafter in
London, ist hier emgetroffen und im Europäischen Hof abgestiegen.
Oi Schöffengerichtsfitzung vom 3. Oct. 1) Steinhauer Ferdi-
nand Siebmann erhielt wegen Beleidigung 1 Woche Haft,
2) Taglohncr Robert Wolf hier wegen groben Unfugs eine Geld-
strafe von 10 3) Maurer Konrad Beisel in Ziegelhauseu
wegen Schmähung eine Geldstrafe von 8^. 4) Kutscher Johann
Eck hier wuroe von der Anklage wegen Uebertretung der Droschken-
ordnung freigesprochen, 5) Taglöhner Ludwig Sommer hier
wurde der Anklage wegen groben Unfugs freigesprochen.
6) Die Verhandlung gegen Friedrich Gutmann Ehefrau hier
wegen Beleidigung des Kellners Georg Brenneis hier wurde
vertagt. 7) Kaufmann Rothschild hier wurde von der Anklage
wegen Beleidigung der Ladnerin Anna März hier freigesprochen
8) Kaufmann Adolf Menges und Wilhelm Klein Ehefrau hier
erhielten wegen gegenseitiger Beleidigung eine Geldstrafe von je
10 9) Die Klage gegen Kaufmann Adolf Menges hier wegen
Beleidigung der Elise Merz hier wurde durch Vergleich erledigt.
— Polizeibericht. Ein angeblicher Komiker wurde gestern
wegen Bettelns verhaftet; er konnte seinen Geburtsort nicht
nennen und gab an, vor 50 Jahren in Konstanz von Zigeunern
entführt worden zu sein. Drei junge Kaufleute kamen wegen
Thatlichketten und drei Arbeiter wegen Ruhestörung zur Anzeige.
-i- Aus dem Amtsbezirk Heidelberg, 4. Oct. InSchönau
wurde ein Dteustknccht wegen Vergehens gegen 8 176 Ziffer 2
R.St.G.B. verhaftet. — In Kirchheim wurde in verflossener
Nacht ein 86 Jahre alter Mann Namens Modisch vom Zuge
überfahren und blieb todt.

Nur frisch gewagt.
of Eine heitere Garnisongesctzichre von Hugo Dinkelberg.
(Fortsetzung.)
-...Ob seines Anrempelns mit dem Grasen von, Reuthern
Mutte er sich; daß von Ihm noch keine bestimmte Nachricht
uver sein Eintreffen eingeganqen war, ärgerte ibn; und drit-
tens verdroß es den jungen Cavalier, daß seine Untergebenen
seiner Gesellschaft frühstückten. Nack seinen Begriffen
M militärischer Subordination durste Unterofficieren und
Mannschaften eine solche Freiheit durchaus nickt gewährt
Mden. Dagegen aber mußte er sich sagen, daß es ungerecht
j m würde, die Leute hungern zu lassen, da er doch selbst
urch Pin vorzeitiges Erscheinen der Störenfried der üblichen
oMhstücksstunde gewesen war. „Daß mich auch so die Neu-
s ,X Ragen mußte!" so schalt sich der junge Oificicr jetzt
«wlt auA, „wäre ich wie sonst eine Stunde später auf's
Aureau gegangen, hätte den Grafen nicht angerannt, ich
in/w nicht auf den Obersten zu warten brauchen, ich hätte
„j°>e Neue Mütze nicht beschmutzt — genug, ich hätte mich
I Mtgeärgert und gelangweilt, wie ich mich jetzt ärgere und
;„?^eile. — Und den Henker auch! ich habe ja und das ist
mlls das Schlimmste — die kleine Agnes gar nicht begrüßt!
o->s° w'rd ein nettes Schmollen, nette Gardinenpredigten
Und der Marsch, welchen der junge Osficier auf
Fensterscheiben trommelte, brach Plötzlich ab, die Musik
elte fick in einige kurze, stürmisch gegebene Trom-
^"Pgnale. Dann folgte eine Pause von ungefähr 18 Takten.
^fpwarz!" rief darnach der Offizier, „haben Sie meine
^Mutzlge Mütze schon gesehen?" — „Zu Befehl, Herr
nantl" erwiderte der Gefreite. — „Können Sie das
Nwb ^wder sauber machen?" — „Gewiß, Herr Lieutenant,
Stun^r erst trocken werden, und das wird wohl einige
Abb 2 bauern. Wenn der Herr Lieutenant sofort eine
laus-»"He"' kann ich ja schnell nach Ihrer Wohnung
Ibn? — „Recht so, mein Bursche ist zu Hause und kann
^«wn andere geben, bestellen Sie nur dritte Garnitur!
uut genug bei diesem Regenwetter!" —

Der Gesrettc, glücklich über den erhaltenen Befehl, welcher
ihn dem Bureau und der Anwesenheit des augenscheinlich
nicht sehr gnädigen Herrn Lieutenants wenigstens auf mehrere
Minuten entführte, eilte von dannen. Neidischen Blickes
schaute ihm der Sergeant nach, welcher sich dann an seinen
Schreibtisch setzte, um dort Federn zu prodiren, was gemein-
hin bei dem altgedienken und etwas phlegmatischen Unter-
officier eine halbe Stunde Vorarbeit zu der eigentlichen
Hauptarbeit in Anspruch nahm. Der Adjutant, des Trom-
melns und des Stehens müde, schritt unterdessen im Zimmer
auf und ab und versuchte es die vorhin getrommelte Musik
jetzt auf seiner natürlichen Mundpfeiffe wiederzugeben. End-
lich war ihm auch dies langweilig, die Zeiger an der Uhr
rückten heule für ihn erschrecklich langsam vor, noch fehlte
eine ganze halbe Stunde, bis er das Eintreffen des Herrn
Obersten erwarten konnte, schon war er im Begriff sich ent-
schlossen in das Unvermeidliche zu finden und, was ihm heute
allerdings schwer wurde, an die Fertigstellung einiger in den
letzten Tagen zurückgelegten Arbeiten zu gehen, als plötzlich
die Stubenthür fast ebenso heftig aufgerissen wurde, wie vor
einer halben Stunde von dem Adjutanten, und in derselben
die Figur des gestrengen Herrn Obersten erschien.
Wenn Oificiere und Mannschaften des Regiments ihren
Commandeur meistens den „gestrengen Herrn" oder den „ge-
strengen Alten" nannten, so war damit nur die militärische
Strenge gemeint, mit welcher der Herr Oberst Freiherr von
Stein seinen Dienst that, das Regiment führte und auf strengste
Pflichterfüllung, auf vorzügliche Ausbildung seiner Truppe,
auf Zucht und Ehre hielt. Der Oberst von Stein galt als
einer der besten Cavallerie-Officiere und Regimentscomman-
deure in der Armee, Jedermann wußte das und schätzte ihn
deshalb hoch. Außerhalb des Dienstes aber war der Frei-
herr einer der liebenswürdigsten Cavaliere und von außer-
ordentlicher Gutmüthigkeit und Freundlichkeit. Sein Haus
war ein gastfreies, sein Familienglück ein ungetrübtes, so daß
sich Jedermann glücklich schätzte, welcher von dem liebens-
würdigen Herrn in diese Familie und in dieses Haus ein-
geführt wurde. Im Dienste aber war der Oberst, wie schon

gesagt, streng, am strengsten gegen sich selbst, weshalb der
Lieutenant v. Seckendorf und der Sergeant nicht wenig er-
staunt waren, als der Oberst, was er sich sonst nie gestattete,
im offenen Ueberrock in das RegimentSbureau eintrat.
(Fortsetzung folgt.)

Stadttheater.
xlx Heidelberg, 4. October.
„Des Meeres und der Liebe Wellen", von Grill-
parzer. Erster theatralischer Versuch der Fräulein Maria
Heinrich.
Das süße Gedicht vom Leid der Liebe ist auch das süßeste
Gedicht der naiven Jugend. Kaum „Romeo und Julie" ist es
so sehr, wo die Leidenschaften, die Tragik gewaltiger, wuchtiger
daherstürmen. Bis in die Tragik hinein bleibt bei Grillparzer
ein Hauch von Jugend, von Frühling über die zarte dramatische
Dichtung gebreitet, die selbst der tödtende Eiseshauch eines un-
erbittlichen Schicksals nicht ganz verscheucht. In dem gelassenen
Behagen der Lectüre will die subtile Feinheit des Werkes ge-
nossen sein oder in einer Musterausführung, in der Alles, Dar-
stellung wie Scene, sorgfältig und liebevoll auf die Zartheit
desselben abgestimmt sind.
Sonst scheint leicht das an Vorgängen und scharfer dramati-
scher Bewegung arme Bühnenstück träge und einförmig an dem
Hörer vorbeizuschleichen.
Es gehört daher nicht zu den vom großem Publikum gerade
gesuchten Stücken. Bei uns hat es merkwürdiger Weise immer
sein Publikum gefunden, seit der glücklichen Wachner-Entdeckung,
die man ihm verdankte. Thatsächlich ist es offenbar zum ports-
bonbaur auserkoren, zum Herold für die Jugend.
Gestern hat es wieder einem reichen Talent die eiste Prägung
verliehen.
Frl. Maria Heinrich, die, sozusagen, in den Räumen
des Theaters ausgewachsen ist, hat als blutjunge Novize den
hier sehr nahe liegenden und doch so gewagten Schritt auf die
Bühne gethan.
 
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