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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

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Nr. 176 - 202 (1. August 1898 - 31. August 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0125

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Telephon-Anschluß Nr. 82.

Xi-. 178._
Zum Heimgang Bismarck s.
Wenn Bismarck sich eine Grabschrift bestellte, in der
"sich ausdrücklich und ausschließlich als treuer deutscher
Diener Kaiser Wilhelms des Ersten bezeichnet, so spricht
Aese Verfügung eine sehr deutliche Sprache, die wohl
jedermann versteht. Im Geist dieser Grabschrift muß
Wan auch die Ablehnung eines prunkvollen Leichenbegäng-
nis auffassen. Der Kaiser wollte Bismarck mit Gepränge
N'd hohen Ehrenbezeugungen im Dom zu Berlin bestatten
mssen; Bismarck aber hat angeordnet, daß er in Friedrichs-
A bestattet werde und daß an der Feier nur die Familie
«ich bctheiligc. So konnte der Plan des Kaisers nicht
°usgeführt werden. Prof. Begas wurde vom Kaiser tele-
graphisch beauftragt, eine Todtenmaske des Verstorbenen
Annehmer,. Da Begas selbst verreist war, wurde ein
Stellvertreter nach Friedrichsruhe geschickt; er erreichte seine
Absicht jedoch nicht und mußte unverrichteter Dinge wieder
abreisen. Dadurch, daß die Bestattung Bismarcks erst in
^uigen Wochen stattfindet, ist auch jede größere Feier am
Sarge des Verblichenen ausgeschlossen.
Aufgefallen ist, daß unmittelbar nach dem Tode Bis-
marcks von Moritz Busch das von dem nun Verblichenen
'Ui Jahre 1890 eingereichte Abschiedsgesuch veröffentlicht
wurde. Man nimmt als sicher an, daß dies auf einer
persönlichen Anordnung Bismarcks beruht.
Da des Kaisers ursprünglicher Plan in Betreff der
Beisetzung Bismarcks nicht zu verwirklichen war, so findet
Uunmehr auf kaiserlichen Befehl am Donnerstag eine
liturgische Andacht für den Fürsten Bismarck in der
Kaiser Wilhelm-Gedächtnißkirche zu Berlin statt; daran
uchmen theil: das Kaiserpaar, die in Berlin anwesenden
Prinzen, die Fürstlichkeiten, Botschafter und Gesandte, der
Arichskanzlcr, die Staatsminister, Staatssekretärs, der
Bundesrath, die Mitglieder der gesetzgebenden Körper-
haften, die Generäle und die Vertreter der Reichs-,
Staats- und Communalbehörden.
Die eine Zeit lang ins Auge gefaßte große Trauer-
Wier auf dem Königsplatz findet nicht statt.
Gestern Nachmittag hat das Kaiserpaar auf der
Durchreise von Kiel nach Potsdam in Friedrichsruh
^halten und am Sarge des Altreichskanzlers geweilt.
A wird hierüber berichtet: Das Kaiserpaar traf am Nach-
wittag 5,55 Uhr in Begleitung des Staatssekretärs v.
Bülow und des Gefolges in Friedrichsruh ein. Der
Kaiser hatte Admiralsuniform angelegt, die Kaiserin Traucr-
ueidnng. Am Bahnhof harrte die Familie des Fürsten,
^raf Wilhelm Bismarck und Graf Rantzau trugen Staats-
hiform, Fürst Herbert trug den Frack mit dem Eisernen
Kreuz als einzige Ordensauszcichnung. Die Gemahlinnen
beider, des Fürsten Herbert und des Grafen Wilhelm,
Waren ebenfalls an den Zug herangetreten, während Gräfin
isantzau am Eingangsthor des Schlosses und Bismarcks
Schwester im Innern wartete. Der Kaiserzug hielt, wie
ms bei ähnlichen Fällen, nicht am Bahnhof, sondern vor dem
Hause. Das Publikum bewahrte lautlose Stille. Ein
Bug des 3ll. Infanterieregiments bildete Spalier. Der
Kaiser küßte den Fürsten Herbert Bismarck auf beide Wangen
"ud drückte dem Grafen Wilhelm die Hand. Das Kaiser-
baar verweilte gegen eine Stunde im Schlosse, wo im
Aerbezimmer eine Leichenfeier gehalten wurde, beider
Pastor Westphal die Trauerrede hielt. Dann begleitete die
widtragende Familie die Majestäten zum Salonwagen, wo
we Verabschiedung stattfand. Vom Fenster des abfahrenden
Buges winkte der Kaiser noch mehrere Mal mit der Hand
öuni Abschiedsgruße. Ein prachtvoller Kranz mit Thee-
^Wn aus Lorbeerblättern und Eichenlaub mit den Initialen

Mittwoch, de« 3. August

der Majestäten auf weißseidener Schleife bildet die kaiser-
liche Blumenspende.
Der Sarg ist schon am Montag nach einer Andacht
geschlossen worden, sodaß weder Fürst Hohenlohe noch das
Kaiserpaar die Leiche gesehen haben. Am Dienstag nahm
die fürstliche Familie das Abendmahl. Als Altar wurde
dabei der Tisch benutzt, auf dem 1871 der Friedensvertrag
unterzeichnet wurde.
Für das Mausoleum wollen Hamburger Verehrer des
Verstorbenen 300 000 Mk. aufbringen. Provisorisch soll
die Leiche, wie nunmehr gemeldet wird, bei der Hirschgruppe
vor dem Schloß beigesetzt werden, sodaß sie also nicht in
einem Zimmer des Schlosses stehen bliebe.
Kränze und Blumenspenden treffen in großen Massen in
Friedrichsruh ein. Beileidstelegramme sind ebenfalls in großer
Zahl eingelaufen, so von dem Kronprinzen, sämmtlichen preuß.
Prinzen und Prinzessinnen, fast sämmtlichen Bundesfürsten,
dem Kaiser Franz Joseph, dem italienischen Königspaar,
dem englischen und russischen Hofe und von mehr als 100
europäischen Staatsmännern, darunter Crispi. Auch die
Deutschen Ncwyorks sandten ein Telegramm. Eine Ab-
ordnung des preuß. Herrenhauses, eine Deputation des
31. Regiments und eine Deputation aus Altona trafen
in Friedrichsruh ein. Der Zutritt zum Sterbezimmer ist
nur sehr Wenigen gestattet. DaS Schloß ist streng ab-
gesperrt.
Aerztliche Beurtheiler nehmen an, daß der Tod Bis-
marcks doch mit seinem alten Venenleiden in Verbindung
stehe. Infolge Blutstockungen in dem kranken, stark ge-
schwollenen, rechten Fuße hatten sich wiederholt Blutgerinsel
gebildet, welche, durch die Adern im Körper weitergeschwemmt,
schon öfters schwere Anfälle hervorriefen. Nach dem letzten
Anfall dieser Art, als Bismarck sich Freitag wohlcr fühlte,
scheint er einen Diätfehler begangen zu haben, wodurch
von neuem alte Blut-Gerinsel durch die Blutbahn weiter-
geschwemmt bis zur Lunge gcriethen und dort plötzlich eine
Lungen-Affektion erzeugten, unter deren schrecklichen Qualen
schließlich Bismarck den Tod gefunden habe. Ein Berliner
Blatt fügt dieser Darstellung folgende Mittheilung aus
Friedrichsruh bei: Geheimrath Schweninger erzählte, er
sei selbst von der jähen Katastrophe überrascht worden.
Sechsmal habe der Fürst dergleichen Anfälle gehabt und
sie stets überstanden. Es konnte nicht vermuthet werden,
daß der zuletzt eingctretene und gleichfalls schon glücklich
überstandene Anfall einen derartigen Ausgang nehmen
werde.
Fürst Bismarck hat umfangreiche bis in die neueste
Zeit fortgeführte Memoiren hinterlassen. Ob es richtig ist,
daß er dieselben für den Preis von einer Million Mark
schon vor längerer Zeit an die Verlagsanstalt „Union"
in Stuttgart zur Veröffentlichung nach seinem Tode über-
lassen hat, bleibe dahingestellt. Als sicher wird angenommen,
daß außer dem Entlassungsgesuch noch weitere Publi-
kationen erfolgen werden.
Deutsches Reich.
Berlin, 2. August.
— Das Armeeverordnungsblatt enthält nachstehenden
Armeebefehl:
Die Trauerkunde aus Friedrichsruh von dem Hiuscheiden
des Generalobersten der Cavallerce mit dem Range eines
Generalfeldmarschalls, Otto Fürsten v. Bismarck, Her-
zogs von Lauenburg, des letzten Berathers meines in Golt
ruhenden Großvaters in groper Zeit, ersüllt mich und mein
Heer und ganz Deutschland Mit tiefster Betrubniß. Der
Verewigte hat sich durch die mit eiserner Willenskraft ge-
förderte Neugestaltung des Heeres in der Geschichte desselben
ein unvergängliches Denkmal gesetzt. Ein Held auf dem
Schlachtfelds, trat er mit wärmsten Interesse zu jeder Zeit

1898.

auch für die Wehrhaftigkeit des Vaterlandes ein und bewies
sich stets als einen treuen und aufrichtigen Freund meiner
Armee. Es wird d-m schmerzlichen Empfinden derselben
entsprechen, für ihn, der so viel für die Armee gethan hat,
auch ein äußeres Zeichen der Trauer anzulegen. Ich be-
stimme demgemäß Nachstehendes: 1) Sämmtliche Offiziere
der Armee legen auf acht Tage Trauer an. Bei dem Kürassier-
Regiment v. Seydlitz (Magdeburgisches) Nr. 7, dessen Chef
der Fürst gewesen ist, sowie bei dem Garde-Jägerdataillon,
bei dem der Dabingeschiedene in Dienst getreten ist, dauert
diese Trauer 14 Tage.
— Der Reichs-Anzeiger veröffentlicht eine Bekannt-
machung des Reichskanzlers, wonach der Handels-
vertrag zwischen dem deutschen Zollverein und
Großbritannien mit dem 30. Juliaußer Kraft
getreten ist.
— Indem Wortlaut des E ntlas su ngs gesu ch s
des Fürsten Bismarck füllen die Berliner Neuesten
Nachrichten die beiden Lücken aus, die Herr Moritz Busch
in seiner Veröffentlichung durch Punkte andeutet. Dem-
nach bedeuten jene Punkte Rußland und den Konsul in
Kiew.
— Auch die in Deutschland erscheinenden polnischen
Blätter erkennen die historische Bedeutung Bismarcks
an. Nur der Dziennik spricht ihm eine solche ab. Die
russischen und galizischen Polenblätter verurtheilen, soweit
deren Aeußerungcn vorliegen, Bismarcks Thaten äußerst
scharf. Sie hassen in ihm den Schöpfer des deutschen
Nationalstaates und Freund Rußlands.
— Aus Meiningen schreibt man dem Berl. Tagebl.:
Vor einiger Zeit war von verschiedenen Blättern an die
kürzliche Reise des Herzogs von Meiningen zum
König von Sachsen nach Pillnitz die Vermuthung
geknüpft worden, die Reise stände im Zusammenhang mit
dem Telegramm des Kaisers an den Grafen-Regenten von
Lippe. Hierzu wird der Dorf-Zeitung in Hildburghausen
von jedenfalls unterrichteter Seite geschrieben, der Besuch,
den der Herzog Mitte Juli dem König von Sachsen in
Pillnitz gemacht habe, sei dadurch veranlaßt worden, daß
der Herzog dem König für die Stellung » la. suito der
sächsischen Armee danken wollte. Einen politischen Zweck
habe der Besuch nicht gehabt, und es seien weder das
bekannte Telegramm noch die Vorgänge, aus die es sich
bezieht, in Pillnitz auch nur mit einem Worte berührt
worden.
Hamburg, 1. Aug. Das Sekretariat Bismarck's
bittet durch die Hamb. Nachr. die deutsche Presse,
von ihren Veröffentlichungen bezüglich des Hinscheidens
des Fürsten, auch Sonderausgaben, freundlichst ein Exem-
plar nach Friedrichsruh einzusenden zur dauernden Auf-
bewahrung im fürstlichen Archiv.
Coburg, 2. Aug. Heute Vormittag 11 Uhr fand in
der Hofkirche die feierliche Vermählung der Prinzessin
Dorothea von Sachsen-Coburg-Gotha mit dem Herzog
Ernst Günther von Schleswig-Holstein-Sonderburg-
Augustenburg statt. Nach der Feierlichkeit fand ein Fa-
milienfrühstück statt. Um 4 Uhr reiste das Paar ab.
Cron berg (Taunus), 2. Aug. Kaiserin Friedrich
ist heute Vormittag nach Bad Nauheim gefahren, um der
Kaiserin von Oesterreich einen Besuch abzustatten.
Baden. Der neue Erzbischof Thomas Nörber
ist ein verhältnißmäßig noch junger Mann; er ist geboren
in dem Pfarrdorf Waldstetten (Amt Buchen) am 19. De-
cember 1846, besuchte das Gymnasium und die Universität
Freiburg und wurde am 29. Juli 1870 zum Priester ge-
weiht. Von da bis zum Jahre 1880 war er Vikar bezw.
Pfarrverweser in Mannheim, kam 1889 als Pfarrverweser
nach Seckach und 1881 als solcher nach Hardheim. Im
Jahre 1888 wurde er Pfarrverweser in Lichtenthal und

3)

Ans dem Zweirade.
Eine Novellette von Emil Steinweg.

(Fortsetzung.)
r Zu größerer Vorsicht batte sie jedoch einmal eine Gelegen-
en benutzt, um in Beider Gegenwart zu erklären, daß sie
ihre Hand einem Manne reichen würde, der einen
"Oberen im Duell gelobtet oder auch nur verwundet hätte.
"Ann ein solcher Wütherich," setzte sie erläuternd hinzu,
ja auch im Stande, gegen mich die Waffe zu erheben."
Aese sxstx Willensäußerung hatte bedeutend viel Oel auf
bochgehenden Wogen der Leidenschaft beider Jünglinge
^gossen.
„lange Gottlieb" die Beiden von Ferne gewahrte,
Mßnsterte sich sein röthliches, von semmelblondem Haar und
Art umrahmtes Gesicht dermaßen, daß es der Abendwolke
s."ch, die von der Gluth der hinter ihr untergegangenen
«, ?"ne blauroth gefärbt und hellgelb umsäumt wird. Er
Ar gerade auf das in einander versunkene Pärchen los und
seinem grimmigen Gesicht wie ein böser Spuk in Huldas
Ar Träumereien. Wie das Schattenbild früherer Zeit, wie
G-tzGApenst vergangenen Jahres, das einen leisen
Awiffensdruck bei ihr zurückgelassen hatte, tauchte sein
?Ares Antlitz jetzt plötzlich vor ihren Augen auf und er-
H"ckte sie so sehr, daß sie mit kurzer Wendung nach links
ustwg und mit solcher Gewalt ihren ahnungslosen Begleiter
"nte, daß Beider Maschinen umstürzten. Er, der ge-
s,„"dte und in allerlei Unfällen geübte Sportsmann
freilich auf den Füßen stehen, sie aber fiel mit voller
Aucht auf die rechte Schulter und stieß einen Mark und
Aw erschütternden Schrei aus- Im nächsten Augenblick
ar der Verursacher des Unglücks zur Stelle und sprang ab.
^cyrnuck aber batte bereits sein eigenes Fahrrad, das er noch
Lu einer Hand gehalten, sowie Huldas, das auf ihr lag, zur
geschleudert, war niedergekniet und suchte die am Boden

liegende und vor Schmerzen stöhnende Schöne sanft zu um-
fassen und aufzurichten.
„Herr." schnaubte ihn der lange Gottlieb an, „Sie tragen
die Verantwortung für dieses "
„Herr", unterbrach ihn der schmucke Achilles, ebenfalls
schnaubend, „holen Sie lieber eine Droschke! Reden sind hier
überflüssig."
Das schien dem blonden Kämpen einzuleuchten; denn
ebenso schnell, wie er abgesessen war, sprang er wieder auf
sein Rad und sauste stadtwärts davon, wie von den Furien
gejagt, ein Vergleich, der wohl nicht so ganz unpassend er-
scheinen wird, wenn man bedenkt, daß er doch kein Mensch
ohne Gewissen war und daher jetzt die Anklage dieses seines
Persönlichen Staatsanwaltes anhören mußte. Inzwischen
hatten die zahlreich dort vorüber kommenden Spaziergänger
schon einen Kreis um die Verunglückten gebildet und ergingen
sich in allerlei Ausrufen und Bemerkungen, so daß Schmuck,
nachdem es ihm gelungen war, das junge Mädchen wieder
auf die Füße zu bringen, es für gerathen hielt, sie etwas ab-
seits zu führen.
„Das kommt von das dolle Jagen!" sagte ein ehrsamer
Bürger.
„Ja, ja," meinte eine behäbige Frau, Mutter einer
zahlreichen, sie umgebenden Kinderschaar, „sie sollte lieber
us de Nähmaschine trampeln, da bricht sich Keener den
Arm bei."
Dies Wort schlug wie die Posaune des jüngsten Gerichts
an des schmerzerfüllten Sportsmannes Ohr. Verstört blickte
er seine Dame an und fragte mit tonloser Stimme und fast
schluchzend, während ihm zwei dicke Thränen aus den Augen
rannen und sein Gesicht ein seltsam krauses Mienenspiel
zeigte: „Ist der Arm — wirklich — gebrochen?"
Die schöne, kurz vorher noch purpurrothe, jetzt so bleiche
Leidende sah ihn verwundert an: Dieser so unerschrockene
und tapfere Mann, der selber manchen Unfall am eigenen
Leibe erlebt und lächelnd ertragen, der jeder Gefahr, ja dem
drohenden Tode kaltblütig ins Auge geschaut hatte, vermochte

jetzt nicht seinen Schrecken, seine Aufregung zu verbergen
und das Zittern der Stimme zu unterdrücken! Wie sehr er
sie liebte! Das erkannte sie jetzt an seinem Schmerze deut-
licher, als irgend ein anderes Zeichen es ihr hätte verrathen
können. Ein langer, dankbarer Blick traf ihn bis ins Innerste
der Seele.
„Nein," sagte sie ruhig und zwang sich zu einem
schwachen Lächeln, „der Arm thut mir nicht weh, nur die
Schulter."
„Ach, ich werde es mir nie verzeihen," schluchzte er wieder,
„ich bin Schuld daran."
„Nein!" versetzte sie lebhaft. „Beruhigen Sie sich doch!
Es war meine Schuld ganz allein."
„Nein, nein!" rief er voller Verzweiflung. „Wäre ich
nicht zu Ihnen gekommen, hätte ich Sie allein fahren lassen,
wäre das Unglück nicht geschehen."
„Bei jedem Unglück ist bekanntlich auch ein Glück,"
sagte sie bedeutungsvoll. — Gewiß! Denn ohne diesen Un-
fall hätte sie ja niemals erfahren, wie weich und mitfühlend
dies kühne Herz war, und wie beiß es sie liebte^. Er ver-
stand sie aber nicht und blickte sie fragend an. Sie lächelte
und wandte das Gesicht ab. . .
Die Zeit des Wartens wurde ihnen lang und Schmuck
fing an, unruhig zu werden.
„Er wird doch kommen? l" rief er besorgt aus.
„O gewiß!" entgegnete sie. „Herr Kümmel läßt mich
nicht im Stich. Aber es wird heut schwer halten, eine
Droschke zu finden." —
Endlich erschien das ersehnte Gefährt, vom langen Gott-
lieb begleitet, der nicht gewagt batte, vorauszueilen, um an
solchem kritischen Tage, wie es ein Pfingstmontag ist, das
viel begehrte Vehikel nicht aus den Fingern zu lassen. Man
hob das Fräulein vorsichtig in den Wagen und bettete es
sanft und sorgsam auf die Kissen.
(Fortsetzung folgt.)
 
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