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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 229 - 254 (1. Oktober 1898 - 31. Oktober 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0367

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Telephon-Anschluß'Nr. 82.

Ar. 238.

Montag, den 18. Oktober

1898.

Der große Streik in Paris.
Die vereinzelten Nachrichten von dem Ausbruch eines
großen Streiks in Paris werden in der Köln. Ztg. in
einem anschaulichen Bilde zusammengestellt. Danach erhielt
die Bewegung, die sich seit einem Monat etwa unter den
Arbeitern geltend macht, ihren Anstoß durch die For-
derung der Erdarbeiter für die Weltausstellung,
daß die Unternehmer ihnen 60 und 70 Centimes (48 und
56 Pfg.) für die Stunde bezahlen sollten. Die Arbeit-
geber verweigerten die Forderung, weil sie dadurch angeb-
lich selbst in Verlust geriethen, erboten sich aber, die Aus-
führung der Arbeiten den Arbeitern selbst gegen deren
eigene Rechnung abzutreten, und erklärten sich, nachdem
letztere dieses Angebot abgelehnt hatten, dazu bereit,
daß ihr Vertrag gelöst und der Pariser Gemeindeverwal-
tung ihre freie Entscheidung derart zurückgegeben werde,
daß sie selbst die Arbeiten und die Bestimmung der Lohnsätze
tu die Hand nehmen konnte. Da auch die Stadt Paris
"ach Angabe der Arbeitgeber keine höher« Lohnsätze
bewilligen kann, ohne Verlust zu erleiden, sich aber trotz-
dem dazu bereit gefunden zu haben scheint, so wäre diese
Lösung keine wirthschaftliche gewesen, sondern hätte ein
Geschenk an die Arbeiter bedeutet, dessen Kosten aus dem
Säckel der Pariser Steuerzahler hätten bestritten werden
"tüssen. Trotzdem bewillkommnete man allerseits diesen
Ausgang, weil er die Beendigung des Ausstandes und die
Beseitigung seiner Folgen versprach.
Inzwischen hat jedoch die Bewegung weitereKreise
gezogen, auch die Anstreicher, Maurer, Schlosser, Schreiner
"ud andere Zweige des Baugewerbes, zum Theil Angestellte
der Privatindustrie, treten mit Lohnforderungen hervor,
iodaß der Streik das Ansehen eines allgemeinen Ausstandes
gewann. Aus Solidarität gegen diese Genossen haben die
Erdarbeiter, denen weiterhin die Unternehmer selbst schon
55 Cent für die Stunde zugesagt hatten, jene Vorschläge
"bgelehnr; der Ausstand dauert fort. Es sind bereits
Schritte gethan, um die Eisenbahnarbeiter, die Arbeiter der
Gas- und Elektricitätswerke sowie die Omnibus- und
Droschkenkutscher zum Anschluß an den Ausstand zu be-
legen. Die Lage ist daher ernster denn je, zumal da
d>e berufsmäßigen Verhetzer die Oberhand gewonnen haben
""d schon in den letzten Tagen die widerrechtlichen Versuche,
"le sogenannten „Streikbrecher" mit Gewalt von der Arbeit
zurückzuhalten, zu ernsten Zusammenstößen mit der Polizei
Und selbst zur Aufbietung von Militär geführt haben. Das
3uchtpolizeigericht ist denn auch alsbald in Thätigkeit ge-
treten und hat mit der bei solchen Sachen in Frankreich
üblichen und löblichen Eilfertigkeit bereits drei Ausständische
^egen Vergewaltigung sogenannter Streikbrecher zu Ge-
lüngnißstrafen verurtheilt.
Bis jetzt haben sich 35 000 Arbeiter dem Ausstande
""geschlossen; die Gesammtzahl der Beschäftigten des Bau-
gewerkes beträgt 200 000. Aber der Streik droht, wie
üesagt, auf die Arbeiter anderer Gewerbe überzugreifen. Drei
Gewerkvereine erklärten sich mit den Erdarbeitern solidarisch
""d wollen dieselben Forderungen aufstellen. Es sind die
Gewerkvereine der Schreiner, der Blei- und Zinkarbeiter
Und der Dampfsäge-Arbeiter. Die Gewerkvcreine der
Möbelarbeiter und Schreiner sowie aller anderen Holz-
urbeiter sind ebenfalls für die sofortige Niederlegung der
Arbeit. Die Stimmung ist überall begeistert für den
Ausstand; in allen Versammlungen wurden die Beschlüsse
."rch Zuruf angenommen. Es ist bisher unmöglich, zu
^ugen, wo diese Bewegung enden wird. Auch der Ver-
band der Kutscher hat die Arbeitseinstellung beschlossen,
luüs seine Forderungen von den Arbeitgebern nicht be-

Nur frisch gewagt.
Eine heitere Garnisongeschichte von Hugo Dinkelberg.
(Fortsetzung.)
.. Fräulein Feuerstahl hatte diese Worte in einem solch'
nweren Selbstbewußtsein und in einem so strengen verweisen-
tu Tone gesprochen, daß die losen Spötterinnen ihr vor-
Maes Gebühren zu gereuen anfing. Keine der anwesenden
Mwen wollte es mit dem Bürgermeisterstöchterchen ver-
v-vi e"' und so ließen sich denn alle herbei, der Zürnenden
Wohnlich bittende Worte und allerlei Artigkeiten und
.Mneichewien zu sagen. Fräulein Aurora nahm diese Hul-
uungen als selbstverständliche Genugthuung entgegen, hielt
üik. " für angemessen, die Gesellschaft zu verlassen, und sie
uni Entschluß trotz allen Bittens der übrigen Damen
R 'br dem Vorwande aus, oaß sie ihrer Freundin, der jungen
v-i-n ^sse Stein, beute Nachmittag noch einen Besuch habe
si/^kchen müssen und daß diese sicherlich schon längst auf
von" "kn würde- Von allen Damen bis zur Thüre und
lick- MWkren bis auf den Corridor hinaus unter neuen höf-
trtte. Redensarten begleitet, schied Fräulein Aurora mit den
8 n-"ökn Wmen: „Ohne Groll, meine Damen I Heute Abend
Fd.» , "El Er hier ein, und die nächsten Tage schon werden
Kelemen Zweifel besiegen!" - -
c,.s.„ "ch dem Fortgehen Auroras herrschte in der Kaffee-
Danst .st Ejgx Minuten lang peinliche Stille, keine der
KUt 'raute den übrigen, und jede besann sich, ob sie jetzt
w ?°kr schlecht über die Fortgegangene reben solle. „Sie
Seer-." ."wkntlich ganz nett!" brach endlich die Frau Post-
vlln°^.t"rin das Schweigen, und damit war das Zeichen zum
Lobe gegeben. „Gewiß ist sie das!" betheuerte
zweite Dame, „sie ist herzensgut und immer freundlich."
Äädls?' ""t eine dritte Stimme ein, „sie ist ein prächtiges
ord-n.,^' w^cbe Frage! Ich wenigstens habe sie ganz außer-
— H lwb.' — „Ich auch!" — „Ich liebe sie ebenfalls!"
ein" muß sie ja lieb haben!" fielen die übrigen Stimmen
- -rann folgte wieder eine kleine Pause. Dieser machte

willigt werden. Die Bauunternehmer lassen einen Aufruf
an die Maurer veröffentlichen, in dem es heißt, sie hätten
an die öffentliche Gewalt die Aufforderung gerichtet, die
Freiheit der Arbeit zu schützen. Da cs scheine, daß diese
Aufforderung Gehör gefunden habe, fordern sie die Arbeiter
auf, die Arbeit am Montag wieder aufzunehmen.
Aus Anlaß des Streiks ist es wiederholt zu Zusam-
menstößen zwischen Tumultuanten und der bewaffneten
Macht gekommen. Dabei ist die letztere mit Energie und
Entschiedenheit vorgegangen, was auf feste strenge Anwei-
sungen der Regierung schließen läßt. Bei der großen
Nervosität, die sich Frankreichs in Folge der Dreyfus-
affaire bewältigt hat, hält die Regierung mit Recht Vor-
sicht für geboten, zumal da in solcher kritischen Zeit sich
alle möglichen Elemente vorzudrängen suchen. Die Regie-
rung scheint besonders an die Möglichkeit eines Vorstoßes
der Orleauisten zu denken, wenigstens sagt eine Mitthei-
lung des Figaro, den Gendarmeriekommandanten sei der
Befehl zugegangen, den Herzog von Orleans beim
Betreten des französischen Bodens zu verhaften. Man
hält es demnach nicht für ausgeschlossen, daß der Herzog
von Orleans den Augenblick zur That für gekommen er-
achtet. Weihwedel und Säbel hatten sich in Frankreich in
den letzten Jahren im Stillen zusammengefunden und
arbeiteten daran, alle einflußreichen Stellen mit ihren
Kreaturen zu besetzen. Die vom Dreyfusprozeß ausgehende
gewaltige Erschütterung Frankreichs hat u. A. das Gute
gehabt, dies Bündniß aufzudecken. Die beiden unheim-
lichen Verbündeten sind erkannt und nun heißt es für sie:
entweder enlschieden vorgehen oder die Frucht jahrelanger
Arbeit verlieren. Wie die Vorsichtsmaßregel gegen das
etwaige Auftauchen des Herzogs von Orleans beweist, ist
die Regierung wachsam und auf alle Eventualitäten be-
dacht. Das genügt. Eine wachsame und thatkräftige
Regierung wird ohne große Mühe Herrin der Situation
bleiben.

Deutsches Reich.
— Offiziös wird geschrieben: Die kürzlich in aus-
wärtigen Blättcn verursachten Ausstreuungen, als könne
die Reise des Kaisers nach Konstantinopel und
Jerusalem eine Verzögerung erleiden oder überhaupt
aufgegebcn werden, sind ebenso unbegründet wie die noch
immer andauernden Bemühungen gewisser fremder Organe,
den Charakter dieser Reise politisch zu entstellen. Dagegen
hat dem Vernehmen nach der Kaiser, von dem Wunsche
geleitet, bei der Wichtigkeit der in Aussicht stehenden Vor-
lagen die parlamentarischen Arbeiten in Deutschland keiner-
lei Aufschub erleiden zu lassen und den Reichstag in Person
zu eröffnen, den Entschluß kundgegeben, auf den Ab-
stecher nach Aegypten zu verzichten. (Nach dem
ursprünglichen Plane wollte der Kaiser am 17. November
von Beirut aus zu Schiff in Aegypten eintreffen und dort
einige Wochen verweilen. In Aegypten hatte man schon
begonnen, Vorbereitungen für den Besuch des Kaiserpaares
zu treffen. Vielleicht, daß der Kaiser daraufhin seinen
Besuch für das nächste Jahr zusagt.)
— Das Kaiserpaar tritt die Orientreise am
12. October von Berlin aus an und geht am Tag darauf,
den 13., Nachmittags von Venedig aus auf dem Dampfer
„Hohenzollern" in See. Die offizielle Reisegesellschaft
schifft sich in Genua auf einem englischen Dampfer ein,
macht einen Abstecher nach Aegypten und kommt am 25 d.
in Jerusalem an. Das Kaiserpaar trifft dort von Kon-
stantinopel her am 29. d. M. ein. Zu der offiziellen
Reisegesellschaft, deren Reise das Stangensche Bureau leitet,

sind 201 Teilnehmer angemeldet, aus deren Liste noch
folgende Namen hervorgehoben seien:
Der Präsident des evangelischen Oberkirchenrathes Tr. Bark-
hausen mit Sohn und Tochter, Unterrichtsminister Dr. Bosse in
Berlin, aus Straßburg Pfarrer Hertzog von der Iung-St.-Peter-
kirche, aus Colmar Frhr. v. Klot-Trautvetter, Rittmeister im
Dragoner-Regiment Nr. 14, ferner Major v. Diringshofen,
Kommandant der Unteroffizierschule zu Jülich, und Frau, Ober-
präsident der Provinz Westfalen Wirkl. Geh. Roth Studt und
Frau, Präsident des evang. Oberconsistoriums v. Frhr. von
Gemmingen in Stuttgart, Oberconsistorialr ath Vizepräsident des
evangelischen Oberkirchenraths v. Frhr. v- d. Goltz in Berlin,
Professor v. Kirchenheim und Frau in Heidelberg,
Landesdirektor Dr. v. Levetzow in Gossow in Neumecklenburg,
Generaldirektor v. Oechelhäuser und Frau in Dessau, Geh. Bau-
rath Orth und Geh. Regierungsrath Professor Orth und Tochter
in Berlin, Geh. Oberregierungsrath und vortragender Rath im
Kultusministerium Steinhaufen in Berlin, Premierlieutenant im
1. Garde-Regimen t zu Fuß Graf Bismarck-Bohlen, Bischof Dr.
theol. A. C. Bang in Chrtstiania und Pastor GladischfeSky
in Pest.
— Die Reise der Prinzessin Heinrich von
Preußen nach Kiautschou ist neuerdings in Frage gestellt,
da infolge der in China herrschenden Wirren eine vorherige
Bestimmung über den Aufenthalt der dort stationirten
Schiffe ausgeschlossen ist.
— Die Gemahlin des Prinz-Regenten
Albrecht von Braunschweig ist Freitag Nachmittag 2
Uhr auf Schloß Kamenz gestorben. Seit Sonntag fühlte
sich die Prinzessin unwohl. Am Donnerstag steigerte sich
die Unpäßlichkeit derart, daß Professor Buchwald aus
Breslau gerufen wurde. Alle angewandten Mittel blieben
erfolglos. Die Krankheitserscheinungen, die auf Herz-
schwäche beruhten, nahmen im Laufe des Nachmittags zu.
Bereits um Mitternacht verlor die Prinzessin das Bewußt-
sein. Am Freitag trat dann in Gegenwart des Prinz-
regenten und des jüngsten Sohnes der Tod ein. Die
Verstorbene, Prinzessin Marie, war eine geborene Prinzessin
von Sachsen-Altenburg. Sie war seit dem 19. April 1873
mit dem Prinzen Albrecht vermählt und stand im 45.
Lebensjahre. Ihrer Ehe mit dem Prinzregenten von
Braunschweig entstammen 3 Söhne.
Potsdam, 8. Oct. Um 10 Uhr traf der Groß-
herzog von Baden auf dem Bahnhof in Potsdam ein
und wurde von der Kaiserin empfangen. Der Groß-
herzog hat im Stadtschloß Wohnung genommen. — Der
Kaiser fuhr heute Mittag um 12^4 Uhr ohne Begleitung
am Stadtschloß vor, und stattete dem Großherzog einen
Besuch ab, der etwa eine Stunde dauerte. Der Kaiser
begab sich sodann nach dem Marmorpalais, wohin der
Großherzog 10 Minuten darauf folgte.
Baden. Die badischen Mittelschulen waren im
abgelaufenen Jahre insgesammt von 12 701 Schülern
besucht gegen 12 412 des Vorjahres, das ist ein Zuwachs
von 2,3 Prrzent. Davon entfallen auf die Gelehrten-
schulen 4533, darunter 2077 katholische, 74 altkatholische,
2065 evangelische, 297 israelitische und 20 Schüler ohne
bestimmtes Bekenntniß. Die Zahl derprote st antischen
Schüler überwiegt stark im Procentsatz, da das
Land zwei Drittel Katholiken zählt. Die Gesammtzahl der
Gymnasialschüler blieb in den letzten 5 Jahren nahezu
gleich; bei den Oberrealschulen hat sich der Besuch der drei
Oberklassen gehoben, noch mehr würde dies der Fall sein,
wenn die Ertheilung weiterer Berechtigungen nicht so lange
auf sich warten ließe. An den Gelehrtenschulen wirkten in
169 Classen 216 akademisch gebildete und 33 nicht
akademisch gebildete Lehrer; an den Realschulen in 301
Classen 253 akademisch gebildete und 114 nicht akademisch
gebildete Lehrer- Mit dem neuen Schuljahr tritt eine
weitere Oberrealschule in Pforzheim ins Leben.

die Frau Ämlmänm» ein Ende, indem sie saate: „Ja, es ifi
ein autes Mädchen, nur meine ich, daß sie etwas vorlaut ist!"
— Und mit dieser Bemerkung war denn das Signal zum all-
gemeinen Tadel gegeben worden, wobei sich die Urtbeile der
Damen viel ausgiebiger und kräftiger erwiesen, sodaß es,
nachdem dem „vorlaut" ein „eitel", „stolz" und „albern" ge-
folgt war, in dem allgemeinen Klatsch ungefähr folgender-
maßen hieß: „Arrogante Person, was sich die eigentlich alles
einbildct! — Ihr Vater ist doch nur unser Beamter, wird
von unserem Geld bezahlt und erhalten, ist arm wie eine
Kirchenmaus, und dabei trägt das Fräulein Aurora die Nase
so hoch, als wenn sie tausendmal mehr wäre als wir! — Ich
glaube aar, sie bildet sich ein, sie sei hübsch. Lächerliche Per-
son ! Sie ist nie hübsch gewesen und wird jetzt alle Tage
häßlicher! — Nun, sie ist ja auch schon zweiunddreißiq Jahre
alt. — Da wird es freilich Zeit zum Heirathen! — Und daß
das alberne Geschöpf auch niemals klug wird! Hundertmal
ist sie schon verliebt gewesen, von jedem Herrn, welcher mit
ihr spricht, nimmt sie an, daß er sie wieder liebe und sie
heirathen wolle, und noch Keiner bat angebissen! Und Er, der
schöne Mann und edle Cavalier, sollte diese verliebte alte
Jungfer, dieses unwissende, eitle, alberne Wesen lieben können?
Nein, das ist Unsinn, offenbarer Unsinn! — Aurora Feuer-
stahl und der neue Rittmeister!? Sie und Er!? — 's ist
zum Lachen!" —
II.
B e i M a tz e.
Eine trauliche, von der Außenwelt abgeschlossene Stube
war es, welche die Kavallerie-Offiziere unserer Garnison zu
ihrem Kneipzimmer erwählt hatten und in welcher sie all-
abendlich oder allnächtlich mit einigen Herren vom Civil zu-
sammenlrasen, allabendlich, wenn sie den Abend für ihre
Stammkneipe frei hatten, allnächtlich, wenn sie irgendwo in
einer ästhetischen Theegesellschoft gewesen waren, um dann
in Matzes berühmtem dunklen Bier Entschädigung für ver-
lebte langweilige Stunden oder für süßlich-verdorbene Bowlen
zu suchen und ihren letzten Nachttrunk in mehreren Gläsern
Nürnberger zu nehmen. Die Kneipe oder vielmehr der von

den übrigen Räumen der Wirthschaft abseits gelegene Kneip-
' salon der Offiziere wurde von diesen kurzweg „Matze" ge-
nannt und zwar sonderbarer Weise nicht so nach dem Wirthe,
sondern nach dem Schwager des Wirthes. Der Wirth selbst»
ein junger, blonder Mann, seines Zeichens Kaufmann und
Delikatessenhändler, war ein stiller Mensch, ein schweigsamer
Wirth, ein schlechter Gesellschafter, der in der ersten Zeit, nachdem
er sich eine Frau genommen und in unserer Garnisonstadt
etablirt hatte, seine ganze geschäftliche Thätigkeit nur seinem
Loden, welcher rechts vom Thorwege des Hauses, und seiner
ländlich-sittlichen Bierstube, welche links vom Thorwege ge-
legen war, gewidmet hatte und welcher damals noch nicht
ahnte, daß sein Glück dermaleinst nicht in diesen Vorhallen
seines Etablissements, sondern in einem Hinteren Winkel des
Hauses, einem alten Niederlagsschuppen, erblühen sollte. Und
der Schwager Matze sollte der Begründer dieses Glückes
werden. Er hatte, nachdem er elf Semester Theologie studirt
und sich in dieser Zeit immer noch nicht dazu hatte verstehen
können, seine Examina zu absolvireu, gemeinsam mit seiner
Schwester, der niedlichen Delicateßhändlerin, die unverhoffte
Botschaft einer recht ansehnlichen Erbschaft erhalten. Sie
bestand in einem in der Provinz Schlesien belesenen Ritter-
gute, auf welchem ein älterer Verwandter als Hagestolz ge-
storben war. Andere Verwandte, welche an der Erbschaft
noch hätten Antbeil nehmen können, waren nicht vorhanden,
und so waren denn der Theologe und seine Schwester Ritter-
gutsbesitzer geworden. Im Vollbewußtsein seiner neuen
Würde und nachdem er seinen Commilitonen in Halle — vor-
läufig aus Pump, den der Kneipvater dem reichen Erben aber
recht gern gewährte — noch einen grandiosen Abschied gegeben
hatte, reiste der Theologe nach Oberschlesien ab, fand, nach-
dem er Bahn, Post und Lobnfuhrwerk benutzt hatte, den
Herrensitz seines verstorbenen Onkels und nahm von jenem,
auck von seiner Schwester dazu mit einer Vollmacht versehen,
Besitz, indem er am Grabe seines verstorbenen Onkels ein
Dankgebet sprach. , ....
(Fortsetzung scllgt.)
 
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