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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

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Nr. 229 - 254 (1. Oktober 1898 - 31. Oktober 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0431

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Telephon-Anschluß Nr. 82.

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Telephon-Anschluß Nr. 82.

Xr. 25V. Erstes Malt. Mittwoch, de« 26. October

1888.

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Stadttheater.
O Heidelberg, 26. October.
Egmont. Trauerspiel in 5 Aufzügen von W. v. Goethe.
Daß es die großen Tobten sind, die noch immer den mäch-
Mten Eindruck in unfern Schauspielhäusern erzielen, auch wenn
uch, wie gestern Abend, nur eine kleine Gemeinde versammelt
Mt, dürfte manchen „Jüngsten" der modernen Literatur nach-
"enklich stimmen. Uno wenn er ehrlich ist, müßte er zugeben,
M.doch gerade dieses Losgelöstsein von allem Kleinlichen und
Zufälligen, mit dessen Ausarbeitung die Neuen dem „Milieu" zu
f-sebe so oft ihre Kraft vergeuden, daß dieses Erheben in die
Ochsten Sphären es ist, was immer von Neuem begeistert und
uwreißt. Dazu kommt die harmonische Geschlossenheit derWelt-
uuichauung, die die Werke unserer Dichterheroen athmen, während
?uch den genialsten Schöpfungen der Literatur unserer Tage fast
Vmer eine gewisse Dosis Skepsis anhaftet, die den künstlerischen
Genuß trübt.
w Die Vorzüge des Goethe'schen „Egmont" liegen im rein
xvetischen, nicht im eigentlich Dramatischen. Das macht
M für Theater zu einer der schwierigsten Auf-
Men, ein Umstand, der auch bei der gestrigen Auf-
Wrnng offensichttg wurde. Insbesondere der Darsteller der
^stelrolle, Herr May ring, konnte dem Helden nicht die liebens-
wUrdigen Züge verleihen, auf denen die künstlerische Feinheit des
«tuckes zum Theil beruht. Herr Mayring besitzt unzweifelhaft
Wachst einmal eine gute Bildung, die ihn kein unverständiges
«iort sprechen läßt, er ist mit einem echten Heldenorgan begabt
und von guter Figur. Aber diese Vorzüge müssen alle noch mehr
Mausgearbeitet werden: er muß verlernen, beim Sprechen auf
M Kehlkopf zu drücken, die Bewegungen müssen freier werden,
und die Neigung zu schiefer Körperhaltung, besonders die, den
Wl gesenkt zu halten, muß er abzulegen suchen. Ehe diese
Mangel verschwunden sind, wird er ein Liebesgeplauder
einem Klärchen, ein ungezwungenes leutseliges Benehmen

Die Eröffnung der französischen Deputirten-
kammer.
Sturz des Ministeriums Ariston!
Paris, 25. Oct. Die Umgebung der Kammer ist
bedeutendem Umkreis schon um 1 Uhr durch starke

in
Aufgebote von Polizei und Truppen besetzt. Der Con-
cordienplatz und die Tuilerieengärten werden durch be-
sondere Truppenabtheilungen bewacht, doch ist der Verkehr
gestattet, nur Ansammlungen sind verboten. Trotzdem
bilden sich einige Ansammlungen auf dem Concordien-
vlatz, die jedoch jedesmal von den Schutzleuten und der
Cavallerie zerstreut wurden, ohne daß es zu.Gewalt-
thätigkeiten kam. Die Sozialisten haben die ihnen ge-
wordene Losung, sich nicht einzufinden, befolgt, dagegen
sind die Antisemiten und Patrioten zahlreich vertreten.
Man bemerkt auch Gruppen verdächtiger Gesichter. Sie
haben sich über den Platz gleichmäßig vertheilt. Daher
erfolgen bald hier bald dort Kundgebungen für die
Armee. Das Publikum bleibt theilnahmslos. Auffallend
ist die Anwesenheit einer Anzahl von Weltpriestern und
Ordensgeistlichen. Ob sie Bericht zu erstatten haben?
Jedenfalls sind sie dort aus politischem Interesse. Sie
wenden sich bald nach der einen, bald nach der anderen
Seite und lassen sich von den Truppen bald nach rechts,
bald nach links schieben. Antisemitische und nationalistische
Abgeordnete fahren über den Platz und muntern von
ihren Wagen aus durch laute Rufe für die Armee das
Publikum zu Kundgebungen auf. Die Leute thun denn
auch ihre Schuldigkeit und rufen mit. Viele freilich
amüstren sich von Herzen über diesen krampfhaften
Patriotismus. Eine alte Dame aus dem Fauburg St.
Germain fährt rund um den Platz, beugt sich aus dem
Wagen und ruft beständig der Menge ihr „vivo I'armoo"
zu. Die Patrioten antworteten ihr mit demselben Rus,
andere lachen sie aus. Um 2 Uhr ist die Menge vom
Platze in die einmündenden Straßen zurückgedrängt. —
Heber den Verlauf der Sitzung berichtet die Straßb. Post:
Paris, 25. Oct. Deputirten kämme r. Haus und
Tribünen sind stark besetzt, es herrscht lebhafte Bewegung.
Mnanzminister Peytral bringt den Budgetentwurf ein und
°en Gesetzentwurf für die Einkommensteuer. Kammerpräsident
Deschanel verliest die eingegangenen Interpellationen.
Ministerpräsident Brisson besteigt die Tribüne. (Rufe
auf der Rechten: Demission! Gegenrufe links). Brisson erinnert
"arau, daß er die Affaire Dreyfus beim Kassationshofe anhängig
aemacht habe. (Heftige Protestrufe, Tumult.) Er richte an die
Kammer die Bitte, die die Dreyfusaffaire betreffenden Jnter-
bellationen von den anderen zu trennen. (Vereinzelte Beifall-
rufe.)
Hierauf besteigt Dsroulsde die Tribüne und erklärt, die
Mehrheit habe das Kabinet Brisson unterstützt, weil Cavaignac
sazu gehörte. (Protestrufe links. Die Abgeordneten
Lasly und Paulin Märy werden handgemein,
-tlle Deputirten erheben sich von ihren Sitzen und protestiren
festig gegen das Benehmen der beiden Kollegen.) Sobald die
* Das Romanfeuilleton findet der Leser im heutigen
Zweiten Blatt.

einer Volksansammlung gegenüber nicht zur vollen Geltung
bringen können. Weit glücklicher war Frl. Heinrich als
Klärchen. Sie entwächst mit Riesenschritten dem Anfängerthum
und ihre gestrige Darstellung war mit so reizender Anmuth und
einem so echten Gefühl ausgestattet, wie es beim Theater durch-
aus nicht zu den Alltäglichkeiten gehört. Einzelne Züge, wie die
Schlußworte des dritten Aktes: „So laß mich sterben, die Welt
hat keine Freuden auf diese!" und der herzinnige Vortrag des
Liedchens „Freudvoll und leidvoll" mögen Manchem noch lange
in den Ohren geklungen sein. Sie könnte die Wirkung ihrer
Rolle noch um Einiges erhöhen, wenn sie das Kecke, Sinnen-
fröhliche des Grafenschätzchens, den „Springinsfeld" nach der
Titulatur der Mutter, noch mehr hervorkehren wollte.
Mit Rücksicht darauf, daß der Alba nicht in den engeren
Fachkreis des Herrn Sigl gehört, war er eine sehr
respektable Leistung. Die schwierige Rolle des Brackenburg
lag in den Händen des Herrn Göbel, der ihr im All-
gemeinen wohl gerecht wurde. Herr Dankmar, der
auch in kleinen Rollen stets interessant ist, war ein
prächtiger Vansen, den das Publikum mit einem donnern-
den Applaus lohnte. Von dem Darsteller des Oranien,
Herrn Wiesach, haben wir nur die zwei ersten Worte von je-
dem Satz verstanden, was einer vollständig unzulänglichen Sprech-
technik zuzuschreiben ist, obwohl die Befaugenhett ja auch ihr
Theil beigetragen haben mag. Hr. Ehrens als Ferdinand be-
friedigte, Herr Blank war ein frischer Buy k und Frl. Fren-
zel verkörperte angemessen Klärchen? Mutter. Ein Kabinetsstück
feiner Komik bot Hr. St et tu er als Schneider Jetter.
In der Jnscenirung des Stückes bewährte sich Hr. Dan k-
mar als feinsinniger Regisseur, der besonders Volksscenen wir-
kungsvoll zu arrangiren versteht, die die Heiterkeit, der diese so
oft ausgesetzt sind, nicht aufkommen lassen. Auch manch anderes
malerische Scenenbild hatte Herr Dankmar herausgearbeitet.
Die herrliche Beethoven'sche Musik, die vom ganzen Orchester
unter Herrn Kapellmeister Ra d ig s trefflicher Leitung ausgeführt
wurde, war sicherlich nicht der geringste künstlerische Genuß des
Abends. L L.

Ruhe wieder hergestellt ist, nimmt Dsroulsde wieder das Wort
und wirft der Regierung vor, die Macht usurpirt zu haben. Er
deutet auf die Lage hin, in der sich General Chanoine befinde.
(Heftige Protestrufe.)
KriegSmini st er Chanoine bittet ums Wort (lang -
anhaltender Beifall) und erinnert daran, unter welchen Be-
dingungen er sein Amt angetrcten habe; er sei Gegenstand einer
vielleichtunverdienten Unpopularität. Er erklärt, daß seine
Ansicht mit der seiner Vorgänger sich decke.
(Langanhaltender Beifall.) „Als Hüter der Ehre der Armee lege
ich in Ihre Hände das Gut, das mir anvertraut ist, und gebe
auf dieser Tribüne meine Entlassun g". (Donnern-
der Beifall.) Chanoine verläßt den Saal. Im Hause furchtbare
Aufregung.
B r i s s o n besteigt die Tribüne (Erneute Rufe: Demission!
und Gegenrufe: Nein! Nein!) Brisson führt aus, der Beschluß,
die Affaire Dreyfus dem Kassationshof zu überweisen, sei in
Gegenwart Chanoines gefaßt worden, und tadelt Chanoine,
weil er entgegen jedem Gebrauch, inmitten der Kammer seine
Entlassung gebe. (Langanhaltender Beifall, heftige Unter-
brechungen rechts.) Brisson fügt hinzu, die Regierung wolle sich
zur Berathung zurückziehen. Die Kammer werde ihm Dank
wissen, daß er dafür sorge, daß die A ut o r i t ä t der bürger-
lichen Gewalt gegenüber der Autorität der
militärischen Gewalt das Uebcrgcwicht habe.
Die Sitzung wird unterbrochen.
Nach der Suspension der Sitzung herrscht in den
Wandelgängen lebhafte Bewegung, es bilden sich zahl-
reiche Gruppen, welche die jetzige Lage erregt besprechen. Die
Handlungsweise des Kriegsministers wird scharf getadelt.
Um 5 Uhr wird die Sitzung wieder eröffnet. In der Zwischen-
zeit ist bekannt geworden, daß Brisson beschlossen hat, das
Portefeuille des Kriegsministers vorläufig zu
übernehmen und das Portefeuille des Innern dem Unter-
staatssekretär Balls auzuvertrauen.
Brisson besteigt die Tribüne und erklärt, die Regierung er-
suche die Kammer, sich bis Donnerstag zu vertagen
und durch eine Abstimmung die Ueberlegenheit der bürgerlichen
Gewalt festzustellen.
Paris, 25. Oct. Ueber den weiteren Verlauf der Sitzung
berichtet die Franks. Ztg. wie folgt:
Der Sozialist ffvurnisre unterstützt die Regierung. Das
Auftreten des Generals Chanoine sei die Bekundung eines fak-
tiösen Anschlags.
Nach längerer heftiger Debatte, während deren von der Rech-
ten de Muu Aufklärungen über die Komplott-Gerüchte verlangt
und Baudry d'Ässon die Anklage gegen die Minister fordert,
schlägt Ribot eine Tagesordnung vor, die zugleich von Jsambert,
Delaporte, Pelletan, Poincars und Fournisre unterzeichnet ist
und lautet: „Die Kammer, die Suprematie der bürgerlichen
Gewalt bestätigend und vertrauend auf die Armee als treue
Wächterin der republikanischen Gesetze, vertagt die Diskussion der
Interpellation bis Donnerstag." Dazu liegen mehrere Zusatz-
und Abänderungsauträge vor. Cavaignac, von der Rechten
ostentativ begrübt (links Rufe: Asfichage! Rasirmesser! Minister
der Fälschungen!) plaidirt für die unmittelbare Debatte, da er
der Kammer Erktärungen schulde, die er nicht verschieben möchte.
Brisson verlangi das Vorrecht für die Tagesordnung Ribot.
Im weiteren Verlauf der Debatte erklärt Justizmintster Sarrien
auf die Provokation der Abgeordneten Berger und de Mahy, die
Regierung habe ihr Möglichstes gethan, um die Armee gegen die
Angriffe und Beleidigungen in der Presse zu schützen. Dreimal
habe Sarrien an den Kriegsministcr die Einladung ergehen
lassen, ihn zur Verfolgung von Zeitungen zu ermächtigen, da
eine Anklage ohne Antrag der betroffenen Offiziere unmöglich
sei. Jedesmal lehnte jedoch der Kriegsminister es ab, zur Straf-
verfolgung zu ermächtigen. (Große Bewegung.)
Endlich beginnen die Abstimmungen; zuerst wird die Thei-
luug der Tagesordnung beschlossen. Der erste Satz, der die
Suprematie der bürgerlichen Gewalt versichert, wird mit 559
gegen 2 Stimmen angenommen.
Es folgt nun die Abstimmung über einen das Ministerium
tadelnden Zusatz Berger. Dieser Zusatz wird abgelehnt mit 274
gegen 261 Stimmen. Das Ministerium besitzt also nur 13
Stimmen Mehrheit.
Es folgt die Abstimmung über den Zusatz de Mahh's: Die
Kammer lädt die Regierung ein, der Campagne von Beleidigungen
gegen die Armee ein Ende zu machen. Brisson erklärt,
daß er diesen wie jeden anderen Zusatz ablehne. Die Abstim-
mung ergibt die Annahme des Zusatzes mit 296 gegen 243
Stimmen. (Große Erregung.) Brisson bleibt ruhig auf seiner
Bank sitzen. Der Präsident theilt mit: Zu dem Amendement
de Maby liegt ein neuer weiterer Zusatz vor, besagend: „Die
Kammer vertraut, daß die Regierung Maßregeln findet, um

dieses Ende der Campagne gegen die Armee herbeizuführen."
Dieser Zusatz, welcher der Regierung eine Art Vertrauen aus-
spricht, ist unterzeichnet von den Deputirten Berteaux, Mesureur
und Dujardin-Beaumetz. Für den Zusatz Berteaux stimmen 254,
dagegen 286 Abgeordnete. Das Ministerium Brisson
ist somit gestürzt.
Mit dem Wiederzusammentritt der Kammer würden
die bequemen Tage für das Kabinet Brisson aufhören, so
wurde gestern gesagt. Nun, es ist noch schlimmer gekom-
men. Der Sturm der Dreyfusgegner gegen das Kabinet
hat gleich beim ersten Anlauf Erfolg gehabt. Das Re-
visionskabinet liegt am Boden. Das neue Kabinet wird
aus der Mehrheit für den Antrag Mahy zu bilden sein,
wonach der „Campagne der Beleidigungen gegen die Armee
ein Ende zu bereiten ist". Danach hat die Generalstabs-
partei einen augenblicklichen großen Erfolg erzielt. Wie
weit sie denselben auszudehnen und ob sie ihn überhaupt fest-
zuhalten vermag, wird die nächste Zukunft lehren. Es sei
daran erinnert, daß sie auch s. Zt. nach der Rede Ca-
vaignacs einen Augenblick triumphirte, dann aber kam der
große Rückschlag durch Aufdeckung der Fälschungen
Henrys u. s. w. Möglicherweise geht es diesmal ähnlich.
Der Kassationshof wird in wenigen Tagen sprechen, sein
Spruch dürfte der Generalstabspartei weniger förderlich
sein, als der der Kammer.
Sehr auffällig war das Verhalten des Kriegsministers
Chanoine; man hat es da wohl mit einer insgeheim vor-
bereiteten und in theatralischer Weise ausgeführten Mache
zu thun, die ihm nicht zur Ehre gereicht. Im kritischen
Augenblik der Gefahr das Kabinet demonstrativ verlassen
und ihm damit einen schweren Stoß versetzen, das ist
nicht ritterlich, nicht soldatisch gehandelt. Das Schauspiel,
das die französische Kammer wieder aufgeführt hat, bot
keinen schönen Anblick. Die Kammer entbehrt der rechten
Führung, dafür geben Leidenschaftlichkeit und Vorein-
genommenheit den Ton an, Besonnenheit und ruhige
Ueberlegung scheinen in dem Sturm der Leidenschaften und
in dem Spiel der Jntriguen ganz abhanden gekommen zu
sein. Frankreich zersplittert auf solche Art seine moralische
und politische Kraft. Uns Deutschen kann das ja eigentlich
recht sein. So lange die Franzosen mit einander raufen,
sind sie uns nicht gefährlich.
Das jetzt gestürzte Kabinet Brisson ist am 30. Juni
ans Ruder gekommen. Es hat also nur knapp vier Mo-
nate gelebt. Dabei hat es drei Kriegsministcr gehabt.
Von diesen war der eine — Zurlinden — nur 13 Tage
im Amt. Er hat damit den höchsten Record au ministe-
rieller Kurzlebigkeit erzielt.
Durch den Rücktritt des Kabinets Brisson wird die
Situation in Frankreich nicht geklärt, sie wird vielmehr
allem Anschein nach noch verworrener werden.
LLochenchronik.
(Vom 16. bis zum 22. October.)
Oct. 17.: Der Aus st and in Paris ist als beendet anzu-
sehen.
„ 18.: Das deutsche Kaiserpaar trifft in Konstan-
tinopel ein und wird vom Sultan wie von der Be-
völkerung Konstantinopels sehr freundlich empfangen.
„ 19.: Der Arzt der französischen Botschaft in Peking stellt
fest, daß der Kaiser von China zwar schwach und
pflegebedürftig ist, aber nicht in unmittelbarer Lebens-
gefahr schwebt.
„ 20.: Der englische Schatzsekretär Hicks Beach spricht in
einer Rede zu Nottingham sich scharf gegen Frankreichs
Stellungnahme in Faschoda (Afrika) aus.
„ 21.: In Wien kommen mehrere Fälle von Pest vor in
Folge unvorsichtigen Umgehens eines Wärters mit
Versuchsthieren, denen Pestbazillen eingeimpft worden
waren.

Kleine Zeitung.
— Breslau. 25. Oct. Der hiesige Regierungspräsident
Dr. v- Heydedrand und der Lasa ist beim Radfahren ge-
stürzt und hat ^en rechten Oberarm gebrochen.
— Wien, 25 Oct. (Die Pestfälle in Wien.) Mit-
theilungen des Franz-Joseph-Hospitals an das städt. Physikat.
8V« Uhr früh. Die Wärterin Pecha hatte eine Temperatur
von 40 Grad und war bei Bewußtsein. Sie erhielt während der
Nacht 60 obinin Serum. Die Schwester Wilfrida hatte eine
Temperatur von 37,8, gegenwärtig 37,2 Grad, befindet sich etwas
matt und erhielt während der Nacht 20 odmin Serum. Die
andere Wärterin hatte um Mitternacht 37,4, heute früh 37,3 Gr.
Sie erbrach sich zweimal, während Husten und Auswurf nicht
vorhanden ist. Das Befinden der klebrigen ist befriedigend.
— Wien, 25. Octbr. Die Wiener Aerzte haben beschlossen,
eine Sammlung zur Errichtung eines Denkmals für
Dr. Müller im Arkadenhof der neuen Universität einzuleiten.
— Aus der Schweiz, 22 Oct. Eine neue Verkehrsstraße
ist gesichert. Wie den Basler Nachrichten aus Chur berichtet
wird, hat der Verwaltnngsrath der Rhätischen Bahn gestern
nach längerer Berathung für die Albulabahn das Trac« mit
35°/„, Steigung angenommen. Die Vergebung der Tunnel-
bauten wird sofort stattfinden.
— Monte Carlo, 24. Oct. Gestern Nacht wurde ein Mord-
versuch auf den russischen Staatsrath Fürsten Pilowski unter-
nommen. Ein Individuum hatte sich im Grand Hotel verborgen
und drang in das Zimmer des Fürsten, um Geld zu rauben.
Der Fürst lieferte seine Cassette mit 75000 Fr. und Schmuck-
gegenstände im Werthe von 30000 Fr. aus; der Räuber, damit
unzufrieden, versetzte dem Fürsten einen Messerstich in den Kopf,
und als er den Verletzten am Hülfcrufen verhindern wollte, biß
dieser in die Hand des Mörders, der sodann das Weite suchte.
(Nach einem Telegramm aus Paris vom 25. ds. ist dort ein
angeblicher russischer Marineoffizier Namens Nicolaus Gurko als
des Mordversuchs verdächtig verhaftet worden. Pariser Blätter
behaupten, dieser Gurko sei ein Sohn des russischen Feldmarschalls
gleichen Namens.)
 
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