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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

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Nr. 176 - 202 (1. August 1898 - 31. August 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0121

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Telephon-Anschluß Nr. 82.

Xr. 177

Dienstag, den 2. August

1898.

Zum Hinscheiden Bismarcks.
Die eigentlich zum Tode Bismarcks führende Ursache
m der Nalional-Zeitung zufolge ein acutes Oedcm der
Lungen gewesen. Es liegt die Annahme nahe, daß infolge
der längeren Bettruhe, zu welcher der Fürst in der letzten
Zeit gezwungen war, eine bei so hohem Alter stets ver-
Mngnißvolle Congestion der Lungen mit Ausschwitzung
von Flüssigkeit in den Lungenbläschen eingetreten ist. Die
ilotz anfänglicher Besserung stetig sich steigernde Alters-
schwäche vermochte dem überhand nehmenden Lungenödem
'einen Widerstand entgegenzusetzen, und so folgte die un-
vermeidliche Lungen- und Herzlähmung. Die im letzten
Stadium neben den lichten Momenten aufgetretenen Anfälle
don traumhafter Benommenheit und Bewußtlosigkeit beruhen
darauf, daß infolge der Flüssigkeitsansammlung in den
Lungenbläschen der sonst durch die Lungen vermittelte Gas-
«ustausch behindert wird und eine Anhäufung von Kohlen-
mure auftritt, die wie bei der Kohlensäure-Vergiftung auf
das Gehirn einwirkt. Mit dem alten Venenleiden, an dem
Fürst Bismarck bekanntlich schon seit langen Jahren ge-
ulten hat, steht seine letzte Krankheit nicht im Zusammen-
hang.
Ueber die letzten Augenblicke des Fürsten Bismarck
erfährt die Köln. Ztg. folgendes: Nach der Abendtafel am
Donnerstag rauchte Bismarck bei lebhaftem Plaudern Vier-
Pfeifen und war nur schwer dazu zu bewegen, sich nach
di Uhr zur Ruhe zu begeben. Die Nacht auf Freitag
Mr allerdings schlecht, sodaß der auf Freitag angesagte
besuch des bayrischen Ministerpräsidenten v. Crailsheim
abbestellt werden mußte, aber noch am Samstag Morgen
ias Bismarck wie gewöhnlich seine Zeitungen. Am Sams-
iag Nachmittag sprach er mit seinem Kammerdiener, daß
dieser ihm etwas Cognac in den Thee thun möge, aber
ichcn bald machten sich an diesem Nachmittag Athmungs-
deschwerden, die Vorboten der bevorstehenden Lungcn-
iahmung, bemerkbar. Gelegentlich wurden Schmerzenslaute
hörbar, von denen aber schwer zu sagen war, ob sie Bis-
marck bei Bewußtsein oder im Traumzustand von sich gab;
denn wie bei vielen Leuten in derartig hohem Alter waren
auch bei Bismarck in letzter Zeit soporöse Zustände häufiger
geworden. Erft am Samstag Abend erkannte man ber
j , nimmt, daß es mit dem Fürsten zu Ende gehe. Die
D " Bismarck klar und mit Bewußtsein gesprochenen
-Porte enthielten einen Dank an seine Tochter und be-
stafen das Abwischen des Schweißes. Ob Bismarck den
stsrz vor seinem Tode eintreffenden Leibarzt, Geheimrath
^chweninger, noch erkannt hat, ist unsicher; denn der Tod
ist zweifellos ohne Todeskampf, ohne Bewußtsein und also
"uch ohne Schmerzgefühl erfolgt. Bismarck ist träumend
M Jenseits hinübergeschlummert. Nach dem erwähnten
Dunk an seine Tochter hat Fürst Bismarck noch
^hrere schwach artikulirte Laute von sich gegeben, die
Mr von der Familie, vom Leibarzt und dem alten
Kammerdiener verschieden aufgefaßt worden sind. Als
Todesursache ist zweifellos Lungenlähmung zu bezeichnen.
Asmarck hat wohl noch gewußt, daß sein Zustand sehr
'flecht sei, nicht aber, daß das Ende nahe.
DieHamb.Nachr. melden von Friedrichsruh: Die Züge des
oerewiglen Fürsten Bismarck tragen den Ausdruck voll-
"uimenen Friedens. Am Sterbelager halten Förster die
Dodtenwache. Mannschaften des Infanterieregiments Nr.
k in Altona und der Halberstädter Kürassiere bilden die
Ehrenwache. An der Stelle, die von dem Fürsten selbst
^ seiner Ruhestätte ausersehen ist, soll ein einfaches
Mausoleum errichtet werden, in dem auch die Fürstin
Emarck beigesetzt werden soll. Die Herstellung einer weihe-

Ans dem Zweirade.
Eine Novellctte von Emil Steinweg.
- , (Fortsetzung.)
svn * bückte sich auf die Stange, die auf s höchste ange-
Mntcn Muskeln seiner mächtigen Waden drückten auf die
/-Eoale, daß die Maschine stöhnte und ächzte und das Sum-
d s» der Radspeichen sich in ein förmliches Pfeifen verwan-
Er achtete nicht darauf; wie der Sturmwind flog er
jÄsn und kam ihr mit jeder Sekunde sichtlich näher- Doch
jkr bückte sie zurück und erkannte, daß er sie verfolgte, wie
laicht das Täubchen. Ein triumphirendes Aufleuchten
1^ schwarzen Sammetaugen, ein muthwilliges Lächeln, dann
auch sie sich in's Zeug und strengte alle Kräfte zu dem
Men Wettlauf an.
i.„»Er will mich fangen," sagte sie sich, „aber das soll ihm
Mer werden."
in d sie schoß dahin, wie die Schwalbe der Lüfte, der sie
„j^chrem dunkeln Kostüm und den schwarzen Locken auch
unähnlich sah. Die Spaziergänger auf den Seitenwegen
sÄ°en still und betrachteten theils lächelnd, theils kopf-
fam "Ob wilde Jagd, und die ihnen begegnenden Rad-
k ""t denen sie alle Augenblicke zu karamboliren in
-^ohr waren, riefen ihnen allerlei anzügliche Bemerkungen
stift-, er sie hörten nicht: vorwärts stürmte sie, ihr nach
Er- Ihre Lungen, durch die gedrückte Haltung des
klmu« bers beengt, arbeiteten schwer und ihre Herzen
An??en, nmr es vor Liebe, vor Aufregung oder von der
M>iAngung des Wettlaufs? Was fragten sie darnach I
hickste das Herz auch springen, wenn nur der Radreifen
^lvesen^"' Wb"" der gesprungen wäre, das wäre schlimm
dämmerte indessen doch endlich das Bewußtsein der
ihr "ost in der keine Angebetete schwebte. Jetzt war er
tz,olS auf eine Radlänge nahe gekommen, in der nächsten
talk mußte er sie erreicht haben. Er verlangsamte des-
P en-, wenig sein Tempo, sammelte etwas Ath.m und rief

vollen Grabstätte, deren Plan bereits festgestellt ist, wird
immerhin eine gewisse Zeit erfordern und da eine einst-
weilige Beisetzung den Gefühlen der fürstlichen Familie
widerstrebt, wird jetzt nur eine einfache Einsegnung
der Leiche des Fürsten durch den zuständigen Geistlichen
des Ortes Brunstorf erfolgen.
Das Sterbezimmer ist im Erdgeschoß des Schlosses
gelegen. Der Fürst verschied in der großen eichenen Bett-
stelle, die er sich nach eigenen Angaben aus dem Holz des
Sachsenwaldes hatte zimmern lassen. Obwohl der Fürst
seit 10 Uhr bewußtlos war, rang der gewaltige Körper
schwer mit dem Tode; einigemal verrieth ein tiefes Stöhnen,
daß das starke Leben nicht ohne Kampf erlosch. Als die
Schatten deS Todes sich niederzusenken begannen, klärten
sich die Züge des mächtigen Antlitzes. Der Kopf war
tief ins Kissen gedrückt, neigte sich ein wenig auf die linke
Seite. Das Gesicht ist stark abgemagert, der Kopf er-
scheint verkleinert, die Haut ist schneeweiß. Die Züge
tragen den Ausdruck eines ruhig Schlafenden.
In einer eigenhändig unterzeichneten letztwilligen Ver-
fügung hat Fürst Bismarck für den Fall seines Todes
angcordnet, daß er an einer bestimmten Stelle des Sachsen-
waldes begraben sein will. Die Anordnung schließt: „Als
Grabschrift wünsche ich: v. Bismarck, geboren am 1. April
1815, gestorben ..... und den Zusatz: ein treuer
deutscher Diener Kaiser Wilhelms I."
Der schwarz umränderte Reichsanzeiger theilt das Tele-
gramm des Kaisers mit, das dieser vorgestern an den
Fürsten Herbert Bismarck gesandt hatte:
„In tiefer Trauer theilnehmend an dem Schmerze,
der Sie Alle um den theuren großen Todten erfaßt,
beklage ich den Verlust von Deutschlands größtem
Sohne, dessen treue Mitarbeit an dem Werke der
Wiedervereinigung des Vaterlandes ihm die Freund-
schaft meines in Gott ruhenden Großvaters, des
großen Kaisers Majestät, für's Leben erwarb und
den unauslöschlichen Dank des ganzen deutschen Volkes
für alle Zeit. Ich werde seiner Hülle in Berlin im
Dome an der Seite meiner Vorfahren die letzte
Stätte bereiten."
Der Kaiser ordnete zehntägige Hoftrauer und
achttägige Armeetrauer an. Die Flaggen sämmt-
licher Reichs- und preuß. Staatsgebäude sind auf Halbmast zu
hissen bis nach der Beisetzung. Ein längerer Artikel des
Reichsanzeigers würdigt die unsterblichen Verdienste Bis-
marck's, in dem das Vaterland seinen größten Sohn ver-
loren hat.
Es bestätigt sich, daß zuerst geplant war, die Bei-
setzung Bismarcks mit den denkbar größten Ehrungen, die
der Kaiser und das Reich aufzubieten vermögen, statt-
finden zu lasffn. Der Erfüllung dieses Wunsches stehen
aber die Bestimmungen, die der Verstorbene selbst ge-
troffen hat, entgegen, auf Grund deren die Beisetzung in
Friedrichsruh in thunlichster Einfachheit und unter Wahrung
des familiären Charakters erfolgen soll. Seitens der
Familie ist von dieser Sachlage dem Kaiser Kenntniß ge-
geben worden und unter solchen Umständen bleibt nichts
übrig als dem letzten Willen des Verstorbenen die ge-
bührende Achtung entgegenzubringen.
Berlin, 1. Aug. Der Reichskanzler reiste
heute Nachmittag mittels Extrazuges nach Friedrichsruh,
um namens des Staatsministeriums seine Trauer um den
Heimgegangenen der Familie gegenüber auszudrücken und
einen Kranz am Sterbelager niederzulegen.
Kiel, 1. Aug. Der Ankunft des Kaisers wird
für heute Abend 10 Uhr entgegen gesehen.

ihr zu: „Um Gotteswillen, Fräulein, halten Sie ein!
Sie riskiren Ihr Leben!" Unwillkürlich ließ sie nach,
und da war er auch schon neben ihr, grüßte und ächzte mehr
als er sprach: „Glücklicher Zufall! — preise ich mein Ge-
schick — voller BewunderungI — Sie radeln ja — wie
eine Göttin! Merkur selbst — muß neidisch sein, wenn er
Sie so fahren sieht. Aber warum wollten Sie mir durchaus
entfliehen?"
Auch sie rang nach Äthern. Ihr hochgeröthetes Gesicht
verrieth deutlich genug ihren Zustand.
„Keimen Sie mich denn noch?" flüsterte sie, aber diese
scheinbar gleichgültigen Worte erhielten durch den Blick, der
sie begleitete, und ein verführerisches Lächeln, das die rosigen
Lippen umspielte, eine Bedeutung, die ihm den Rest von
Vorsicht raubte, den ihm die Aufregung des Wettrennens
noch gelassen hatte. Er fuhr dicht an sie heran und flüsterte
zurück: „Oh, weder mein Auge noch mein Herz hat Sie ver-
gessen!" — Puff! Da stieß er mit seinem rechten Ellen-
bogen an ihren linken, so daß die Lenkstange ihres Fahrrads
nach rechts herumsuhr, und Letzteres wie ein scheuender Gaul
einen plötzlichen Seitensprung machte. Erschrocken streckte
er die Hand aus, um sie zu halten, aber sie, als geschickte
Reiterin, hatte bereits den Schaden ausgeglichen und ihr
metallenes Pferd wieder herumgerissen.
Doch hielt sie sich in passender Entfernung von ihm und
sagte warnend: „Nicht so nahe, Herr Schmuck! Das ist auf
dem Rade sehr gefährlich."
„Verzeihung......!" stotterte er, dann, sich fassend,
fügte er in weichem, eindringlichem Tone hinzu: „Verzeihen
Sie meinem Herzen diese ungestüme Freude, Fräulein Hulda,
und meiner Freude diese stürmische Äeußerung!"
Sie lächelte geschmeichelt. Das gefiel ihr. Ein freund-
licher Blick belohnte den Schwärmer. Langsam und stumm
radwandelten sie jetzt, das Herz voll süßer Gefühle und im
Takte die Pedale tretend, neben einander hin.
Hand in Hand wäre schöner gewesen, aber das läßt sich
beim Radcln nicht so gut wie beim Schlittschuhlaufen aus-

Kiel, 1. Aug. Einem heute ausgegebenen Marine-
befehl zufolge wird am Tage zur Beisetzung des Fürsten
Bismarck die Gofferflagge und die Toppflagge über allen
Schiffen halbmast gehißt werden. Es ist um 12 Uhr
Mittags ein Trauersalut von 19 Schüssen abzugeben.
Die Offiziere und Beamten der Marine legen auf acht
Tage Trauer an.
Wilhelmshöhe, 1. Aug. Anläßlich des Ablebens
des Fürsten Bismarck begibt sich die Kaiserin heute
nach Kiel, um dort mit dem Kaiser zusammenzutreffen.
Die Reise nach Koburg ist aufgegeben.
Friedrichsruh, 1. Aug. Fürst Herbert Bis-
marck ist mit migräneartigen Kopfschmerzen bettlägerig.
Irgendwelche Beisetzungsfeierlichkeiten finden zunächst nicht
statt. Die Herüberkunft des Kaisers, der diese Nacht in
Kiel eintrifft, gilt als höchst unwahrscheinlich. Bismarcks
Leiche ist gestern Abend von Schweninger so gut als an-
gängig einbalsamirt worden und soll heute unter Assistenz
des Pastors, aber ohne Feierlichkeit eingesargt werden. Gemäß
Bismarcks Wunsch bleibt der Sarg mit der Leiche bis auf
Weiteres im Sterbezimmer stehen, vielleicht so lange, bis ein
in der Nähe der Hirschgruppe von Friedrichsruh zu erbauen-
des Mausoleum, das auch die Ueberreste der Fürstin auf-
nehmen soll, fertiggestellt ist. Der Kaiser allerdings hegt
andere Pläne, er beabsichtigt eine große Leichenfeier in
Berlin und möchte Bismarcks Leiche im Dome zu Berlin
beigesetzt wissen. Zwischen den Ansichten des Kaisers und
der Bismarckschen Familie wird wohl in den nächsten
Tagen ein Ausgleich gefunden werden. Einstweilen ist es
in Friedrichsruh überaus still. Man merkt wenig von
dem großen Ereigniß, abgesehen davon, daß Halberstädter
Kürassiere und das in Altona garnisonirende 31. hanse-
atische Infanterie-Regiment Ehrenwachen stellen und daß
beständig Kränze herbeigetragen werden.

Deutsches Reich.
Berlin, 1. August.
— Fürst Bismarcks Hinscheiden bewegt die ganze
civilisirte Welt. Nicht als ob überall eine innige Antheil-
nahme der Herzen sich kund gäbe; das wäre zu viel ver-
langt, denn Bismarck hat nicht für die Welt, sondern zu-
nächst und direkt für Deutschland gearbeitet. Aber ein
achtungsvolles sich Neigen vor der Größe dieses Mannes
liegt in den Kundgebungen, die aus Osterreich-Ungarn,
Italien, Rußland, England u. s. w. zu verzeichnen sind.
Aus vielen spricht in der That ein warmes herzliches
Mitgefühl, und selbst die Franzosen können zum größten
Theil nicht umhin, dem großen Dahingeschiedenen den
Tribut ihrer Anerkennung seiner weltgeschichtlichen Bedeu-
tung zu zollen. Am meisten ehrt ihn wohl dasjenige
Blatt, das den Wunsch ausspricht, Frankreich hätte den
Bismark besessen und dafür den Deutschen alle seine
Staatsmänner abgetreten. Bei manchen französischen
Blättern tragen freilich Haß und Feindschaft den Sieg
über das gerechte Urtheil davon; sie vergessen ihm das
Jahr 1870/71 nicht. Daß der eigentliche Besieger Frank-
reichs Bismarck gewesen ist, gilt bei allen Franzosen für
ausgemacht. In Deutschland herrscht in den Kreisen, die
die Bedeutung Bismarcks für unser Vaterland zu würdigen
vermögen, aufrichtige Betrübniß, die überall in Trauer-
kundgebungen ihren Ausdruck findet. Auch solche
Parteien, die dem lebenden Bismarck grollten, wie Demo-
kraten und Centrum, erkennen in ihrer Presse die Größe
Bismarcks und seine Verdienste um Deutschland an.
— Im Berliner Lokalanzeiger veröffentlicht Moritz
Busch einen längeren Artikel: „Die Wahrheit über Bis-
führen. Kein Sport gewährt „des Lebens ungemischte
Freude", auch das Tandemfahren nicht. Wenn ein Tandem
erfunden würde, auf welchem der Fahrer und die Fahrerin
einander die Gesichter zukehrten und radelnd Blicke und
Worte austauschen könnten, was für ein gemüthliches Rad-
fahren wäre das nicht! Der Gipfel, die Krone alles Sports!
Aber das ist leider unmöglich.
Nun, unser Pärchen war auch ohne Tandem glücklich, so
glücklich, daß es den Neid der Himmlischen erregte.
Wahrscheinlich war der flügelbeschuhte Gott in der That
eifersüchtig geworden, als er, vom hohen Olymp auf die
Erde herabblickend, mißfällig bemerkte, wie die beiden
Liebenden seiner seit Jahrtausenden berühmten Botenge-
schwindigkeit Konkurrenz zu machen suchten. Er schickte ihnen
deßhalb eine Wetterwolke entgegen, die alsbald in der Ge-
stalt eines großen, Hagern, in gleicher Weise berittenen
jungen Mannes drohend an ihrem Horizonte beraufradelte.
Dieser längliche, äußerst blonde Herr, der sich mit dem
schönen Namen Gottlieb Kümmel schmückte, und deßhalb von
den jungen Mädchen seines Umgangskreises nur „der lange
Gottlieb" genannt wurde, hatte stets zu Hulda's eifrigsten
Verehrern gezählt, und war auch ein ganzes Jahr von ihr
bevorzugt worden, d- h. so lange, bis ein neues Gestirn,
dem die gelehrten Astronomen im weißen Ballkleide mit
einer zarten Anspielung auf seinen Namen die Bezeichnung
„der schmucke Achilles" gaben, in ihren Gesichtskreis getreten
war. Als gewiegte Astrologin batte sie sofort erkannt, daß
dies der Stern war, der ihre Geschicke beherrschte, und dem
„langen Gottlieb" deßwegen ohne Zaudern und Zeitverlust
den Laufpaß gegeben, womit der so unverhofft seiner Würde
Entkleidete freilich nicht einverstanden war, weil er wohler-
worbene Rechte zu haben vermeinte, und sich Mannes genug
fühlte, diese auch zu vertheidigeu. Wozu hatte er ihr an
Ballabenden die theuersten Blumensträuße gestiftet, au ihrem
Geburtstage sogar ein Sängerchor gedungen, ihr ein Morgen-
ständchen zu bringen, und sich viele andere heimliche Opfer
awerlegt? Und nun sollte er sich so mir nichts dir nichts
 
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