Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 176 - 202 (1. August 1898 - 31. August 1898)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0199

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Erscheint täglich,
sonntags ausgenommen.
Preis
wit Familienblättern
, Monatlich SO Pf.
'lei in's Haus gebracht,
^«rch die Post bezogen
,, ^dierteljährl. 1.25
schließlich Zustellgebühr.
^evhon-Anschlnß Nr. 82.

HkiLellicrlikl MW

JnsrrtionsgeLühr
15 Ns. für die Ispaltige
Petitzeile oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts- und
Privatanzeigen bedeutend
ermäßigt.
Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäule«.

Telephon-Anschluß Nr. 82.

Ar. 198.

Mittwoch, dc» 24. August

1898.

Deutsches Reich.
Berlin, 23. August.
- -- In der ersten öffentlichen Versammlung des Kre-
L „Katholikentages" gedachte in der einleitenden
°°e der Präsident Frhr. v. Frey berg auch der hervor-
. Senden Todten der katholischen Welt des letzten Jahres,
Münchener Erzbischofs Thoma, des frühern bay-
tAn Kammerpräsidenten Frhrn. v. Ow, und fügte fol-
Nachruf für den FürstenBismarck hinzu:
^nn wir unserer Todten gedenken, dann fällt auch unser
d-,., "feinen andern großen Todten, der durch Anfeindung
tz« ^Hoffschen Kirche uns geholfen hat zur angesehenen
MNg des Centrums im Leben Deutschlands. Wir haben
Lg^eht zu thun mit den staatsmännischen Verdiensten des
H Eßen Bismarck, wir haben es nicht zu thun mit seinen
H.Insten um die lang ersehnte Einigung des deutschen
r kes, nicht mit den Verdiensten, die sich Fürst Bismarck
°^en dadurch, daß er das deutsche Volk wieder geachtet
'.'.ein, wir wollen nur einen Blick werfen auf sein
de,, N "W katholischen Kirche. Es sei fern von mir,
Vorhang wegzurolleu von den Scenen des traurigen
"Kampfes, aber einen Blick dürfen wir werfen auf
gjj .Abschluß jenes Kampfes, der für uns Katholiken,
8ebx bs entgegen der Absicht derjenigen, die ihn ins
gerufen, segensreich geworden ist. Der eiserne Kanzler,
^W^"jtstegesgewohnter Faust rütteln wollte an den

Bestellungen
auf die Heidelberger Zeitung für den Monat September
Werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
fMnten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
Spedition, Untere Neckarstraße N-. 21, angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
Sebracht; durch die Post bezogen für den Monat
September, wenn am Schalter abgeholt, 42 Pfg., für
Zustellgebühr 15 Pfg. mehr.
Neu eintretenden Abonnenten liefern wir das Blatt
^Wunsch bis Ende dieses Monats gratis._
Wochenchronik.
. (Vom 14. bis zum 20. August.)
^ug. 14.: In Ischl, wo sich der österreichische Kaiser aushält,
finden Konferenzen zwischen österreichischen
und ungarischen Staatsmännern über die Er-
neuerung des Ausgleichs zwischen Oesterreich und
Ungarn statt. Dieselben sollen später in Pest fort-
gesetzt werden.
1b.: Marschall Blanco, der bisherige spanische Gouver-
neur in Cuba, hat seine Entlassung gegeben, weil er
die Räumung Cubas nicht leiten will.
° 16.: Die am e r i k a n i s ch e n Blätter halten sich darüber
auf, daß ein deutsches Kriegsschiff den
General Augustin von den Philippinen nach Hong-
kong gebracht hat. Es stellt sich jedoch heraus, daß
Augustin schon seit einigen Tagen nicht mebr Gouver-
neur war und daß er im Einverständniß mit dem
amerikanischen Admiral mit seiner Familie die Reise-
gelegenheit auf dem deutschen Schiff benutzte.
» 17.: Zn England erhofft man von der Ernennung des
bisherigen amerikanischen Botschafters in London, Hay,
zum Staatssekretär des Auswärtigen, viel für eine
englisch-amerikanische Allianz, die besonders
in Ostasien wirksam sein soll.
" 18.: Die amerikanische Regierung plant den Bau von
15 neuen Kriegsschiffen und will auch das stehende
Heer beträchtlich vermehren. Der glückliche Krieg mit
Spanien hat die Vereinigten Staaten in eine Hurrah-
Stimmung gesetzt, unter deren Einfluß eine expansive
auswärtige Politik der Vereinigten Staaten nicht un-
wahrscheinlich ist. "
' M.: Der Kaiser stattet Mainz einen Besuch ab, wo er
sehr herzlich empfangen wird.

Institutionen unserer katholischen Kirche, hatte sich über-
zeugen müssen, daß seine sonst erprobte Staatskunst zer-
schellen mußte an der Einheit, Einigkeit und Glaubens-
treue des katholischen Volkes. (Stürmischer Beifall.) Aller-
dings erst nachdem er sich überzeugt hatte von den Folgen
jenes unseligen Kampfes, hat er den bei seinen Gegnern
anerkennenswerthen Muth gefunden, Einkehr zu halten von
jener zuerst betretenen falschen Bahn. (Lebhafte Zustim-
mung.) Er hat uns den Frieden allerdings nicht zu
schaffen vermocht, aber er hat uns einen Zustand verschafft,
den Seine Heiligkeit als Zugang zum Frieden bezeichnet
hat, und wer weiß, wenn er länger im Amte geblieben
wäre, ob er nicht auch durch die Reste jener unseligen
Gesetze, z. B. durch das Jesuitengesetz, mit langem Blei-
stift einen dicken Strich gemacht hätte. (Sehr richtig! Viel-
sacke Zustimmung.) Und da lassen wir alle Gedanken des
Hasses und der Bitterkeit jenem Manne gegenüber heute
zurücktrcten." So der bayrische ultramontane Edelmann
über den todten Bismarck. Vergleicht man damit die
kurzen am gleichen Tag gefallenen bezeichnenden Worte
des preußischen Pfarrers Schürmann-Hochfeld:
„Selbst der größte Feind des CentrumS, der
große Hasser, ist ins Grab gesunken, ohne daß er
das Centrum hat stürzen können", so sieht alle Welt
wieder ziemlich deutlich, wie hart im Rahmen der Cen-
trumsfraktion weitsichtige vornehme politische Denkungsart
und Volksgunst haschende verhetzende Demagogie beieinander
wohnen. Die Frage, weßhalb Bismarck den Kulturkampf
nicht zu Ende durchführte, wollen wir hier nicht näher er-
örtern, sondern nur kurz bemerken, daß Bismarck sich ver-
anlaßt sah, mit dem Centrum Fühlung zu nehmen, weil
der Freisinn ihn in der Zoll- und Wirthschaftspolitik im
Stiche ließ. Daß indessen Bismarck das Jesuitengesetz
aufgehoben hätte, wenn er länger am Ruder geblieben
wäre, ist nur eine vage bis jetzt in keinerlei Weise ge-
stützte Vermuthung.
— Die Köln. Volkszeitung erzählt, daß im Jahre 1890 sich
ein We ch se l in der Stellung des Kaisers zu Windthor st
vollzog, dessen Plötzlichkeit vielfach aufgefallen ist. Ueber die
Veranlassung seien damals verschiedene Vermuthungen rundge-
gangen, ohne daß Bestimmtes an die Oeffentlichkeit drang. Der
Kaiser habe Windthorst als einen zielbewußten Feind des
Hohenzollernhauses betrachtet. Diese Auffassung sei aber
durch einen Zwischenfall, welcher mit der Geldspende des
Prinzregenten Luitpold für die Windthorstkirche in Hanno-
ver in Zusammenhang stand, so gründlich erschüttert
worden, daß der Kaiser in der Folgezeit ander Loyalität
und vornehmen Gesinnung Windthorsts nicht mehr den
leisesten Zweifel hegte. In weich schmeichelhaften Formen
sein Respect vor dem „Welfen" bet der Krankheit und
nach dem Tode Windthorsts in die Erscheinung trat, ist
noch in voller Erinnerung. In Ergänzung dieser Aus-
lassung sei noch daran erinnert, daß im Frühjahr 1890
der Kaiser dem Fürsten Bismarck verbieten wollte, mit
Windthorst zu verkehren, was Bismarck sich natürlich nicht
gefallen ließ.
— Die Nationalzeitung schreibt: „Im Heeresetat für
1899 stehen, wie zuverlässig verlautet, sehr beträchtliche
Mehrsorderungen bevor. Die Neubildung eines
Armeekorps mit dem Sitze in Mainz, von der schon
mehrfach die Rede war, scheint von der Militärverwaltung
endgiltig in Aussicht genommen zu sein. Ferner sind er-
hebliche Neuorganisationen bei der Artillerie zu erwarten,
und auch die Bildung der dritten Bataillone bei den neuen
Infanterie-Regimentern, welche anläßlich der Umwandlung
der Caprivischen Halb-Bataillone in ganze Bataillone zu-

Heimtehr.
Erzählung von Paul Blitz.

« (Fortsetzung.)
schritt er weiter, und mit lechzenden Behagen
reine, gesunde Luft em- Plötzlich dachte er an
einen Emmy. Schön war sie nicht, aber interessant. Und
Er snn^ben Lug hatte sie im Gesicht, dicht um den Mund.
M in > was sie wohl Trübes erfahren haben mochte,
8ni>n° ew bitterer Zug sich ins Gesicht eingraben konnte,
stv ar«?"- "ssMe er an sie denken. Wie schwer es doch so
^lten ? S Mädchen hatte, sich in die Launen und Gewohn-
„.vLwoer Menscken schicken zu müssen. Daher mochte
nnfUch der herbe Zug im Gesicht kommen.
r^nmal horchte er auf.
Bebiia s^r wurde geöffnet.
lu. dreht er sich um und ging auf das Haus
Achten Schatten der Laube aus konnte er ungesehen be-
^ll^gAkj. Emmy, im weißen Gewand, sah heraus. Der
iaq »m leuchtete auf ihr Gesicht. Ein bitterer Zug
Aktien Mundwinkel, und in den Augen glänzten
schaute Karl hinauf. Was hatte sie so
dj/gaE erfahren? Was hatte sie zu beweinen? Fast
»^renbv"h drückte er sich, um sich nicht zu verrathen. Und
'0 lauschend dastand, kam ihm ein Gedanke an
^Ugenvn^M und auch an Fräulein Böhm, aber nur einen
"lilssx dann war alles verweht, und nur allein das
Nack ° da oben erfüllte ihn mit regem Interesse.
^Mer „WEM Minuten verschwand Fräulein Emmy. Das
. sind s , geschlossen und die Vorhänge zugezogen.
seinen Spaziergang fort. Er mußte
d,el '—Maus ms freie Feld, in seiner Brust wogte zu
Waffen, "kein sein und Nachdenken, das würde Ruhe
Horte" üuI^^Eitt er den Garten, ging durch die Hinter-
- Uber die Wiese und dann aufs freie Feld.

Wohl eine Stunde wanderte er so umher, mutterseelen-
allein ; tausend Gedanken und Pläne gingen ihm durch den
Kopf, aber zu einem festen Entschluß kam er nicht.
Als er zurück durch das Dors kam, traf er unter der
großen Linde ein kosendes und schäkerndes Liebespärchen,
das von ihm nicht die geringste Notiz nahm. Und fast voll
Neid sah er zu den beiden Liebesleuten hinüber, indem er
leise „Die Glücklichen!" sagte.
Dann begab er sich zur Ruhe.
Am nächsten Tage wurde es schlechter mit der Frau
Pastorin. Karl konnte ihr nur das Nothwendigste erzählen,
und Fräulein Emmy durfte die Kranke gar nicht mehr ver-
lassen. Der Arzt machte ein bedenkliches Gesicht und sagte
ganz heimlich zu Karl, man könne sich auf alles gefaßt
machen.
Das traf Karl wie ein Schlag. Noch nicht einen Augen-
blick hatte er ernsthaft daran gedacht, daß er die geliebte alte
Frau verlieren könnte, und nun, nach der vertraulichen Mit-
theilung des Arztes, war er ganz fassungslos.
Er dachte nicht mehr daran, daß er hier fleißig malen
wollte, er dachte nicht mehr an Frau Melanie, nicht mehr
an Fräulein Emmy, all sein Denken Und Wollen galt der
lieben alten Frau, an der er mit so heißer, treu hingebender
Liebe hing.
Der Pastor, sehr in Anspruch genommen von seinen
Awtsgeschästen, konnte nicht immer bei der Kranken sein, und
so konnte Karl mit ganzer Hingabe der lieben, alten Frau
sich widmen.
Aber trotz all der treuen Liebe und Pflege, die der
Kranken zu theil wurde, eine Besserung trat nicht ein, eher
wurde es schlechter, und nach acht Tagen erklärte der Arzt,
jetzt sei seine Kunst zu Ende.
Verzweifelt lies Karl umher. Der Gedanke, daß er die
liebe, alte Frau verlieren sollte, der Gedanke brachte ihn dem
Wahnsinn nahe. Stundenlang saß er oft, wenn die Kranke
schlummerte, brütend am Lager, bis ihm die Thränen kamen
und er mit heißer Inbrunst die Hände der lieben Alten
küßte. Nur nicht sterben, sein Eins und sein Alles nur
nicht verlieren!

nächst nur aus zwei Bataillonen zusammengesetzt wurden,
soll beabsichtigt sein."
— In einer Extraausgabe veröffentlichen die Hamb.
Nachrichten eine Liste sämmtlicher Spender von Kränzen
rc. aus Anlaß des Hinscheidens des Altreichskanzlers.
Ihre Zahl beträgt 1270.
— Der Hamburger Brodboycott fängt an zu
versumpfen. Er währt schon acht Wochen (seit dem 22.
Juni) und die Sozialdemokratie fürchtet, daß sie unter-
liegen wird. Es ist eine alte Erfahrung, daß, wenn
Ausstände nicht in wenigen Tagen gewonnen, Boycotts
nicht in acht Tagen durchgeführt werden können, die
Sozialdemokratie verspielt hat. Im Reich gibt sich gar
kein Interesse für die Hamburger Bäckergesellen bei den
„Genossen" kund.
— Bei der Krönungsfeier der Königin WLi-
tz elmina in Amsterdam werden Prinz Albrecht von
Preußen mit seinen Söhnen sowie Prinz und Prinzessin
von Schaumburg-Lippe den Kaiser Wilhelm vertreten.
Von deutschen Fürsten werden außerdem die groß-
herzogliche Familie von Weimar, das erbgroßherzogliche
Paar von Baden, das Fürstenpaar Wied und der Fürst
von Waldeck-Pyrmont der Krönungsfeier beiwohnen.
— Die überseeische Auswanderung aus dem
deutschen Reich über deutsche Häsen, Antwerpen, Rotter-
dam und Amsterdam belief sich nach den Zusammenstel-
lungen des Kaiserlichen Statistischen Amts in den Mona-
ten Januar bis Juni 1898 auf 9998 Personen. An
der Beförderung dieser Auswanderer sind die deutschen
Häfen mit 8259 Personen bethciligt, und zwar gingen
über Bremen 4042, Hamburg 4051, Stettin 166. Von
Antwerpen reisten 1556, von Rotterdam und Amsterdam
183. Ueber deutsche Häfeu wurden außer den 8259
deutschen noch 43 746 Auswanderer aus fremden Staaten,
und zwar über Bremen 26 551, Hamburg 16 788, Stettin
407 befördert.
Vaden. Aus Baden, 22. August. Mit dem bisherigen Land-
ge rich ts p rä sidenten Haaß in Freiburg ist einer der jüngsten
unserer 7 Landgerichtspräsidneten in den Ruhestand getreten, mit
Präsident Amann in Offenburg, geb. 1820, der älteste; gleich
Präs. Haaß sind die Landgerichtspräfidenten Baumstark iu Mann-
und Eiselein in Konstanz im Jahr 1831 geboren, stehen also jetzt
im 67. Lebensjahre. Die Präsidenten der Landgerichte Mosbach,
Karlsruhe und Waldshut sind iu den Jahren 1825, 1827 und
bezw. 1835 geboren. Der Präsident und die beiden Senats-
präsidenten des Oberlandesgertchts haben sämmtlich das 70.
Lebensjahr überschritten, stehen jedoch in voller beruflicher Thätig-
keit; sie entstammen den Jahren 1823 bezw. 1822. Diese Ziffern
find von einer gewissen Bedeutung auch für andere als juristische
Kreise, angesichts der bevorstehenden Einführung des bürgerlichen
Gesetzbuchs. Im Gegensatz zn den Präsidenten steht eine nicht
geringe Zahl unserer Landgerichtsdirektorcn in verhält-
nißmäßig jüngerem Mannesalter ; fünf derselben hoben allerdings
das 60. Lebensjahr überschritten; sieben stehen zwischen dem 46.
und 58. Lebensjahr. Der jüngste Landcsgerichtspräsident ist jetzt
wohl der neuernannte Präsident für Freiburg, der bisherige
Landgerichtsdirektor Fieser.
Bayern. In Ncumarkt ist in Ermangelung eines
anderen Raumes mit Zustimmung des Justizministers der
Sitzungssaal des Amtsgerichts den Protestanten zur Ab-
haltung des Gottesdienstes überlassen worden. Das ver-
anlaßte den kathol. Mühldorfer Stadt- undLand-
boten zu folgendem Erguß:
„Gerichts- und Belsaal" ist die neueste Erscheinung auf
dem Gebiete der Protestantisirung Bayerns durch die königl.
Staatsregierung. Im Sitzungssaal des hiesigen Amtszerichrs-
gebäudes wird von nun ab protestantischer Gottesdienst ab-
gehalten werden. Der entschiedene Theil der hiesigen Katho-
liken hatte es abgelehnt, zur Errichtung häretischen
Gottesdienstes milzunnrken; elende Juvasseelen,
welche die Sache der Protestanten nach Kräften förderten
und sich jetzt über den Einzug der Häresie, nach der sie so
sehniücktici schielen, königlich freuen, gibt es freilich auch
Dann lächelte die blasse, alte Frau wohl, strich mit der
Hand über das weiche Haar ihres lieben Jungen und sagte
mit matter Stimme: „Was Gott thut, das ist wohlgethan,
wein' nicht, mein Jungchen, wir stehen alle in Gottes Hand-"
Karl aber konnte nicht anders, er mußte weinen, das
Weh in der Brust war zu groß, er mußte weinen.
So kam die Nacht heran, — die letzte, hatte der Arzt
gesagt.
Emmy und Karl saßen am Lager der Kranken. Der alte
Pastor saß im Lehnstuhl und schlummerte. Kein Laut im
Zimmer, nur das schwere Atdmen der Kranken und das leise
Ticken der kleinen Uhr. Mit geschlossenen Augen lag die
alte Frau da. Ein wunderbarer Friede lag in ihren Zügen,
eine verklärte Hoffnung, daß es nun aus sei mit all dem
Erdenleid, daß nun die Zeit der Erfüllung da sei, der Ver-
heißung für alle gläubigen Herzen.
Immerzu sah Karl auf das friedenumstrahlende Gesicht
der lieben, alten Frau, und während eine tiefe, heiße Weh-
muth über ihn kam, gedachte er der Zeit seiner ersten Jugend-
tage, -als sie ihn lesen gelehrt und schreiben und
rechnen, als sie ihm die wunderholden Märchen erzählt, als
er an ihrer Hand zum erstenmal die Schule besucht, — und
dann siel ihm noch etwas ein, — als er sie einmal belogen
und betrogen hatte, — nur zwanzig Pfennig waren's gewesen,
die er von ihr erbeten hatte, um sich Schulhefte zu kaufen,
er bekam sie auch sofort, aber er ging hin und kaufte sich
Cigaretten dafür; am nächsten Tage hatte sie es erfahren,
und sie ließ ihn kommen, — zitternd stand er vor ihr —
keines von beiden sprach ein Wort, er war purpurroth ge-
worden und wollte vergehen vor Scham; da sah er sie an. —
sie hatte Thränen in den Augen und mit liebevoller Stimme
sprach sie zu ihm: warum hast Du mich belogen, Karl? Da
war er vor ihr niedergesunken, hatte ihre Knie umklammert
und bitterlich geweint, und da hatte sie ihn aufgehoben und
ihn auf die Stirn geküßt, und von der Zeitjj an hatte er
niemals Heimlichkeiten mehr vor ihr — — —
(Fortsetzung folgt)
 
Annotationen