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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 255 - 280 (1. November 1898 - 30. November 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0573

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Telephon-Anschluß Nr.'82.

Xr. 280.

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15 Pf. f>-r die Ispaltige
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Für hiesige Geschäfs- und
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. Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
v tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.

Telephon-Anschluß Nr. 82.

Millmch, de« W. Naiikmbcr

18S8.

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auf die Heidelberger Zeitung für den Monat December
werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den Ageu-
ren, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der Expedi-
tion, Untere Neckarstraße Nr. 21, angenommen.
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gebracht; durch die Post bezogen für den Monat December,
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Die Angelegenheit Dreyfus-Picguart.
Bei der vorgestrigen Debatte über die Picquart-
Jnterpellation in der französischen Deputirtenkammer hat
U. A. auch der Abg. Poincaro das Wort ergriffen, der 1894,
als der Dreyfusprozcß verhandelt wurde, Minister mar.
Es ist bemerkenswerth, wie energisch der frühere Minister
betonte, daß er an der Dreyfussache völlig unbetheiligt
sei und wie entschieden er sich als Revisionist erkannte.
Poincaiö führte aus: Seit zwei Jahren habe er sich wie jeder-
mann nach dem Durchbruche der Wahrheit geiehnt. Er sei der
Ansicht, daß die Entscheidungen der Gerichte nicht durch ungesetz-
liche Mittel erschüttert werden dürften. Er habe die Regierung
schon aufgefordert, den Mißbräuchen in den Bureaus des Kriegs-
ministeriums ein Ende zu machen. (Lebhafter Beifall.) Heute
werde außerhalb der Regierung der Versuch gemacht, die Ent-
deckung aller Mißbräuche zu hintertreiben. Die Verfolgung Pic-
guarts habe vollständig den Anschein von Repressalien. Seine
Geheimhaft ist in ungerechter und unerlaubter Weise verlängert
worden, während andere, die schwere Fehler begangen hatten,
unbehelligt in Freiheit blieben. So wurde der Urheber von Fäl-
schungen nicht verhaftet, und Picquart allein schmachtete im Ge-
fängniß. Solche Thatsachen müssen auch die ruhigsten Gemüther
in Aufregung versetzen. (Lärm und Beifall) Die Männer, die
1894 am Ruder waren, haben die Pflicht, keine Kundgebung der
Wahrheit zu verhindern. Im Jahre 1894 habe er wie viele
seiner Kollegen, die Verhaftung Dreyfus erst vier Tage später
durch Zeitungsartikel erfahren. (Anhaltender Beifall, Bewegung.
Barthou (Republ.): Das ist die Sprache der Wahrheit! Neuer
Beifall und anhaltender Lärm.) Zur Stunde ist es die Pflicht
aller, die die Wahrheit kennen, sie kund zu geben. Die Minister
von 1894 haben nie von einer anderen Anklage gegen Dreyfus
gehört, als von der wegen des Bordereaus. Weder der Minister-
präsident Dupuy noch irgend ein anderer seiner Kollegen von
1894 hat von dem Geständniß Dreyfus' an den Hauptmann
Lebrun-Renaud etwas gehört. (Lebhafter Beifall. Cavaignac
von seiner Bank: Ich muß die Worte des Redners richtig stellen.
General Mercier hat die Geheimnisse Dreyfus erfahren.) Ich
. nehme diese Berichtigung gern an, aber General Mercier hat
keinem seiner Kollegen ein Wort davon gesagt, und Hauptmann
' Lebrun-Renaud hat vor dem Ministerpräsident Dupuy von diesen
, Geständnissen kein Wort verlauten lassen. (Beifall auf zahlreichen
Bänken, auffallend großer Lärm. Cavaignac versucht von seinem
X Platze aus zu sprechen, aber heftiger Lärm erhebt sich und ver-
hindert ihn daran.) Keiner der Minister von 1894 hatte das
Recht, seine Meinung derjenigen eines Kriegsgerichts unterzu-
schieben. (Bewegung.) Heute stehen wir vor neuen Thatsachen,
die der Kassationshof prüft. Es ist nothwendig, daß der Kassa-
tionshof unabhängig arbeite, und daß jedes andere Gerichtsver-
fahren, das mit der Treyfusangelegenheit zusammenhängt, auf-
geschoben werde. Das würde unseren Ueberlieferungen der Ge-
rechtigkeit und der Freiheit entsprechen. (Anhaltender Beifall.)
Redner erklärt sich zum Schlüsse darüber befriedigt, eine Gelegen-
heit gefunden zu haben, um sein Gewissen zu entlasten. (Beifall
Und Bewegung.)
Auch der frühere Kriegsmiuister Cavaignac hat in der
Sitzung das Wort ergriffen. Er behauptete, cs liege ein
Bericht Lebrun-Renauds über ein Geständniß des Dreyfus
vor. Dann führte er aus, Picquart habe schon Monate
lang gewartet; es sei Zeit, daß sein Prozeß endlich geführt
werde. Die Ausführungen Cavaignac's fanden wenig
Beachtung. Dagegen ist ein Wort bes jetzigen Minister-
präsidenten überall mit Verständniß aufgegriffen worden.
Dupuy führte aus, daß der Kassationshof, wenn er wolle,
die Akten Picquarts einfordern könne und daß die Regie-
rung dafür sorgen würde, daß er sie erhalte. Man glaubt

nun, daß der Kassationshof in der That diese Akten dem-
nächst cinfordern und zunächst bei sich behalten werde, so-
daß der Prozeß Picquart vor dem Kriegsgericht am 12.
December nicht stattfinden könne.
Im Senat hat Dupuy gestern die gleiche Erklärung
abgegeben. Er fügte hinzu, der Kassationshof besitze alle
Rechte, könne alle Akten einfordern, mit einem Worte, die
Machtvollkommenheit des Kassationshofes sei unbeschränkt
und vollständig discretionär. Dupuy gab zu, daß die Re-
gierung von sich aus das Recht besitze, den Ternsin für
das Kriegsgericht zu verschieben. Sie möchte aber von
diesem Rechte keinen Gebrauch machen.
Inzwischen wird Picquart fast täglich von dem Kas-
sationshof als Zeuge in der Dreyfussache verhört. Dort
hat er nun die Stelle gefunden, wo er rückhaltlos vor
unbefangenen Männern Alles sagen kann, was er in der
Sache weiß. Wenn man zurückdenkt, welch schwere Kämpfe
nöthig waren, bis es so weit kam, so darf man sagen,
diese seltsame Dreyfusaffaire hat den schwierigsten Theil
ihres Marsches zum guten Ausgang hinter sich.
Für Picquart haben in den letzten Tagen in Paris
mehrere Kundgebungen staltgefunden; eine im Arbeiter-
viertel, eine andere in einer Versammlung von Professoren
und Studenten. Welch ein Wandel seit dem Zolaprozeß
im Februar dieses Jahres, da Picquart als Haupt-
entlastungszeuge von allen Seiten beschimpft und schließ-
lich noch aus dem Heere entfernt wurde! Die Kund-
gebungen für Picquart haben die Generalstabsleute ver-
anlaßt, auch eine solche gegen ihn zu insceniren. Circa
200 Leute zogen vorgestern vor das Militärgefängniß und
demonstrirten dort. Die Hochrufe auf Picquart aber über-
tönten die Stimme seiner Gegner.
Man hat den Eindruck, als wenn der Alp, der so
lange auf Frankreich lastete, nun schwindet und Frankreich
wieder zu sich kommt.
Deutsches Reich
— Im nächsten Militäretat ist nach der Allg. Ztg.
eine Vermehrung der Präsenzstärke von 13 770 Mann und
3819 Pferden vorgesehen.
— Gegenüber der Meldung der Deutschen Tagesztg.,
Major v. Miss mann sei, weil er durch sein energisches
und selbstloses Auftreten im Interesse der deutschen Colonial-
gesellschaft gewissen Leuten unbequem geworden sei, mit
einem Colonialskandal la, Peters bedroht worden und
nur durch die Wachsamkeit und das Dazwischentreten einiger
treuer Verehrer und Freunde sei dieser Plan im Keime er-
stickt worden, ist die Nords. Allg. Ztg. zu der Erklärung
ermächtigt, daß diese Nachricht jeder thatsächlichen Grund-
lage entbehre und als rein tendenziöse Erfindung
zu kennzeichnen sei.
Baven. — Weinheim, 29. Nov. Am letzten Sonntag
erstattete Landtagsabgeordneter Pfisterer im „Schwarzen
Adler" hier Bericht über seine Thätigkett im letzten Landtag.
Nach dem hiesigen Anzeiger erklärte der Abgeordnete, daß er
immer das Wort in der Kammer eingelegt habe, wenn es die
Interessen seines Wahlbezirks erheischt hätten, im Ganzen
45 Mal. Herr Hohgräfe aus Heidelberg tadelte das Ver-
halten einiger nattonalliberaler Blätter, welche die Kammerreden
des Abgeordneten s. Zt. nicht wortgetreu gegeben und in's
Lächerliche gezogen hätten. (Der Herr Abgeordnete setzt die
Blätter in dieser Hinsicht aber auch in gar große Versuchung.
Red.) Zugegen waren etwa 60 Personen. Zum Schluß dankte
Herr Pfisterer den Erschienenen und brachte auf unseren Landes-
fürsten ein Hoch aus. _
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
Zollsekretär Obecsteuercontroleur Albert Wunsch in Metz das
Ritterkreuz zweiter Klasse des Ordens vom Zähringer Löwen

verliehen, dem Generaldirektor der Staatseisenbahnen, Geheime-
rath W. Eisen! ohc, die unmittelbare Leitung der bei der Ge-
neraldirektion gebildeten Verwaltungsabtheilung übertragen, den
Direktor August Roth, derzeit Vorstand der Abtheilung für
Gütertarifangelegenheiten, zum Vorstand der Vcrkehrsabtheilung,
den Oberbaurath Karl Seiz unter Verleihung des Titels „Be-
triebsdirektor" zum Vorstand der Betriebsabtheilung und den Re-
gterungsrath Josef Henn bei der Generaldirektion der Staats-
eisenbahnen zum Oberregierungsrath ernannt, dem Professor Lud.
wig Levy an der Baugewerkschule in Karlsruhe die Erlaubniß
zur Annahme und zum Tragen des ihm verliehenen Kgl. Preuß.
Rothen Adlerordens 4 Kl. ertheilt.
— Betriebs-Assistent Johann Haas in Krauchenwies wurde
zum Stationsvelwalter ernannt, Expeditionsassistent Alb. Meyer
in Säckingen nach Radolfzell und Expeditionsassistent Friedrich
Eglau in Radolfzell nach Säckingen versetzt.

Ausland
Spanien. Madrid, 29. Nov. Der gestern erfolgte
endgiltige Verlust des o st as i a ti s ch en Colonial-
reiches wird — wenn auch unter Protesten gegen die
Vergewaltigung — fast allgemein mit Resignation aufge-
nommen.

Aus Stadt und Land.
Heidelberg, 30. November.
ffff Transport von Leichen. In Gemeinden ohne Kranken-
haus wird nicht selten von der nach Lage des Falles an sich ge-
botenen oder zweckmäßigen Verbringung gefährlich erkrankter
Personen in das Krankenhaus einer benachbarten Gemeinde deß-
halb Umgang genommen, weil die Angehörigen für den Fall
eines tödtlichen Verlaufs der Krankheit die Kosten eines Leichen-
passes scheuen. Es ist deßhalb bestimmt worden, unbeschadet der
Vorschriften über die Einsargung der an ansteckenden Krankheiten
Gestorbenen, daß eine polizeiliche Erlaubniß zur Ueberführung
einer Leiche nicht erforderlich ist, wenn eine Leiche ohne Be-
nützung der Eisenbahn aus einem öffentlichen Kranken-
haus auf den für die Heimathsgemeinde des Verstorbenen mit
bezirksamtlicher Genehmigung bestimmten, nicht mehr als 15 Klm.
entfernten öffentlichen Begrädnißplatz verbracht werden soll. Ebenso
ist ein Transport von Leichen ohne polizeiliche Erlaubniß auch
dann statthaft, wenn bei plötzlichen oder gewaltsamen Todesfällen
außerhalb der Gemarkung des Wohnortes des Verlebten die
Leiche ohne Benützung der Eisenbahn auf den nicht mehr als 15
Klm. entfernten Friedhof der Heimathsgemeinde verbracht wer-
den soll, doch ist bei gewaltsamen Todesfällen der Trans-
port erst zulässig, wenn seitens des zuständigen Staatsanwaltes
oder Amtsrichters die schriftliche Genehmigung zur Beerdigung
ertheilt ist.
/X 2. academ. Vortrag zum Vesten des Frauenvereins. An
Stelle des nach Mü nchen berufenen Herrn Du M o ul in - Eckart
hat Herr Prof. Hoops gestern einen Vortrag zum Besten des
Frauenvereins gehalten. Herr Hoops hatte das Thema gewählt:
„Byron's Stellung zu den englischen Dichtern seiner Zeit." Zu-
nächst wies der Herr Redner auf das Urtyeil Byron's über
frühere Dichter bin. Shakespeare wird von Byron äußerlich nichc
sehr warm anerkannt, doch war er ein genauer Kenner seines
großen Landsmannes; in Milton ehrte Byron den Dichter, noch
mehr aber den Freiheitsmann. Unbedingt war seine Hingabe an
Pope; der mit ihm äußerlich und innerlich Manches gemein hat
vnd für dessen Werthschätzung er kämpfte. Seine Hochschätzung,
ja Ueberschätzung Popes trug mit dazu bei, daß er sich zu den
Dichtern seiner Zeit im Allgemeinen nicht günstig stellte. Der
Herr Redner führte dies des Näheren aus, indem er die einzel-
nen Dichter Revue passircn ließ Eine der wenigen Ausnahmen
b ldete Shelley, der auf Byron sogar einen starken Einfluß aus-
geübt hat. So ist erst kürzlich von einem in Heidelberg
wohnenden jungen Forscher herausgefunden worden, daß
Byron die Anregung zu seinem Manfred aus einem fast
vergessenen Jugendroman Shelleys geschöpft hat. Im Jahr 1906
wird man übrigens zur Äeurtheilung Byrons neues Material
erhalten, da zu diesem Zeitpunkt der versiegelte Nachlaß eines
ihm nahestehenden Zeitgenossen geöffnet werden wird.
K Vernehmung einer Sachverständigen. In auswärtigen
Blättern liest man: Unter den Sachverständigen aus dem Wirth-
schaftsgewerbe, die kürzlich in Berlin von einer Kommission ver-
nommen wurden, befand sich auch eine flotte charmante Kellnerin
aus dem Perkeo hier. Da sie in gewandter Sprache, nachdem
sie eine tadellose Verbeugung gemacht hatte, nur Gutes aussagte,
werden die Herren in Berlin von den hiesigen Wtrthschaftsver-
hältniffen einen sehr günstigen Eindruck empfangen haben.

Nur frisch gewagt.
49) Eine heitere Garnisongeschichte von Hugo Dinckelberg.
! (Fortsetzung.)
Der Klassenunterschied der Gesellschaft wich, und mehr und
j Mehr traten Gleichberechtigung und gleiche Lust und Freude
>n den Vordergrund. Viel trug dazu die wirklich prächtige,
anregende und erheiternde Ballmusik und die unermüdliche
Liebenswürdigkeit des Herrn Grafen v- Reuthern bei. Dem Wal-
zer folgte eine Tyrolienne, der Tyrolienne eine Quadrille. Herr
v. Rabcnau hatte sich an dem zweiten Rundtanz nicht betheiligt,
er hatte sich während desselben mit dem Herrn Obersten, dem
Amtsrath Freitag, dem Grasen v. Angern und anderen älteren
t Herren unterhalten, dabei immer und immer wieder nach der
mit dem Premierlieutenant v. Bülow tanzenden Baronesse
v- Stein ausschouend, was von dieser wohl bemerkt wurde,
während Herr v. Rabenau Auroras schmachtende Blicke unbe-
merkt gelassen hatte.
Zu der Quadrille aber hatte der Graf schon wieder für
feine Lieblinge gesorgt. „Rabenau," hatte er diesem nach
Schluß des Walzers zuaerufen, „die Quadrille tanze ich mit
unserem Fränzchenl" Das halte genügt. Es war erklärlich,
daß die Frau Gräfin mit ihrem Gatten in demselben Quarr«
tanzen wollte, und Herr v. Rabenau hatte darnach die Frau
Gräfin v. Reuthern zur Quadrille engagirt. Zur Vervoll-
ständigung des Quarrös erwählte sich der Graf den Herrn
Jnspector Kunze mit der kleinen Agnes und Herrn v. Secken-
dorf mit Fräulein Aurora Feuerstahl. Der junge Officier
war zu diesem Engagement zwar schwer zu bewegen gewesen,
der Graf hatte ihm dasselbe aber zur Bedingung gemacht,
wenn er seiner kleinen Agnes im Quarrö gegenüberstehen
wolle. „Famoses Quarr«," lachte der Graf. Als die En-
liagemenls vollzogen waren und als die Musik das Zeichen
Sum Antreten gab, eilte er glückstrahlend zu der Baronesse.
-Jetzt wollen wir einmal recht fröhlich miteinander sein,"
redete er sie an, „so fröhlich wie wir es sonst immer mit-
einander sind, wie Sie es heute aber noch nicht waren. Was

Hal denn unser liebenswürdiger Regimentstobold heule elgenl-
lich vor, daß er so ernst gesinnt ist?" — „Ich ernst?" er-
widerte die Gefragte, „das weiß ich ja gar nicht!" — „Das
wissen Sie nicht? Uns ist es schon längst aufgefallen und Ihr
Papa sprach erst vor kurzem darüber!" — „Mein Papa auch ?
Ja, dann wird es wahr sein und ich muß mich bessern I
Und Franziska v. Stein versuchte zu lachen, es wollte ihr
aber nicht so recht gelingen. „Franziska!" fuhr der Graf fort,
„haben Sie denn gar kein Vertrauen mehr zu mir? —
„Gewiß!" lautete die Antwort. „Nun so sprechen Sie doch!
— „Was soll ich denn sprechen?" — „Nun den wahren
Grund Ihrer ernsten Stimmung sollen Sie mir sagen!" —
„Ich ärgere mich!" — „Sie ärgern sich? Ueber was und über
wen denn?" — „Ueber mich selbst und über —" — „Nun
und über?" — „Ueber noch Jemand —" — „Ueber noch Je-
mand! Das ist köstlich, und nun weiß ich es ganz genau!"
— „O nichts wissen Sie genau, Sie wissen nichts, gar nichts,
Herr Graf, und sollen auch nichts wissen. Doch lassen Sie
es nur gut sein, ich verjage die Grillen und will Ihrem
Wunfche gemäß recht vergnügt sein. Quadrille das ist ja mein
Lieblingstanz!" Und fort waren in Wirklichkeit die Grillen,
Franziska stand mit vor Freuden gerötheten Wangen vor
dem Grafen und klatschte wie ein Kind in die Hände. „Aber
nun kommen, kommen Sie!" rief sie. In den Augen des
Majors lag fast väterliches Glück, und er konnte sich nicht
enthalten, seinem Lieblinge einen leichten Kuß auf die weiße
Stirne zu drücken, war ihm doch Franziska wirklich wie eine
eigene Tochter ans Herz gewachsen, und wie viele Jahre hin-
durch batte er sie als Kind auf seinen Knieen geschaukelt, ihr
dann Reitunterricht gegeben und sich dabei oft über die Kühn-
heit des jungen Mädchens gefreut, bis es dem Meister in der
Kunst des Reitens fast ebenbürtig zur Seite stand. Der Graf
bemerkte jetzt den Obersten, welcher nicht weit von ihnen ent-
fernt saß, er wandte sich zu diesem hin und fragte scherzend:
„Sie zürnen mir doch nicht, Herr Graf, daß ich mir hier
etwas Baterrecht aneigne?" — „Mit Nichten!" rief dieser
freundlich zurück, „ich freue mich darüber!" Und ein Blick
des Dankes begleitete diese Worte. Der Freiherr dachte an

die ichweren Stunde zurück, da seine Frau krank darnieder--
gelegen und ihm in dieser Zeit der Graf die aufopferndste
Freundschaft gezeigt hatte.
„Haben Sie schon ein vis a vis?" fragte jetzt Fränzchen
ihren väterlichen Freund. — „Gewiß!" lautete die Antwort,
„meine Frau!" — „Ach das ist prächtig!" rief Franziska,
„und wer tanzt mit der Frau Gräfin?" — „Der Herr Ritt-
meister —" — „v. Rauchhaupt 2" — „Nein v. Rabenau!" —
„v. Rabenau?" und mit diesem Worte schwand Franziskas
Fröhlichkeit wieder. — „Ist Ihnen das nicht recht?" fragte
der Graf, „ich glaubte, Sie würden sich darüber freuen!" —
„Durchaus nicht! Im Gegentheil, es ist mir unangenehm!"
— „Unangenehm? Ja das sind wohl wieder die alten
Grillen?" — „Keine Grillen, Herr Grat, ganz gewiß keine
Grillen!" — „Sie mögen den Rittmeister wirklich nicht?" —
„Es ist mir peinlich mit ihm zusammen zu kommen!"
(Fortsetzung folgt.)
Stadttheater.
O Heidelberg, 30. November.
„Auf der Sonnenseite", Lustspiel in 3 Aufzügen von
Oscar Blumenthal und Gustav Kadelburg.
Da ist ein biederer Handwerksmeister, der durch seiner Hände
Arbeit zu einem großen Vermögen gekommen ist und nun ein
großes Haus macht, wobei er sich nach bestem Können blamirt.
Er heißt aber nicht Mampe, und das Stück heißt nicht „Stabs-
trompeter", sondern der Mann heißt Wulckow und das Stück ist
das neuste Lustspiel von Blumenthal und Kadelburg. — Da ist
ein junger Mann, dessen Leben sich zum großen Theil aus ver-
paßten Gelegenheiten zusammensetzt. Er heißt aber nicht Gempe
und das Stück heißt nicht „Großstadtluft", sondern der junge
Mann ist — vermnthlich in Anerkennung seiner dauernden Ver-
wendbarkeit als Lustsptelfigur—in den Adelstand erhoben worden
und heißt jetzt Freiherr v. Brick und das Stück ist das neueste
Lustspiel von Blumenthal und Kadelburg. — Da ist ein anderer
Freiherr, der seine derangtrten Vermögensverhältnisse durch eine
Heirath in der Bürgersphäre aufbessert und dabei mit der Tugend
 
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