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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 150 - 175 (1. Juli 1898 - 30. Juli 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0031

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Kkitag, de« 8. Juli

1898

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>i-. 158.

Wochenchronik.
(Vom 26. Juni bis zum 2. Juli.)
-6uni 26.: Das spanische Geschwader unter Camar a, daS
für die Philippinen bestimmt ist, trifft in P ort-Said
ein.
» 27. :ES finden die letzten Stichwahlen zum Reichstag
statt. Das Gesammtergcbniß ist, daß die Sozialdemo-
kratie auf 2 125 000 Stimmen und 56 Mandate kommt,
das Centrum zwar auf 1330 OVO Stimmen zurückgeht,
aber 104 Mandate erhält, die Nationalliberalen 50
Mandate bei der erhöhten Zahl von 1160 000 Stimmen
erhalten, die Freisinnigen an Stimmen etwas verlieren,
die Zahl ihrer Mandate aber behaupten, mit Ausnahme
der süddeutschen Volkspartei, die erhebliche Verluste er-
leidet. Die Konservativen büßen an Stimmen und
an Sitzen ein. Die Antisemiten verlieren einige
Sitze.
,, 28.: In Frankreich kommt ein republikanisches radikales
Ministerium Brisson zu Stande.
,, 29.: In Italie u kommt ein Ministerium unter General
Pelloux zu Stande.
"OUli l. :Die Amerikaner greifen, von ihrer Flotte unter-
stützt, Santiago de Cuba auf der Landseite an
und dringen trotz dem heftigen Widerstand der Spanier
bis dicht an den Ort vor.
» 2.: Die Kämpfe bei Santiago werden fortgesetzt.

Deutsches Reich.
Berlin, 7. Juli.
Aus O d de, 7. Juli, wird berichtet: Der Kaiser
Mottete vorgestern dem norwegischen Panzerschiffe „Harald
Haarfagcr" einen Besuch ab. Als der Kaiser das Schiff,
das die Kaiserflagge gehißt hatte, betrat, wurde von allen
Schiffen der Kaisersalut gegeben. Der Kaiser begab sich
sodann an Bord des Kadettenschulschiffes „Moltke". Der
Kommandant der „Harald Haarfager", Johannsen, und
der erste Offizier des Schiffes, Berglund, sowie der Nord-
polfahrer Skott Hansen wurden vom Kaiser zum Früh-
stück geladen. Die Enthüllung des Denkmals für den im
vorigen Jahre verunglückten Lieutenant von Hahnke findet
wahrscheinlich heute statt.
— Als Depeschen boote auf der Nordlands«
reise des Kaisers fungiren zwei sehr schnelle Torpedo-
boote der vorletzten Serie von 8-Booten; dieselben haben
Wilhelmshaven bereits verlassen, um an der norwegischen
Küste mit der Hohenzollern zusammenzutreffen.
— Auch wir haben vor einiger Zeit die Nachricht
wiedergegebcn, daß auf der letzten Tagung der deutschen
Burschenschaften in Eisenach die Absendung eines
Begrüßungstelegramms an den Kaiser deshalb ab ge-
lehnt worden sei, weil auf frühere Begrüßungstelegramme
vom Kaiser niemals eine Antwort erfolgt sei. Die
Burschenschaftlichcn Blätter bringen jetzt folgende ausführ-
liche Mittheilung:
Die Thatsache ist richtig. Unseres Wissens bleibt die gelegent-
liche Bevorzugung der Corps durch den deutschen Kaiser ganz
außer Betracht. Dem alten Corpsburschen Bismarck hat die
deutsche Burschenschaft in keinem Augenblick ihre Liebe und Ver-
ehrung versagt. Einziger und zwar unseres Erachtens völlig
stichhaltiger, weil natürlicher Grund ist das verschiedentlich
beobachtete Ausbleiben einer Antwort des Kaisers auf ein Be-
«rüßungstelegramm des A. D. C. Möglich ist ja, daß dem
Kaiser das Telegramm des A. D. C. von seiner Umgebung oder
von dem die Zuschriften sichtenden Beamten gar nicht zugestellt
worden ist, möglich auch, daß der Kaiser nicht den hinreichenden
Werth auf die Begrüßung legt, um eine Antwort zu veranlassen,
jedenfalls entspricht es für die Burschenschaften des A. D. C.
den Geboten des öffentlichen Taktes und des gesunden Menschen-
verstandes, mit ferneren Begrüßungstelegrammen nicht an den
Kaiser heranzutreien. Die unerschütterliche Liebe zu Kaiser und
Reich wird durch den ziemlich belanglosen Vorgang bei der deut-
schen Burschenschaft nicht im geringsten berührt; mit ihrer treuen
Mitarbeit an den vaterländischen Aufgaben weiß sie sich in Herz
und Sinn ganz eins mit Kaiser Wilhelm H-, dessen ideale That-
kraft sie aufrichtig bewundert und verehrt, und so wird sich schon

l mit der Zeit eine Gelegenheit finden, wo man von dem über die
deutsche Burschenschaft von einst und jetzt schlecht unterrichteten
Kaiser an den besser zu unterrichtenden Kaiser appelliren kann.
Die Burschenschaft hat mit dieser Ausführung einen
durchaus correcten und vornehmen Standpunkt einge-
nommen.
— Von dem noch nicht erschienenen Neudruck des ein-
gestampften vierten Bandes des Poschinger'schen Buches
„Fürst Bismarck und der Bundesrath" sind den
Berl. Reuest. Nachr. die Aushängebogen mitgetheilt wor-
den. Darin lautet nunmehr der Abschnitt über den
bayerischen Grafen Lerch en feld, gründlich verändert,
wie folgt:
Derselbe führt in allen Bundesrathsverhaudlungen, zu welchen
nicht ein bayerischer Minister nach Berlin kommt, die bayerische
Stimme; außerdem Pflegt derselbe in den Fällen, in denen der
regelmäßige Vorsitzende des Bundesraths am Erscheinen ver-
hindert ist, mit dem Vorsitz im Plenum des Bundesraths betraut
zu werden. Bayern führt außerdem in dem aus den Bevoll-
mächtigten der drei Königreiche und zwei alljährlich vom Bundes-
rach zu wählenden Bevollmächtigten anderer Bundesstaaten ge-
bildeten Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten den Vor-
sitz. Die Ausübung dieser Funktion ist allerdings dem gegen-
wärtigen bayerischen Gesandten erspart geblieben, weil sich seit
1879 ein Modus herausgebildet hat, der ganz dasselbe erzielt
und sich in praxi besser durchführen läßt: die Mittheilung
iuleressirender politischer Berichte auf diplomatischem Wege an
die einzelnen Bundesregierungen. Man ist in einzelnen Kreisen
über die Stellung, welche der bayerische Gesandte im Bundes-
rath einnimmt, nichtgehörig unterrichtet, und ich selbst habe
als Fernstehender bis vor kurzem ein unzutref-
fendes Urtheil darüber gehabt. Den Mittheilungen
einer mit den einschlägigen Verhältnissen wohlvertrauten Persön-
lichkeit entnehme ich Folgendes: Graf Lerchenfeld widmet sich
mit Eifer den Arbeiten in den Ausschüssen des Bundesraths, in
denen ja der Schwerpunkt für die Arbeiten dieser Körperschaft
ruht. Er erscheint dort niemals, ohne vorher über alle zur Ver-
handlung gelangenden Gegenstände von den übrigen bayerischen
Bevollmächtigten zum Bundesrath Vortrag entgegengenommen zu
haben. Außerdem hat er selbst ein nicht unbedeutsames Referat
in dem wichtigen Ausschüsse des Bundesraths, dem für Handel
und Verkehr, übernommen, dessen er sich mit Geschick und Sach-
kenntniß entledigt. Es kann die Aufgabe des bayerischen Ge-
sandten nicht sein, alle im Bundesrath zur Verhandlung kommen-
den technischen Fragen über Militär-, Zoll-, Steuer- und Justiz-
wesen zu beherrschen oder gar zu erledigen. Dafür steht ihm
eben sein aus den tüchtigsten bayerischen Verwaltungsbeamten
gebildeter fachmännischer Generalstab zur Seite. Im Parlament
tritt er allerdings selten hervor, er ist kein Debatter. Wenn er
aber im Reichstag Erklärungen abzugeben hat, so zeichnen sich
dieselben durch Rundung und Klarheit aus. Als seine Domäne
betrachtet der Gesandte den Verkehr mit dem Auswärtigen Amte,
und er fördert damit die politische Seite seiner umfassenden
Aufgabe: das gute Verhältniß zwischen Bayern und dem Reiche.
— Neber das Befinden deS Fürsten Bismarck be-
richten die Leipz. N. Nachr., der Appetit des Altreichs-
kanzlers sei fortgesetzt zufriedenstellend, die Pfeife schmecke
ihm andauernd vortrefflich, auch Bier und Wein, doch
werde sich sein Wunsch, einen Theil des Sommers in
Varzin zu verleben, kaum verwirklichen lassen.
— In Hamburg ist es einem sozialdemokra-
tischen Terrorisirungsversuche gegenüber, der sich
gegen eine Anzahl Arbeitgeber dortselbst richtet, zu einem
solidarischen Zusammenstehen der Arbeitgeber in den ver-
schiedensten Gewerben gekommen, das allen bürgerlichen
Parteien nur zum Nachahmung empfohlen werden kann.
Von Seiten der sozialdemokratischen Führer war ein
Streik der Bäcker g e selten inscenirt worden, bei dem
es sich in der Hauptsache um eine nach dem Gutdünken
der Streikführer anzuordnende Regelung der Arbeitsver-
hältnisse handelte. Als sich der Streik als nutzlos erwies,
proklamirte das sozialdemokratische Gewerkschaftskartell in
Hamburg den Boykott gegen die Bäckereien und stem-
pelte die Angelegenheit ähnlich wie vor ein paar Jahren
den Bierboykott in Berlin zu einer Machtfragc zwischen
dem Arbeitgeberthum und der Sozialdemokratie. Wie bei

dem Berliner Vorgehen bildet auch in Hamburg die For-
derung der Sozialdemokraten, daß nur dem unter sozial-
demokratischer Leitung stehenden Arbeitsnachweis der
Bäckergesellen die Arbeitskräfte sollen entnommen werden
dürfen, einen Hauptpunkt in dem Kampfe. Hamburg ver-
fügt indessen über eine Organisation der Arbeitgeber, den
„Arbeitgeberverband", welche eine feste Grundlage für einen
Zusammenschluß derselben abgibt. Ohne Zögern ist jetzt
dieser Arbeitgeber-Verband in Thätigkeit getreten und hat
in einer Generalversammlung die Gründung eines Streik-
Abwehr-Fonds beschlossen. In einem Aufruf, welcher die
Bedeutung und Tragweite des Vorgehens der Sozialdemo-
kratie klarstellt, hat sich der Arbeitgeber-Verband an die
Bürgerschaft Hamburgs gewandt, um sie zu einer Unter-
stützung dieser Abwehr-Maßregel aufzufordern. Eine lange
Reihe der angesehensten Firmen außerhalb der Bäcker-
branche hat sich dem Aufruf angeschlossen, so daß schon
jetzt die Solidarität der Arbeitgeber in Hamburg gegen-
über dem Terroris mus der Sozialdemokratie festgestellt
werden kann. An einem Erfolge dieses Vorgehens ist
kaum zu zweifeln.
Bade». In der Bad. Landesztg. geben die konser-
vativen Herren Keerl und Abg. Kirchenbauer eine
kurze, aber scharfe Erklärung gegen den Ton ab, welchen
die Bad. Landpost gegen sie üngeschlagen hat. Sie be-
dauern, daß die conservative Partei sich also publicistisch
vertreten lassen müsse.
L. 6. Karlsruhe, 5. Juli. Die Petitionskom-
mission der Zweiten Kammer beantragte, die Petition der
Städte der Städteordnung betr. die Berechtigung
der O b e r r e a l s ch u l en der Regierung zur Kennt-
nißnahme zu überweisen. In der Petition wird be-
kanntlich die Regierung ersucht, 1) den Oberrealschulen die
von Preußen und anderen Staaten bereits zugestandenen
Berechtigungen zu gewähren, 2) bis zu dem Zeitpunkte,
in welchem dieselbe diesem Ersuchen (1) nachgekommen ist,
und die von reichswegen zu regelnde Zulassung der Abi-
turienten der Realmittelschulen zum Studium und zur
Ausübung der praktischen Heilkunde statlgefunden hat, die
Einführung des wahlfreien lateinischen bezw. griechischen
Unterrichts an allen Realmittelschuleu zu genehmigen und
namentlich in Abänderung der Verordnungen vom 3. April
1894 und 27. März 1895 den Abiturienten der Oberreal-
schulen bezw. Realgymnasien die Ablegung der Ergänzungs-
prüfung an den von ihnen absolvirken Anstalten gleichzeitig
mit der Ablegung der regelrechten Reifeprüfung zu gestatten.
Die von den technischen Staatsbeamten gegen die
Petition erhobene Gegenvorstellung wurde durch
den Kommissionsbeschluß für erledigt erklärt.
Preußen. Es wurde beabsichtigt, in Posen einen
Kongreß polnischer Aerzte abzuhalten. Da aber die Re-
gierung erklärte, sie würde die zum Kongreß kommenden
fremden Polen ausweisen, wurde der Kongreß nach Krakau
verlegt.
— Auf den preußischen Bahnen werden unverpackte
Zweiräder mit Schnellzügen grundsätzlich vom 1. Sept,
ab nicht mehr befördert. Der Tourist, der streckenweise
die Bahn benutzen, oder den Ausgangspunkt für seine
Radfahrt mit der Bahn erreichen will, muß also den
Personenzug benutzen. Herrlich!

Aus der Karlsruher Leitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
Königlich Preußischen Hauptmann a. D. Hans Freiherrn von
Meyern-Hohenberg das Ritterkreuz 2. Klasse mit Eichen-
laub des Ordens vom Zähringer Löwen verliehen, die Bezirks-
steuerinspektoren Friedrich Werber in Villingen und Valentin
Kirch banrin Hornberg zu Obersteuerinspektoren, sowie die Be-

Em Griff in's Leben.
15) Novelle von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung.)
- „Ich danke Dir, Eva," stammelte er. „Ach, warum bist
Du nicht früher gekommen? Warum habe ich mich nicht zu
^ir geflüchtet, als es noch Zeit dazu gewesen wäre?"
Bestürzt und verwirrt hatte Eva ihre Hände frei gemacht,
und mit brennendem Gesicht war sie rasch aufgestanden, wie
wenn sie sich dadurch gegen alle weiteren derartigen Dankes-
außerungen schützen wollte. Auch Herbert schien jetzt be-
troffen darüber, daß er sich soweit batte hinreißen lassen, und
der Professorin, die dem ganzen Vorgänge mit wachsendem
Erstaunen gefolgt war, konnte die Verlegenheit der beiden
jungen Leute so wenig entgehen, daß sie sich gedrängt fühlte,
lhr mit raschem Entschluß ein Ende zu machen.
.. Sie warf einen Blick auf ihre Taschenuhr und sagte, indem
ne sich erhob:
„Es ist Zeit, Eva, daß wir Frau von der Recke aussuchen,
wenn wir nicht Gefahr lausen wollen, sie zu verfehlen. Wann
Werden wir Dich Wiedersehen, Herbert?"
„Ich fürchte, daß ich mich nicht früher als am Abend frei-
machen kann, liebste Mutter. Aber ich werde selbstverständ-
Uch so frühzeitig zu Euch eilen, als es mir nur immer mög-
lich ist. Ich finde Dich doch in Deinem alten Absteige-
quartier?"
„Bei der Pastorin Holmfeld — ja! Ich erwarte Dich
bestimmt um acht Uhr zum Thee. Auch Herr Doktor Lindner
Wird da sein. Ich habe ihn soeben brieflich um seinen Be-
such gebeten, und ich zweifle nicht, daß er kommt."
.Ueber das Gesicht des jungen Malers flog ein Schatten.
„Ich hatte allerdings gehofft, diesen ersten Abend mit Euch
allein zu verbringen," sagte er, sichtlich unangenehm berührt,
und als die Professorin mit etwas unaufrichtigem Erstaunen
äußerte, daß sie geglaubt habe, durch diese Einladung seines
Jugendfreundes, der auch ein Jugendfreund Eva's war, nur

x seinen Wünschen zu entsprechen, erwiderte er, ohne sie an-
zusehen:
„Lindner und ich, wir haben uns in der letzten Zeit nicht
mehr so recht verstanden, und es wäre für den Bestand
unserer Freundschaft vielleicht ersprießlicher, wenn wir uns
eine Zeit lang etwas seltener sähen."
„Sinn, ich hoffe, daß sich die Mißverständnisse beseitigen
lassen werden. Und überdies war ich schon Eva diese
Einladung des Doktors schuldig. Du weißt, wie sehr sie ihn
schätzt."
Die Falte zwischen Herberts Augenbraunen wurde noch
tiefer; aber er sagte nichls weiter, und als er die Damen zur
Thür begleitete, wiederholte er sein Versprechen, Pünklich zu
erscheinen. Sobald er sich aber wieder in seinem Atelier
allein sah, warf er sich schwer in einen Sessel und starrte mit
düsterem Blick auf sein neues Bild.
„Wie recht sie batte!" murmelte er. „Jedes ihrer Worte
gab meine innersten Empfindungen wieder. Ja, es war alles
nur ein Jrrthum, ein unseliger, verhängnißvoller Jrrlhum!
— Und zu denken, daß es nun zu spät ist, mich von ihm zu
befreien — daß ich unwiderruflich verurtheilt sein soll, mein
Leben lang diese grausame Kette zu schleppen! — Ah, es ist,
um den Verstand darüber zu verlieren!"

Als die beiden Freunde Abends am Theetische der Pro-
fessorin zusammentrafen, war die Begrüßung von Setten
Lindners herzlich und unbefangen wie immer, während es
Herbert trotz seines unverkennbaren Bemühens nicht gelingen
wollte, den alten vertrauten Ton wiederzufinden. Auch blieb
er während der ganzen Dauer ihres Beisammenseins aus-
fallend schweigsam und in sich gekehrt. Seine Blutter war
wohl die Einzige, die es bemerkte, wie seine Augen, sobald
er sich unbeobachtet glaubte, immer nur an Eva's lieblichem
Antlitz hingen, und wie seine Stirn sich jedesmal finster be-
wölkte, wenn das junge Mädchen dem interessanten Geplauder
des Doktors mit besonderer Aufmerksamkeit folgte oder dell
und fröhlich über eine seiner witzigen, treffenden Bemerkungen
lachte.

Endlich schien ihm die Rolle, zu derer selbst sich hier ver-
urtheilt batte, ganz unerträglich zu werden, denn zu unge-
wöhnlich früher Stunde schon stand er plötzlich auf, um sich
mit der Erklärung, daß er müde und angegriffen sei, zum
Aufbruch zu rüsten. Augenscheinlich Härte er den Heimweg
am liebsten allein gemacht; aber es wäre einer Beleidigung
gleich gekommen, wenn er auf Lindners Erbieten, ihn zu be-
gleiten, mit einer Ablehnung geantwortet hätte. So schritten
sie denn zehn Minuten später Seite an Seite durch die frost-
klare Winternacht dahin, nachdem Herbert von seiner Mutter
und namentlich von Eva einen seltsam hastigen und frostigen
Abschied genommen. Da Herbert nicht geneigt schien,
seinerseits die Unterhaltung zu eröffnen, brach der Doktor
zuerst das Schweigen und fing an, von den Eindrücken des
eben verlebten Abends zu sprechen. Dabei schien es ihm
allerdings einzig um das Lob Eva's zu thun zu sein, denn
alles, was er sagte, bezog sich auf sie, und mit einer Wärme,
die bei dem kühl und kritisch veranlagten Manne selten genug
war, wußte er ihre Vorzüge zu rühmen. Lange hörte ihm
Wallfried zu, ohne ibn zu unterbrechen; Plötzlich aber blieb
er stehen, und sein Gesicht nahm einen erschreckend düsteren
Ausdruck an, während er sagte:
„Weßhalb erzählst Du mir das alles, Rudolf? Es ist ja
zwischen uns nicht mehr alles, wie es einst gewesen, aber ich
brauche deßwegen doch wohl noch nicht anzunehmen, daß es
Deine Absicht ist, mich mit vollem Bewußtsein zu quälen.
Eigentlich hätte ich ja viel eher einen Anspruch auf Deine
Dankbarkeit, da ich Dir so bereitwillig den Weg zum Glück
frei gemacht habe."
„Den Weg zum Glück? Du mir? Wie soll ich das ver-
stehen ?"
„Ah, Du verstehst mich gut genug. Hältst Du mich denn
für so kurzsichtig, daß ich nicht hätte wahrnehmen sollen, wie
es um Dich und Eva steht? Ich mißgönne Dir Deinen Er-
folg ja nicht, aber es hieße doch, mir Uebermenschliches zu-
zumuthen, wenn Du verlangtest, daß ich mich unbändig da-
rüber freue."
 
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