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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

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Nr. 150 - 175 (1. Juli 1898 - 30. Juli 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0062

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Das Haus beschließt antragsgemäß.
Minister Eisenlohr eröffnet dem Hause im Allerhöchsten
Auftrage, daß der Landtag vertagt sei.
Präsident Gönner widmet dem Hause einige herzliche Ab-
schiedsworte. Schluß der Sitzung halb 12 Uhr.
Preußen. Berlin, 15. Juli. Heute ist eine für
die ganze preußische Monarchie gültige Verfügung ergangen,
durch die das Treiben von Gänsen grundsätzlich ver-
boten wird. Die Verfügung enthält nähere Bestimmungen
über die Art des Gänsetransportes, der auf der Eisenbahn
in besondern Wagen und Körben stattzufinden hat. Da durch
das Treiben der Gänse, namentlich solcher die aus Ruß-
land kamen, in vielen Gegenden die Geflügelcholera ein-
geschleppt wurde, war eine derartige Maßnahme nöthig.
Zuerst war nur eine Bestimmung für die Grenzgegenden
getroffen. Gegen dieselbe erhob Rußlano Einspruch, weil
sie angevlich mit dem Geist des deutsch-russischen Handels-
vertrages in Widerspruch stehe. Nun hat man
diese allgemeine Verfügung erlassen. In Anbetracht des
Umstandes, daß die neue Regelung nicht nur die russische
Gänse-Einfuhr, sondern den gesammten Handelsverkehr mit
Gänsen im deutschen Reiche betrifft, also eine rein inner-
polizeiliche Bedeutung hat, wird dieser russische Einspruch
sicher nicht aufrecht gehalten werden können. — Ein russi-
sches Blatt hat dann noch einen zweiten Beschwerdepunkt
vorgebracht, indem es behauptet, die Frachten für russisches
Getreide nach Königsberg und Danzig seien nicht dem
Handelsvertrag entsprechend. Eine russische Beschwerde sei
erhoben worden. Hiervon ist jedoch in Deutschland nichts
bekannt.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben den
Reallehrer August Stein brenn er am Gymnasium zu Heidel-
berg und den Oberlehrer Martin Brugg er am Gymnasium zu
Konstanz auf ihr Ansuchen unter Anerkennung ihrer langjährigen
und treugeleisteten Dienste auf den Schluß des laufenden Schul-
jahres in den Ruhestand versetzt.
— Durch Entschließung Großh. Steuerdirektion wurde Steuer-
kontroleur Emil Bender beim Finanzamt Schwetzingen in
gleicher Eigenschaft zum Finanzamt Emmendingen versetzt und
Revident Emil St etter bei Großh. Zolldirektion zum
Steuerkontroleur ernannt und dem Finanzamt Schwetzingen zu-
getheilt.
— Wie bekannt geworden ist, sind neuerdings wieder einige
Mädchenhündlcr aus Buenos-Ayrcs nach Europa abgcreist,
welche beabsichtigen sollen, das Elsaß und die Schweiz auf-
zusuchen. Im Hinblick darauf wird drinaend vor Personen
gewarnt, die Mädcken oder Frauen zur Auswanderung nach
Argentinien zu verlocken suchen.

Ausland.
Oesterreich-Ungarn. Ischl, 15. Juli. Die Kaiserin
von Oesterreich ist heute Vormittag nach Bad Nau-
heim abgereist.
Frankreich Paris, 15. Juli. Das Generalstabs-
blatt Echo de Paris meldet, der ehemalige Oberstlieutenaut
Picquart habe in seiner Zelle einen Selbstmord-
versuch gemacht; in einem Anfalle von Verzweiflung
Habs er versuchte, sich den Kopf an der Mauer zu zer-
schmettern. Mehrere Beamten waren die ganze Nacht über
bei ihm gewesen. Picquart sei von einer heftigen Nerven-
krisis befallen worden und der Wächter hätte ihm, um ihn
zu bändigen, die Zwangsjacke anziehen wollen, aber der
Direktor, den man geweckt, habe diese Maßregel für un-
nütz erklärt. Als Picquart wieder zu sich gekommen, habe
er den Wächtern für ihren Beistand gedankt. (Wer weiß,
wie Picquart im Gefängniß behandelt wird.) Der Matin
spricht nur davon, daß Picquart eine schwere Nervenkrisis
gehabt, während deren er schrie und sich auf dem Boden
wälzte; die Aufseher und der Inspektor seien herüeigeeilt
und leisteten ihm Hülfe. Picquart beruhigte sich nach
einiger Zeit wieder. Der Zwischenfall hat das Gerücht
veranlaßt, Picquart habe Selbstmord versucht. Der Gau-
lois dagegen erzählt, Esterhazy, sowohl wie Picquart, die
beide im Gefängniß La Santo in den Zellen für politische
Verbrecher sitzen, hätten den Muth nicht verloren. Sie
äßen mit gutem Appetit und hoffen, daß ihre Haft bald
zu Ende sei. Picquart habe gesagt: „Ich kann leiden,
denn ich habe die Sache heraufbeschworen, aber der Un-
glückliche auf der Teufelsinsel ist weit mehr zu beklagen,
als ich." Diese Stimmung läßt also nicht auf Selbst-
mordversuch und Verzweiflung schließen.
Rußland. Petersburg, 15. Juli. Der Kaiser
und die Kaiserin empfingen heute Mittag die Offiziere
und Kadetten des Schulschiffes „Charlotte" in Peterhof
in Audienz. Das Kaiserpaar empfing zuerst den Komman-
danten der „Charlotte", Capitän zur See Müller, in Be-
gleitung des deutschen Marineattachos allein und unterhielt
sich längere Zeit mit ihnen. Der Zar gab seiner Freude
über den Besuch der „Charlotte" Ausdruck und erkundigte
sich eingehend nach den persönlichen Verhältnissen der Offiziere
und Kadetten. Sodann stellte der Commandant die Offiziere
und Kadetten vor, denen der Zar die Hand zur Begrüßung

reichte. Nach der Audienz fand im Schlosse Peterhof Früh-
stückstafel statt.
Türkei. Konstantinopel, 15. Juli. Die letzte
Rate der griechischen Kr ie g s e nts ch ä d i g un g wurde
zum festgesetzten Termin bei den Filialen der Ottomaui-
schen Bank in Paris und London einqezahlt.
Konstantinopel, 14. Juli. Im Mdiz-Kiosk ist
nun die offizielle Mittheilung angelangt, daß Kaiser
Wilhelm am 17. Oktober, also vor seiner Jerusalem-
Fahrt, in Konstantinopel eintrcffen wird. Der hiesige
Aufenthalt des Kaisers wird fünf Tage dauern. Was
die Kaiserreise nach Egypten betrifft, so wird von egyptischer
dem Khedive nahestehender Seite versichert, diese Reise sei
definitiv beschlossen. Der Aufenthalt des Kaisers im
Pharaouenlande ist auf zehn Tage bemessen. Er soll in
Kairo gegen den 14. November ankommen; auch eine Fahrt
den Nil hinauf bis Assuan ist in Aussicht genommen.
Arrs Stadt rrnd Land.
Heidelberg, 16. Juli.
88 Kunstverein. Die Ausstellung der neun Oelgemälde
von Prof. Haus Gude Berlin hat am letzten Sonntag neben
dem künstlerischen auch materiellen Erfolg zu verzeichnen gehabt,
indem 2 Gemälde, „Am Christianiafjord" um 1600 M. und
„Eorswandsee" um 1000 M., von einem hiesigen Privaten an-
gekauft wurden. Wir weisen in Bezug auf die Gude'schen Ge-
mälde auf die Ausführungen der Nr. 157 dec Zeitung. Zu den
drei großen, stimmungsvollen Hochgebirgslandschaften von Georg
Macco, Düsseldorf, ist heute noch ein viertes gekommen, „Däm-
merung in der Eiswelt", ein Bild erhabener Ruhe und Hoch-
gebirgseinsamkeit. Die letzten Sonnenstrahlen fallen auf die
höchsten Bergesgipfel, während Mond nnd Sterne schon sichtbar
sind und das Ganze magisch beleuchten. Dabei ist die Luft klar
nnd durchsichtig rein. Ein Gefühl der Kälte überkommt den
Beschauer beim Anblick des ewigen Eises und er schauert bei dem
Gedanken, in der Einsamkeit da oben verbannt zu sein. Der
talentvolle Maler nennt dieses Gemälde seine beste Arbeit. Wir
sind überzeugt, daß ihm alle Anerkennung zu Theil werden wird.
Berechtigtes Aufsehen erregten die 10 satirischen Tuschzeichnungen
von Fritz Haß in München, mit seiner Geißelung der vier Fakul-
täten, der Presse, des Handels, des Militarismus, der Land-
wirthschaft, der Industrie, des Anarchismus. Sie dürften sich
als ganz besondere Zugkraft erweisen. Ueber die vielen, sonstigen
interessanten Oelgemälde und Aquarelle wurde schon in Nummer
157 d. Ztg. berichtet. Der Besuch des Kunstvereins kann nur
bestens empfohlen werden, zumal da sehr vieles von dem Guten
morgen letztmals ausgestelli ist.
O Doppelconcerte. Ueber die Doppelconcerte, welche bei
günstiger Witterung morgen, Sonntag, den 17. d. M., stattfinden,
kann noch mitgetheilt werden, daß die Programme der Boettge-
schen Kapelle für das Schloßconcert u. A. historische Märsche
und Fanfaren für das österreichische Heer, „Altarabische Musik
der Jslamiten" für Saxophons, die „Kaiser Wilhelm-Jagd auf
Kaltenbronn" für 20 Jagdhörner (Dampierre), und für das
Stadtgarten »Co ncert Trauermarsch aus „Götterdämme-
rung", „vanss waoabrs", „FranzösischesWeihnachtslied", Deutsche
Militärmärsche von ihrem Anfang bis zur heutigen Zeit ent-
halten werden. Die Programme des städtischen Orchesters weisen
größere Compositionen von Wagner, Liszt, Bizet, Mascagni,
Ambroise Thomas u. s. w. auf und bestehen an beiden Abenden
nur in Streichmusik. Die Leistungen der Leibgrenadierkapelle
sind, was Tonansatz, exactes, reines Zusammenspiel auch bei den
schwierigsten Passagen der Instrumente betrifft, nur von wenigen
der deutschen Militärkapellen erreicht, aber-niemals übertroffen
worden. Was Len Leiter der Kapelle, Herrn k. Musikdirektor
Boettge anbelangt, so bietet derselbe stets durch fortwährende
Studien in den Archiven in historischer Beziehung das
Interessanteste und Neueste. — Sollte, was leider in diesem
Sommer nicht zur Unmöglichkeit gehört, durch eintretendes
schlechtes Wetter das Concert ausfalleu, so ist dafür der 31. Juli
in Aussicht genommen. Das städtische Orchester wird dann
morgen in gewohnter Weise seine Concerte abhalten, der Betrag
der vorausgelösten Karten dann rückvergütet werden.
Zirm Universitütsfechtlehrer an Stelle des von diesem
Posten nach einer langen Reihe von Dienstjahren zurücktretenden
Herrn Friedrich Schulze wurde Herr Lorbeer hier ernannt.
Der neue Fechtlehrer war während der letzten fünf Jahre erster
Vorfechter bei Herrn Schulze und konnte von diesem als sein
Nachfolger warm empfohlen werden.
Z Sonderzug nach Hamburg. Am 22. Juli l. I. wird ein
Ferien- und Turner-Sondrrzug von Basel über Heidelberg,
Darmstadt, Frankfurt a. M. nach Hamburg abgelassen, welcher
gleichzeitig auch zur Beförderung der am IX. deutschen Turnfest
in Hamburg theilnehmenden Turner dient nnd zu welchem Son-
derzugs-Rückfahrscheinhefte mit 45tägiger Geltungsdauer zu be-
deutend ermäßigten Fahrpreisen ausgegeben werden. In Heidel-
berg geht der Zug 6 Uhr 58 Min. Abends ab. Der Preis ist
für Hin- und Rückfahrt I. Kl. Mk. 55.20, II. Kl. Mk. 40.30,
III Kl. Mk. 28.40. In Hamburg trifft der Zug um 9 Uhr Vor-
mittags am 23. Juli ein. In Hamburg werden an die Inhaber
von Sonderzugsfahrscheinheften Rückfahrkarten zu ermäßigten
Preisen nach Helgoland (II. Kl. Mk. 14.40, III. Kl. Mk. 12.10),
Norderney (II. Kl. Mk. 19, III. Kl. Mk. 16.70), Westerland
(II. Kl. Mk. 21.90, III. Kl. Mk. 17.20), Wyk auf Föhr, Wittdün-
Amrum (II. Kl. Mk. 18.50, III. Kl. Mk. 14.50) und Kiel (II. Kl.
Mk. 7.60, III. Mk. 5.30) ausgegeben, die ebenfalls 45 Tage
> giltig sind. Die Ausgabe dieser Karten erfolgt in der Zeit vom
23. bis einschließlich 31. Juli gegen Vorzeigung der Sonder-
zugsfahrkarten. Außerdem wird in diesem Jahre den Sonder-
zugstheilnehmern aus Anlaß des in Hamburg stattfindenden
IX. deutschen Turnfestes die Vergünstigung eingeräumt, die
Rückfahrt, außer auf den im Fahrscheinheft angegebenen Bahn-
wegen. auch gegen jeweilige Lösung einer Umwegskarte in Ham-
burg, entweder über Berlin-Halle-Gießen-Frankfurt a. M. oder
über Bremen-Köln-Frankfurt a. M. ausführsn zu können.
A Vefitzwechsel. Das Haus der Langer'schen Erben, Haupt-
straße 109, kaufte Herr Kaufmann Xaver Daschinger (Eier-
handlung sn gro8 und sn ästail) für den Preis von 90000
Der Kauf wurde vermittelt durch die Agentur Aug. Mayer hier.

Schloßkonzert des Liederkranz.
Lsi Heidelberg, 16. Juli.
Von dem üblichen Bundesgenossen bei seinenSommer-Kon-
certen, dem schönsten Wetter, begünstigt, erfreute der sangeslustige
Verein gestern seine Mitglieder mir der prächtigen Durch-
führung eines mit Geschmack zusammengestellten Programmes.
Was sollen wir Neues sagen über die Erledigung des vokalen
Theils? Nichts! Höchstens beschränken wir uns auf die freu-
dige Anmerkung, daß Chorklang, frische Auffassung und deut-
liche Pbrasirung bei wohl abgestimmter Schattirung ebenso
Erquickendes boten wie im letzten Konzert der Sommer-
Campagne. Die aospslls Chöre erklangen in der romantischen
Umgebung besonders stimmungsvoll. Die größten der Auf-
gaben, die sich Sänger und Dirigent für dieses Konzert ge-
stellt hatten, waren M. v. Weinzierl's, des erst kurz verstor-
benen gemüthswarmen Tondichters „Frühlingszauber", ein
wirkungsvoll gesetzter Chor mit Orchesterbegleitung, und
Weidt's „Der alte Geiger", dessen Bekanntschaft wir schon
gemacht haben und dessen Töne auf den Zuhörerkreis, nach
dem brausenden Beifall zu schließen, seine Wirkung wiederum
nicht verfehlten. Herr Dürr stellte seinen metallreichen und
sympathischen Bariton mit großem Erfolg in den Dienst der
Comvofition.
Und nun unserem vorzüglichen Orchester und dessen Führer,

Kapellmeister Radig, gleichfalls unsere wärmste Anerken-
nung. Seit Kapellmeister Radig an der Spitze steht, gehr ein
klarer und frischer Zug durch den ganzen Orchefterkörper.
Man sieht mit Freude, welch' gute Acquisition wir in Herrn
Radig gemacht haben. Sein schäumendes Temperament dringt
außerordentlichen Schwung in seine wackeren, unermüd-
lichen Truppen, die so schlagbereit sind, auf jede seiner Inten-
tionen, die auf prägnante Rhythmik und auf Klarlegung der
Themen abzielt, sofort einzugehen. Mit besonderem In-
teresse hörten wir wieder die prächtig berausgearbeitete
Sommernachtstraum-Ouverture, sowie die Rhapsodie Nr. 2
von Liszt, die entschieden der Glanzpunkt des instrumentalen
Theiles war und auf stürmischen Applaus O» oapo gegeben
werden mußte. Ein äußerst stimmungsvolles Tonwerk ist
das klangschöne Vorspiel zum 3 Akt Manfred von C- Reinecke,
das eine nuancenreiche Wiedergabe erfuhr; nur wäre etwas
mehr Ruhe von Seiten des Publikums erwünscht gewesen.
Herr Konzertmeister Grau, sowie Herr Schumann ' spielten
die Biolinsoli in Bilse's Fantasie sehr warm und empfin-
dungsvoll und ernteten den wohlverdienten Beifall. Der
Heidelberger Liederkranz und ihr trefflicher Leiter Herr Karl
Weidt können mit Befriedigung auf das wohlgelungene
Konzert zurücksehen. Auf fröhliches Wiedersehen und Wieder-
I hören! K. A. Sienold jr.

X Ansichtskarten. Im Verlag von Edm. v. 5-önig dahier
ist die II- Serie der Bilder aus dem deutschen Studentenleben
Blatt 1—12 von H. Kley, Karlsruhe, erschienen. Die durchweg
heiteren Gegenstände der Darstellung werden den Karten bei den
Studirenden selbst, wie bei den Freunden des Studentenlebens
sicher überall gute Aufnahme verschaffen.
— Polizeibericht. Sechs junge Leute kamen in verflossener
Nackt wegen Ruhestörung zur Anzeige.
Tauberbischofsheim, 13. Juli. Vor dem Schöffengericht kam
heute eine Klage des Vorstandes des Cäcilienvereins in Königs-
hofen, Laudwirth Nikolaus Bethäuser, gegen den Kaplan
Eiermann daselbst zur Verhandlung. Eiermann soll nachher
Privatklage am Tage nach einem der Konzerte des Cäcilien-
vereins zu der Mutter des Klägers gerufen worden sein, um
dieselbe mit den Sterbesakramenten zu versehen, und nach Be-
endigung dieser Handlung gesagt haben: „Die heilige Schrift
sagt: Verflucht ist der Sohn und die Tochter, die ihren Vater
und ihre Mutter nicht ehren; verflucht seid auch ihr, die ihr
eure kranke Mutter gestern Abend allein gelassen habt und so
lange im Konzert geblieben seid." Es wurde in der Verhand-
lung erwiesen, daß die Mutter des Klägers an dem fraglichen
Abend von drei Frauen verpflegt war, daß sie an diesem Tage
noch nicht todtkrank gewesen ist und als achtzigjährige Frau noch
10 Wochen gelebt hat. Es wurde auch der Beweis geliefert,
daß der angeklagte Kaplan annähernd wenigstens die Worte ge-
braucht hat, welche die Anklage enthält. Das Gericht ver-
urtheilte den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe
von 50 Mk. ev. 10 Tage Gefängniß und zur Tragung der
Kosten. Keinen guten Eindruck konnte es machen, daß der an-
geklagte Kaplan von dem Vorsitzenden des Gerichts wegen
„seines der Stellung eines Priesters wenig entsprechenden
Verhaltens vor Gericht" zurechtgewiesen werden mußte.
Mannheim, 15. Juli. Auf dem hiesigen Hauptbahnhofe wurde
heute Nachmittag der Maschinenführer Richard Scherer aus
Offenburg von einer manöverirenden Lokomotive erfaßt und
gräßlichverstü mmelt. Der Bedauernswerthe war sofort todt.
Karlsruhe, 15. Juli. Der Bürgerausschuß beschäftigte
sich heule in eine mehrstündigen Sitzung mit der Bahnhof-
frage und bewilligte 4000 Mk. zur Erhebung eines sachverstän-
digen Gutachtens, in dem vor allem die Fragen der Nothwendig-
keil einer neuen Anlage aus betriebstechnischen Gründen, oder der
genügenden Erweiterung und Ausbauten, der Anlage einer Kops-
station an Stelle des jetzigen Bahnhofs und der Ueberführungen
beantwortet werden sollen. Im Gegensatz zu dem Vorschläge der
Generaldirektion der Staatsbahn, die vorhandenen Mißstände
durch mehrere Ueberführungen zu beseitigen, spricht sich der
Bürgerausschuß mit aller Energie gegen die Ueberführungen aus,
die nur dazu angethau seien, die erfreulische Entwicklung als
Industriestadt zu hemmen und zu stören. Lieber wolle man
noch zuwarten, bis der Staat selbst durch den steigenden I Ver-
kehr vor die Nothwendigkeit gesetzt sei, eine neue Bahnhofsanlage
zu schaffen.
Baden-Baden, 15. Juli. Gestern Abend hat sich in der Nähe
der Villa Hohenstein der Eisenbahnbeamte Jakob Mampel,
welcher in Oos stationirt ist, zwei Revolverschüsse durch den Kopf
gejagt. Die Verletzungen sollen lebensgefährlich sein. Als
Motiv der That werden unglückliche Liebesverhältnisse angegeben.
Freiburg, 15. Juli. Gestern Vormittag nach 9 Uhr bemerkte
der Freib. Ztg. zufolge ein Sergeant der Erbgroßherzog Fried-
rich-Caserne aus einem Fenster eines Anwesens der Hochberg-
straße Rauch aufsteigen. Ein Schutzmann begab sich dahin. Die
Zimmerlhüre war verschlossen und wurde aufgesprengt. Das
Bett stand in Flammen. Im Zimmer befanden sich fünf
Kinder im Alter von 4 Monaten bis 7 Jahren, die sicher erstickt
wären, wenn nicht sofort Hilfe geworden wäre. Die Mutter
hatte sich um 8 Uhr auf den Arbeitsplatz ihres Mannes begeben
und die Kinder eingeschlossen. Das Feuer soll dadurch entstanden
sein, daß das 3 Jahre alte Kind mittelst Streichhölzer das Bett
in Brand setzte. Der Mobiliarschaden beträgt etwa 15 M.
Aus Vaden. Daß der Kubastreit bei uns in Baden
die Eier theurer macht, diese volkswirthschaftlich interessante
Entdeckung ist das Verdienst einer Händlerin auf dem Wochen-
markt einer größeren Stadt unseres Landes. Der Frau eines
Beamten, die ihre Einkäufe machte, schien nämlich der geforderte
Preis von 6 Pf. für das Ei etwas hoch im Beginn des Monats
Juli und sie machte der Verkäuferin deßhalb einige Vorstellungen.
„Ja," erwiderte diese mit wichtiger Miene, „wisse Se, der Krieg
-stoische de Amerikaner und de Spanier, der macht halt auch die
Eier theurer!" Die Beamtenfrau war sich zwar nicht völlig klar
über den inneren Zusammenhang zwischen dem Kriege und dem
Eierpreis, wohl aber zwischen dem letzteren und der Schlitzöhrig-
keit der Händlerinnen.

Der amerikanisch-spanische Krieg.
Die spanische Regierung trifft bereits Vorkehrungen
für den Friedensschluß. Ein im Madrider Amtsblatt ver-
öffentlichtes Dekret hebt alle in der Verfassung der
Monarchie enthaltenen persönlichen Rechte zeitweilig
aus. Die Regierung wird dem Parlamente von dem Ge-
brauch, den sie von dieser Maßnahme machen wird, Rechen-
schaft geben. Es ist klar, daß man es hier mit einer
Maßnahme zu thun hat, die einen Ausbruch der Volks-
leidenschaft verhindern soll, wenn Spanien als der besiegte
Theil nun gezwungen ist, von den Amerikanern den Frie-
den anzunehmen, der mindestens den Verlust von Kuba
bringen wird. Die Karlisten warten nur auf diesen Augen-
blick. Die karlistischen Umtriebe wachsen und Agenten an
der französischen Grenze legen Stapelplätze von Waffen
an, um diese im gegebenen Falle nach Spanien einzufüh-
ren. Sagasta erklärte einem Berichterstatter bereits, die
Regierung wolle den Frieden; er fügte hinzu, aber einen
für Spanien würdigen Frieden. Das ist so eine Be-
schönigung. Spanien hat in diesem Kriege seine Würde
als Großmacht sehr schlecht gewahrt, sich vielmehr trotz
des persönlichen Muthes und der Aufopferungsfähigkeit
seiner Truppen jämmerlich gehalten. Was ist da noch viel
von Würde zu reden!
Freilich darf Spanien durch drückende oder gar uner-
füllbare Friedensbedingungen nicht zum Aeußerstcn ge-
trieben werden. Ueber die amerikanischen Friedens-
bedingungen verlautet Folgendes: McKinley wünsche nicht
die Philippinen zu behalten, sondern er will sich mit der
Ladronen-Jnsel Guam und einer Kohlenstation begnügen,
vorausgesetzt, daß Cuba von Spanien unabhängig gemacht
und Puertorico geräumt werde. Der Präsident schlägt vor,
keine Kriegsentschädigung zu fordern. Er glaubt, daß
Spanien eher den Krieg fortsetzen, als sich mit weiteren
Verpflichtungen belasten würde.
Der spanische Krieg s Minister dagegen erklärte
in einer Unterredung mit einem Berichterstatter, der Frieden
sei unter folgenden Bedingungen möglich: Den Cubanern
wird auf dem Wege der Volksabstimmung die Ent-
scheidung darüber gelassen, ob sie Unabhängigkeit oder
Autonomie unter spanischer Oberherrschaft wollen. Einer
Abtretung Puertoricos widersetzt sich der Kriegsminister.
Betreffs der Philippinen hat die Regierung einen Plan,
welcher nicht nur Spanien den Besitz derselben sichert,
 
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