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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

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Nr. 150 - 175 (1. Juli 1898 - 30. Juli 1898)
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Telephon-Anschluß Nr. 82.
Xr. 164.

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Montag, den 18. Juli

Telephon-Anschluß Nr. 82.
W8?

Ein neues Manifest Zola's.
Heute beginnt in Versailles die neue Auflage des
Prozesses Zola. Wie man sich erinnern wird, hob der
Kassationshof das im ersten Prozeß ergangene Urtheil auf,
weil der Klageantrag vom Kriegsminister und nicht von
dem Kriegsgericht gestellt worden war. Nun ist neue Klage
und zwar diesmal von den berechtigten Persönlichkeiten er-
hoben worden. Aus Gründen der öffentlichen Ruhe ist
Zola diesmal nicht vor dem Pariser Gericht, sondern bei
dem Gericht in Versailles verklagt worden, wo das Blatt
(die Aurore) mit dem beleidigenden Artikel auch verbreitet
worden ist. Aus dem ganzen langen Artikel hatte man
für den ersten Prozeß nur ein paar Zeilen als beleidigend
herausgegriffen; diesmal hat man die inkriminirte Stelle
noch mehr verkürzt, sodaß als beleidigend nur noch der
Ausspruch Zolas gelten soll, das Kriegsgericht habe auf
Befehl einen Schuldigen (Esterhazy) freigesprochen. Indem
wan gegen die übrigen außerordentlich schwerwiegenden
Beschuldigungen gar nicht einzugehen wagt, zeigt man
deutlich die Schwäche der Prozesse gegen Dreyfus und
Esterhazy.
Als Einleitung zu seinem heutigen Prozeß hat Zola
ein Manifest an den gegenwärtigen Ministerpräsidenten
veröffentlicht, worin er Brisson scharfe Vorhalte macht.
Er schreibt i .A.: „Wenn ich dem lebhaften Drang, Ihnen
Zu schreiben, nachgebe, so geschieht es, weil es gegenwärtig
Männer gicbt, die vor Angst aufschreien. Ich hielt Sie für
Zu klug, um nicht, wie ich selbst, überzeugt zu sein, daß kein
Ministerium lebensfähig ist, solange die Dreyfusangelegenheit
uicht abgewickelt ist. Wenn Sie nächstens fallen, werden
Sie in dem Abenteuer Ihre politische Ehre verloren haben."
Zola erklärt, er wolle sich nicht mit dem Kriegsminister
und dem Justizminister beschäftigen. Es sei etwas faul
in Frankreich, und die Ordnung werde erst wieder ein-
kehren, wenn die Wiederaufnahme des Prozesses beschlossen
Iw; das Ministerium, das sie beschließe, werde das große
Ministerium sein. Brisson habe eine lächerliche Komödie
von Untersuchung gespielt. Im Ministerrath habe
offenbar keine ernsthafte Prüfung der berühmten Akten
stattgefunden, sonst hätte man daraus nicht bloß die
Schriftstücke gegriffen, mit denen man der Wahrheit und
Gerechtigkeit entgegentritt. Die drei vor der Kammer ver-
lesenen Schriftstücke seien längst bekannt gewesen als ein
grober Fallstrick für Gimpel, nachdem ein General sie im
Schwurgericht vorgelesen habe. Daß wan sie nun in
ganz Frankreich durch Maueranschlag bekannt mache, sei
größte Thorheit, die man in der Geschichte verzeichnen
könnte. Die Schriftstücke seien gleichsam eine Herausfor-
derung eines Fälschers für die Dummheit seiner Zeitge-
uossen. Als sie in der Kammer verlesen wurden, sei die
Diplomatenloge leer gewesen, denn kein Diplomat hätte
dabei seinen Ernst bewahren können. „Ich glaube nicht,
daß Deutschland, unser Feind, uns allein auslacht; auch Ruß-
land, unser Freund, sollte uns den Dienst erweisen, uns
Zu sagen, was man über uns in Europa denkt." Zola
"wähnt alsdann die Verhaftung Picquarts, die nach dem
Grundsatz erfolgt sei: Du stehst mir im Wege, ich mache
dir den Garaus. Weiter beschäftigt er sich mit den angeb-
lichen Geständnissen Dreyfus': „Das ist eine gemeine Mache,
"ne unehrliche Berechnung, wenn man den kleinen Leuten,
den Armen im Geiste, solche Erklärungen vorhält, wie
diejenigen, die in Ihren Akten niedergelegt sind. Und Sie
duffen, daß die schlichten Leute auf dem Lande und in der
^kadt zu Ihnen stehen und sagen werden: Was wollen denn
die Vertheidiger des Verräthers, da er alles eingestanden
Ich kenne nichts, was niedriger und feiger

wäre. Zola wirft Brisson vor, sich durch den Maueran-
schlag zum Mitschuldigen der Schmutzpresse gemacht zu
haben. Er fragt dann Brisson, in welcher Weise er am
Montag bei den Proceßverhandlungen für die Achtung der
persönlichen Freiheit sorgen wolle. Er erinnert an die
Auftritte der Pariser Tage und ersucht Brisson, sich beim
Polizeipräfekten darnach zu erkundigen, wie „es gemacht
würde", wie clericale und andere Banden angeworben
wurden, um Zola zu beschimpfen, und mit welchem Eifer
die Militärpersvnen bei der Verhandlung thätig waren.
„Man wollte Frankreich und der ganzen Welt glauben
machen, ganz Paris habe sich gegen mich erhoben. Und
die Polizei schritt erst ein, als es wirklich schien, man
könnte mir den Garaus machen. Wir glauben zwar nicht,
daß wir in Gefahr waren, allein wir möchten wissen,
was der Polizeipräfekt für Montag anordnen wnd, denn
wenn inan uns todtschlägt, sind Sie der Mörder. Unter
Ihrer Gesellschaft gibt es keine Leute, die bereit wären,
alles für die Sache der Gerechtigkeit einzusetzen. In Ihrem
Lager strebt alles nach der Präsidentschaft der Republik.
Das aber kann der Dichter als Seher Ihnen Voraussagen,
daß nur der Präsident wird, der die Wiederaufnahme des
Prozesses angeordnet, die Gerechtigkeit wieder eingesetzt
haben wird. Wenn ich jemanden sehe, der sich in der
Dreyfus-Angelegenheit besudelt, mit dem Hintergedanken,
daß er hierdurch seinen ehrgeizigen Plänen diene, sage ich:
Wieder einer, der nicht Präsident der Republik wird."

Deutsches Reich.
Berlin, 17. Juli.
Aus Drontheim, 16. Juli, wird berichtet: Die
„Hohenzollern" mit dem deutschen Kaiser an Bord ist
heute Nachmittag 4,30 Uhr hier eingetroffen. S. M. S.
„Moltke", die Festung, sowie das hier liegende britische
Geschwader salutirten. Die Schiffe im Hafen und die
Straßen der Stadt tragen Flaggenschmuck.
— Dem Rh. Kurier zufolge tritt demnächst in Berlin
eine Kommission zu einer Besprechung über das Gesetz be-
treffend den Verkehr mit Weinen, weinhaltigen und wein-
ähnlichen Getränken vom 20. April 1892 zusammen.
— Die Berl. Pol. Nachr. schreiben: Ueber die Her-
stellung ermäßigter Gcireidefrachtsätze im Verkehr mit Ruß-
land haben ebensowenig wie über sonstige Eisenbahntarif-
fragen zwischen der preußischen und russischen Regierung
Verhandlungen in letzter Zeit stattgefunden; dagegen haben
die betheiligten Eisenbahnverwaltungen über die Einführung
regelrecht gebildeter, direkter Getreidefrachtsätze von
russischen nach deutschen Binnenstationen ver-
handelt, und die preußischen Eisenbahndirektionen sind
bereits vor mehreren Wochen ermächtigt worden, den An-
trägen der russischen Eisenbahnen grundsätzlich zuzustimmen.
— Auf dem Delegirtentag des deutschen K rieger-
bundes in Weißenfels kam zur Sprache, daß viele
Mitglieder der Kriegervereine Sozialdemokraten sind. Daraqs
bemerkte der frühere Minister Oberpräsident v. Bötticher:
Die Zukunft der Kriegervereine werde sich gut gestalten, so
lange die Armee ins bürgerliche Leben treue Gesinnung zn Kaiser
und Reich trage. Dazu aber gehöre, daß sich die Kriegervereine
rein halten von ordnungsfeindlichen Elementen. Dem sei leider
nicht mehr so- Die Kriegervereine müssen daher durch die That
beweisen, daß sie alle Anstürme auf die theuersten Güter ab-
wehren und frei sein wollen von solchen, die vaterlandslose Ge-
sinnungen hegen.
Der Vorsitzende des Kriegerbunds, General v. Spitz,
sagte:
Die letzten Wahlen haben bewiesen, daß wir unter uns eine
Anzahl Heuchler und Betrüger haben, die auch jeder anständige
Sozialdemokrat verachten muß. Sie betrügen ihre Vereine und

den Bund; sie wissen, daß sie nicht für Kaiser und Reich sind,
daß sie ein Nationalbewußtsein nicht haben, während sie sich ver-
pflichtet haben, es zu Pflegen. Diese Leute müssen wir schimpflich
von uns abstoßen. Es sind andererseits im Eifer und wohl aus
guter Gesinnung, aber ohne genaue Kenntniß der uns gesetzten
Grenzen Einwirkungen auf die Wahlen durch Vorstände und
Kriegervereine erfolgt, welche nicht nützlich sind und zu unan-
genehmen Mißverständnissen führen. Ich bitte Sie, bei den Wahlen
für das preuß. Abgeordnetenhaus sich streng an unsere Richtschnur
zu halten. Gegen die Sozialdemokratie zu wirken auf jede Weise,
das ist nicht Politik, sondern bloß eine Beachtung unserer Satzungen.
Eine weitere Richtschnur ergibt sich aus unserer Verpflichtung zur
Pflege des deutschen Nationalbewußtseins. In Posen, Westpreußen
und Oberschlesien gehören die nicht zu uns und müssen ausge-
stoßen werden, welche für ein polnisches Nationalbewnßtsein wirken.
Auch ein Welfe, der nicht auf dem Standpunkt der Treue zu
Kaiser und Reich und zum Landes fürsten steht, gehört nicht
zu uns.
Bad Nauheim, 16. Juli. Kaiserin E lisabeth
von Oesterreich ist zum Curgebrauch hier eingetroffen.
Frankfurt a. M., 16. Juni. Wie die Franks. Ztg.
mittheilt, wenden seit gestern die Zollämter an der
russischen Grenze auf unmittelbare Anweisung des
russischen Finanzministers auf verschiedene Einfuhrartikel,
ähnlich wie vor zwei Jahren, wieder höhere Tarifsätze an.
Kassel, 16. Juli. Die Kaiserin traf heute früh
8 Uhr mit dem Kronprinzen und den Prinzen Eitel Fried-
rich und Adalbert auf Wilhelmshöhe ein und begab sich
alsbald unter dem Jubel der Bevölkerung ins Schloß.
Die Prinzen August, Wilhelm und Oscar, der comman-
dirende General des XI. Armeekorps, General der Infanterie
v. Wittich, der Regierungspräsident Gras Clairon d' Hausson-
ville und Landrath Frhr. v. Doernberg waren auf dem
Bahnhofe zum Empfang anwesend.
Baden. Der Groß Herzog und die Großher-
zogin von Baden werden am 23. Juli zu einem Kur-
aufenthalt in St. Moritz eintreffen.
— Der Staatsanzeiger verkündigt die Errichtung
einer Hafeninspeclion in Kehl behufs Ausführung
des dortigen Hafenbaues.
— Auch der Franks. Ztg. ist das Treiben der Kle-
rikalen in Bruchsal gegen Oberbürgermeister Dr. Gautier
zu bunt. Nach Mittheilung des Thatbestandes und der
Erklärung des Kultusministeriums und des Ministeriums
des Innern fügt das Demokratenblatt bei: „Zu bedauern
ist nur, daß diese „Erklärungen" und „Mittheilungen"
nicht so rechtzeitig erfolgt sind, um zu verhindern, daß eine
tüchtige Verwaltungskraft aus der Stelle des Oberbürger-
meisters scheidet. Andererseits darf wohl erwartet werden,
daß nach diesem Vorkommniß und seinem Ausgang ein
übermüthig gewordener Klerus in den gesetz-
lichen Schranken bleiben wird." Werden die ba-
dischen Demokraten den Muth finden, auch innerhalb des
Landes Stellung gegenüber dem Treiben ihrer Bruchsaler
Wahlbrüder zu nehmen?
Sachsen. Dresden, 16. Juli. Dem Dresd. Jour-
nal zufolge sind bei dem Könige zwar noch zeitweilige
Blutungen aufgetreten, das Allgemeinbefinden ist jedoch
fortgesetzt gut._
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
Privatdozenten für mittelalterliche Geschichte und mittelalterliche
und neuere Kunstgeschichte an der Universität Freiburg Dr. Karl
Sutter, dem Privatdozenten an der Technischen Hochschule
Karlsruhe Dr. Arthur Drews und dem Privatdozenten an der
Technischen Hochschule in Karlsruhe Dr. Hans Hausrath den
Charakter als außerordentlicher Professor verliehen, den aka-
demischen Musikdirektor außerordentlichen Professor Dr. Philipp
Wolfrnm an der Universität Heidelberg zum etatmäßigen
außerordentlichen Professor für Musikwissenschaft an der genannten
Hochschule ernannt und den Revisor Ludwig Weiser bei dem
Evangelischen Oberkirchenrath landesherrlich angestellt.

Sklaverei der Schönheit.
6) Novelle von M. Jmmisch.
(Fortsetzung.)
Frau von Senken ließ die Hand mit dem Briefe sinken,
-sn ihre blassen Wangen war allmählich eine matte Röthe
Wiegen. Nachdenklich, ein herbes Lächeln um die feinge-
ichwungenen Lippen, starrte sie vor sich hin.
.. Zwanzig Jahre hatten dazu gehört, um in Fritz Delling
we Sehnsucht nach der Heimath wachzurufen. „Nach der
Heunath", nicht nach ihr. Sie war nur ein .Etwas", das
"un einmal als Staffage da hineingehörte. Und es war
gut so ... .
. Wie hatte sie einst gehofft und geharrt auf ein Wieder-
ieh.en! Jahrelang batte sie gekrankt an dem stillen tiefen
Leide verschmähter Liebe. Gott sei Dank! Niemand,
Mt einmal ihre Eltern batten eine Ahnung gehabt von dem
"Weh, das ihr junges Herz gefoltert. Daß sie blaß und still
geworden, schrieb man der Bleichsucht zu, und nach und nach
batte sie überwunden.
Drei Jahre nach ihrer Abschiedsstunde hatte sie einem
anderen Manne, auf Wunsch ihrer Eltern, die Hand gereicht
und sie war es ganz zufrieden gewesen. Ihr Gatte hatte sie
geliebt und verwöhnt, und sie batte sich vereitwillig lieben
und verwöhnen lassen, und als er vor fünf Jahren durch
"nen unglücklichen Schuß auf der Jagd einen frühen Tod
land, da hatte sie ihn tief und aufrichtig betrauert.
Noch einmal überflogen ihre Augen den Schluß des Briefes.
»Wie schön wird es sein, wenn wir zwei „Alten" von ver-
gangener Jugendzeit schwärmen." Sie lachte unwillkürlich.
(W sieghaftes Leuchten stieg in ihre Augen und belebte die
feinen, klugen Züge.
Wenn Fritz Delling alt geworden, sie war es sicherlich
nicht; wenigstens nicht in der Weise, wie er es sich vorstellte.
war auch weder „gelb und hager", noch „rosig und wohl-
genährt", schlank und doch voll sah ihr ihre Gestalt aus dem

Spiegel entgegen; ihr Teint war weiß und zart und ihr
dunkles, elegant frisirtes Haar glänzte wie feingesponnene
Seide. Glanz und Reichthum umgaben sie und man sah
ihr an, daß sie sich als Herrscherin in ihrem kleinen Reiche
fühlte, das übrigens groß genug war, um ihr von Vielen
beneidet zu werden.
Eine kurze Strecke von der prachtvollen Villa entfernt,
die sie bewohnte, standen zwei der größten Fabriken weit
und breit, durschnittlich über viertausend Arbeiter be-
schäftigend, und sie konnte als unumschränkte Herrin darüber
verfügen. Sie kannte den Werth des Geldes, aber sie war
sich auch stolz bewußt, daß sie nicht deßhalb allein, sondern
auch um ihrer selbst willen noch heute begehrt und gefeiert
wurde.
Langsam stieg sie die breite Marmortreppe, die von der
Veranda in den Garten führte, hinunter. Ein köstlicher,
würziger Duft zog vom Park herüber, ein Reh stand an dem
seinen Drahtgitter und blickte sie mit großen, neugierigen
Augen an. Sie schritt darauf zu und streichelte den braunen
Kopf, den es zutraulich zu ihr emporhielt.
Unwillkürlich dachte sie daran, Wieste einst vor solch harm-
losen Thierchen furchtsam davongerannt war. Und dann
schweiften ihre Gedanken weiter, Welch ein trotziges, wildes
Kind war sie doch damals gewesen, und wie heiß und stür-
misch, wie unbeschreiblich glückselig hatte ihr junges Herz in
jener Stunde gepocht.
Und für ihn war es weiter nichts gewesen, als ein
Waldidyll, das einen guten Stoff für seine Arbeit gab.
Kampflos hatte er sie aufgegeben, rnzd wie ein unbedeutendes
Etwas, das seinem Ehrgeize gegenüber gar nicht in Betracht
kam. Er hatte sein Ziel erreicht. Schon damals war er
wie ein glänzender Stern am Himmel aufgegangen und heute
wurde sein Name in der halben Welt mit Auszeichnung
genannt.
Durch die Zeitungen hatte sie viel, durch ihn direkt nur
wenig von ihm gehört. Ihr Later hatte stets in Briefwechsel
mit ihm gestanden. Seit ihre Eltern starben, hatte sie nur
zwei Briefe von ihm erhalten, die sie kurz beantwortete-

Wozu die Erinnerung immer wieder auffrischen I Sie hatte
zwar ihren schmerzenden Stachel verloren, aber eine leise
Bitterkeit war doch zurückgeblieben.
Der Brief war vor zwei Tagen geschrieben, also konnte
morgen schon Fritz Delling eintreffen. Sie überlegte ernst-
haft, wie sie sich zu verhalten habe. Sie beherbergte häufig
Gäste bei sich, aber es war doch besser, wenn er im Gasthofe
wohnte; sie waren sich so völlig fremd geworden.
Auch Fritz Delling fühlte, daß sie sich fremd geworden.
Als er am Nachmittag des nächsten Tages, an Frau von
Sentens Besitzung vorüber, nach dem Gasthofe fuhr, da
pochte sein Herz viel unruhiger, als es sich für einen
übersättigten Mann, der zu sein er sich selbst weißmachte,
schickte.
Und dann standen sie sich gegenüber. Es war alles ganz
glatt und korrekt verlaufen. Ein Diener hatte der Herrin
seine Karte überbracht und in dem halb verschleierten Licht
des Empfangszimmers war sie ihm ruhig, mit einem Lächeln
auf den Lippen, entgegengetreten.
Sin Paar Sekunden kreuzten sich ihre Blicke, als wollte
eines in des Anderen Seele lesen, dann stürzten sie sich ge-
wandt in jene Fluth oberflächlicher Unterhaltung, mit deren
Hülfe sich alle Klippen kunstvoll umgehen lassen.
Fritz Delling war nichts weniger als schüchtern und doch
überschlich ihn ein unbehagliches Gefühl, wenn er sich ver-
schiedene Zeilen seines Briefes vergegenwärtigte. Das feine,
überlegen-spöttische Lächeln um ihren Mund demüthigte und
reizte ihn- Wer hätte je für möglich gehalten, daß aus der
zwar lieblichen, aber bescheidenen Knospe solch herrsche Rose
wurde. Allerdings stand sie auf jener Höhe der Schönheit,
von der es unerbittlich abwärts geht; aber noch dachte man
daran nicht. Er musterte sie verstohlen mit dem kritischen
Auge des Malers und seufzte leise bei dem Gedanken, wie
theuer doch manchmal der Ehrgeiz bezahlt wird. Es kam
ihm vor, als wäre er auf der Jagd nach dem Glücke im
Kreise herum gerannt und stände nun resultatlos am Anfang
seines Strebens.
(Fortsetzung folgt.)
 
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