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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 255 - 280 (1. November 1898 - 30. November 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0488

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Insheim, Richard Groß köpf von Binau, :

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gegenüber. Das Reinvermögen berechnet
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Erinnerungen an Robert Blum.
Von L. Maximilian Fuchs zu Darmstadt
Heute sind fünfzig Jahre verflossen, seit Robert Blum
der Brigittenau bei Wien verblutete. Die Idee, für

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Man hat diesen herrlichsten elastischen Liebcssang von Manchen,
auch von solchen gehört, die noch des Meisters ureigenste Lieb-
linge waren. Burgstaller differirt in Vielem von ihnen.
Was ist dieser Liebessang, herrlich, wie er schwerlich wieder
gesungen wird! Das Verschmelzen des Elementaren mit dem
Individuellen. Der Weltfrühling weckt in Siegmund den Herzens-
frühling; der Windstoß, der das Thor der Hütte aufgerissen,
hat ihm das Thor des Herzens geöffnet, und daraus strömt das
ahnende, sehnende Liebesgeständniß. Der Erguß ist dramatisch,
nicht reflectirend, ist impulsiv.
Burgstaller nimmt eine ganz eigenartige Stellung zu der
Sache. Wie eine verhaltene Träumerei, wie eine zarte Vision,
deren heiße Flammen sogar in der dramatischen Mollpassage sich
kaum hervorwagen und nur im Höhepunkt klar und brennend
aufsteigen, gibt er den Sang. Unleugbar liegt über seiner Auf-
faffung ein keuscher, fast knabenhaft jugendlicher Zauber. Deckt
sich das ganz mit des Meisters Intentionen?
Jede Kunst ist in sich selbst wandelbar, auch die Wagners.
Eigenartig ist Burgstallers Auffassung, und was eigenartig ist,
hat, wie es im Worte liegt, Recht auf Bestand.
Wie groß der Zauber seiner Art war, bewies der Umstand,
daß er den Liebessang wiederholen mußte. Der musikalische
Deklamator wurde enthusiastisch gewürdigt. Ein reichlicher
Prozentsatz des Beifalls soll auf Prof. Wolfrums liebevolle,
künstlerische Begleitung aufgerechnet werden. vr. 8.

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halb wird im Liszt-Vortrag Burgstaller schwerlich einen Rivalen
finden.
Wenn ich ehrlich sage, daß diese Liszt-Compositionen meinem
Herzen nicht sehr nahe stehen, so bekenne ich eben so gerne, daß
ich dem, was sie erstreben und erreichen, darum meine Be-
wunderung ungemindert zolle, besonders dem melodisch-
natürlich fließenden „Ständchen" oder der geistvollen Zeichnung
von „Bist Du". Textlich ganz unverständlich — die Sage von
Nonnenwerth liefert vielleicht den Schlüssel — ist mir „Nonnen-
werth" geblieben. Ist „Sie" todt? — warum kam „Sie" nicht
wieder? — und wenn „Sie" wiederkommt, warum beschwört „Er"
„Sie" mit dem „letzten seiner Lieder" ? Auch die Compositton
wirft keinen Lichtschein in das mystische Dunkel.
Diese Lieder schwanken zwischen dem verhaltenen, träumerischen,
weichen Hindümmern und leidenschaftlichem Aufschrei. Und so
Herrn Burgstallers Vortrag, wechselnd zwischen der ver-
haltenen, gedeckten weichen und träumerischen Halbstimme und
leidenschaftlich aufleuchtender Helle, die, wie in der Mittelstrophe
von „Bist Du" sogar sich mit harytonaler Kraft und Energie
verband. Seine Deklamation ist wundervoll scharf, klar, poetisch,
den ganzen Gehalt erschöpfend, — aber nicht immer natürlich,
namentlich in der Aussprache. Burgstallers Art hat etwas
eigenartig Fascinirendes, sie ist der Gipfel der Deklamations-
kunst, sie ist geistvoll und poetisch — ist sie aber auch wirklich
musikalisch durchaus — gesund?
Burgstaller sang Liszt, wie Liszt geartet ist; sang er Wagner s
in Siegmunds Liebcssang auch, wie Wagner geartet ist? /

— (Finanzpraktikanten.) Von den Finanzkandidaten,
die sich im Oktober d. I. der Staatsprüfung für den höberen
Finanzdienst unterzogen haben, sind folgende fünf unter die Zahl
der Finanz vrakt ika nte n^ aufgenommen^ worden: „Otto
Friedrich Schumacher von Karlsruhe, Maximilian Kamm
von Baden und Karl Lang von Radolfzell.
— Die Eisenbahnlinie Genua—Spezia ist voraussichtlich für
die ganze Dauer des Monats November zwischen Vccnazza und
Corniglia unterbrochen und der Eilgut-, Frachtgut- und gewöhn-
liche Personenzugsverkehr beiderseitig bis zu letzteren Stationen
beschränkt. Der Schnellzugsverkehr wird mit etwa nm eine
Stunde längerer Fahrzeit gegenüber dem gewöhnlichen Fahrplan
über Piacenza—-Parma—Sarzana umgeleitet.

Aus Stadt und Land.
Heidelberg, 9. November.
* Stadträthliche Vorlagen an den Viirgerausschuß-
Vorlage I bezieht sich auf die Verkündigung der Rechnungen
der städtischen Kassen pro 1897, worüber ein Rechenschaftsbericht
bereits ausgegeben ist. — Vorlage II betrifft die Bau-
ausführungen im Stadttheater. Das Nähere darüber ist im
Rechenschaftsbericht für 1897 bereits enthalten gewesen. — Mit
Vorlage III beantragt der Stadtrath die Bewilligung einer
Unterstützung von jährlich 400 an die Wittwe und die
Kinder des verstorbenen Kapellmeisters Zschoppe. Die Unter-
stützung soll jederzeit widerruflich sein. — Mit Vorlage 1^
wird beantragt, der Bürgerausschuß wolle zustimmen, daß
1. vom 1. Januar k. I. an die einzelnen Einlageguthaben
bei der städtischen Sparkasse bis einschließlich 5000 >
mit 3Vs und alle diese Summe übersteigenden Einlagen mit
3Vi Prozent verzinst werden, jedoch mit der Maßgabe, daß die
Verzinsung von 3'/« Prozent hinsichtlich des Gesammtbetrages
des Guthabens für das ganze Kalenderjahr Platz greift, wenn
in demselben das betreffende Einlageguthaben auch nur vorüber-
gehend die Summe von 5000 überschritten hat; 2. vom
gleichen Zeitpunkte an Z lO Iit. b der Satzungen folgende Fassung
erhalte: „Die vor dem 21. eines Monats gemachten Einlagen
werden ohne Unterschied des Betrages vom ersten Tag des
nächsten Monats an verzinst. Am 21. oder an einem späteren
Tage des Monats gemachte Einlagen werden, soweit sie den
Betrag von 5000 übersteigen, erst vom ersten Tag des über-
nächsten Monats an verzinst. Die Verzinsung der zurückerhobenen
Einlagen hört mit dem letzten Tage des vorangegangenen
Monats auf." — Vorlage V betrifft die Verwendung der
1897er Ueberschüsse der städtischen Sparkasse. Die
Schulden der Kasse betrugen am A.December 1897 13 339 442
81 Diesen Schulden stand ein Gesammtvermögen von
14437 262 06 gegenüber. Das Reinvermögen berechnet
sich sonach auf 1097 819 25 Für den Reservefond sind
nach 8 16 der Satzungen der städtischen Sparkasse 5 P roz. des
Gesammteinlageguthabens --- 665836 72^ erforderlich, sodaß,
wenn man diesen Betrag nach Anleitung des § 59 der Rechnungs-
anweisung vom Reinvermögen abzieht, ein Ueberschuß von
431982 53 verbleibt. Unter diesem Betrag sind allerdings
die aus den Uebeschüssen des Jahres 1896 zur Verwendung für
gemeinnützige Zwecke genehmigten, aber erst im Januar d. I-
an die Stadtkasse abgefllhrten 50000 enthalten. Nach Ab-
rechnung dieser Summe verbleibt ein verfügbarer Ueberschuß von
381 982 53 Wenn auch diese Summe eine etwas höhere
Ablieferung an die Stadtkasse wie bisher ermöglichen würde,
so ist der Stadtrath doch mit dem Verwaltungsrath der städtischen
Sparkasse der Ansicht, daß man im Interesse einer gewissen
Stetigkeit im städtischen Budget auch diesmal nicht mehr als
50000 den Ueberschüssen zur Einstellung in den Gemeinde-
voranschlag entnehmen sollte. Von den 50000 sollen ver-
wendet werden 22000 zu Zwecken der Oberrealschule,
13000 zu Zwecken der höheren Mädchenschule, 6000 zu
Zwecken der Gewerbeschule, 9000 zu Zwecken der erweiterten
Volksschule. (Schluß folgt.)
K Interessante Geige. Der Violinvirtuose Bela KiralY,
der Freitag, den 11. November, im großen Harmoniesaale

Ausland
Oesterreich-Ungarn. Wien, 8. Noo. In Orth bei
Gmunden ist vergangene Nacht 12 Uhr die ehemalige Groß-
herzogin von Toscana, Er z h erz og in M ar ia Antonia
gestorben. (Die Verstorbene wurde als Prinzessin bei-
der Sizilien geboren am Ist. December 1814 und ver-
mählt zu Neapel am 7. Juni 1833 mit dem 1870 ver-
storbenen Großherzog Leopold II. von Toscana. Ihr äl-
tester Sohu ist als Ferdinand IV. Haupt der Familie
„Nichtregierender Ast Toscana des Hauses Lothringen-
Habsburg." Ihr jüngster Sohn war der vor einigen
Jahren als Johann Orth verschollene Erzherzog Johann.)
Wien, 8. Nov. Das Abgeordnetenhaus setzte
heute die Berathung der Anträge auf Anklage des Mini-
steriums Thun fort.
Jaworski legt Verwahrung ein namens der Polen und der
Mehrheit des Hauses gegen die Aeußernngeu Schönerer? in der
letzten Sitzung. (Frhr. v. Hackelberg vom verfassungstreuen
Großgrundbesitz ruft: Auch in unserem Namen!) Die Polen
erblickten in Oesterreich den Hort für die Entwick-
lung ihres nationalen Lebens. Sie würden deshalbfest
und treu zu Oesterreich halten und für dessen Macht, Ansehen und
Bedeutung einstehen. Dies Verhalten sei nicht allein Selbsterhal-
tungstrieb, sondern eine Pflicht der Dankbarkeit. Die Mehrheit
wolle den Frieden zwischen den Völkern: Gleiche Rechte, aber
auch gleiche Pflichten. Durch solche Reden, wie die Schönerers,
werde der Friede nicht gefördert, ebensowenig die Machtstellung
der Monarchie. Wenn der von Schönerer citirte Bismarck noch
lebte, würde Schönerer von ihm eine ausgiebige Zurechtweisung
erhalten. Den Anklageanträgeu selbst könnten die Polen nicht
zustimmen. Diese Rede Jaworskis wurde von der Rechten mehr-
fach durch lebhaften Beifall und Händeklatschen, seitens der
Schönerianer durch lärmende Zurufe unterbrochen. Abgeordneter
Bareuther (deutsch-nat,): Eher möge der Staat in Trümmer
gehen, als daß wir ehrlos in ihm leben, und er wird in Trümmer
gehen unter slavischer Führung. Ein Nebeltag wird wieder-
kommen, verhängnißvoller als jener von Chlum, verhängnißvoll
für den Staat, aber nicht für unser Volk. Finanzminister Dr.
Kaizl versucht die Anwendung des 8 14 in längerer Ausführung
zu rechtfertigen. Graf Stuerghk spricht Namens des ver-
fassungstreuen Großgrundbesitzes Entrüstung aus über die un-
qualifizirbarcn Ausdrücke Schönerers, welche das österreichische
Gefühl auf's tiefste verletzten. (Wolf ruft: Das Volk jubelt
über die Rede Schönerers; was die Grafen sagen, ist gleichgiltig!)
Im weiteren Verlaufe der Debatte sagt Schönerer: 'Der Volks-
ruf der Deutschen werde immer lauten: „Heil, Alldeutschland!"
Das ruft einen furchtbaren Entrüstnngssturm hervor. Wolf sagt
in einer thatsächlichen Berichtigung, das polnische Volk sei ein
Schmarotzervolk. Polen und Czechen brechen in wilde Rufe aus:
Hinaus! Das lassen wir uns nicht gefallen! Man muß ihn
ohrfeigen! Preußischer Spion! Zahlreiche Abgeordnete stürzen
auf Wolf zu mit drohenden Geberden. Die Skandal-
szene endet erst nach viertelstündiger Dauer, indem der
Präsident dem Abgeordneten Wolf das Wort entzieht. Das Abge-
ordnetenhaus lehnte schließlich mit 185 gegen 115 Stimmen die
Anklageanträge Kaiser nnd Schönerer gegen das Ministerium
Thun ab. Im Verlauf der sehr erregten Debatte erfolgte noch
ein heftiger Zusammenstoß zwischen Wolf und dem polnischen
Abgeordneten Gnicwosc; wie es heißt, hat Wolf diesem eine For-
derung geschickt.
Frankreich. Paris, 8. Nov. Der Kassationshof
trat heute halb 1 Uhr zusammen, um die Kriegsmiuister
zu verhören. Die Umgebung wurde scharf überwacht. Um
12 Uhr 40 Minuten betrat General Mercier in Civil
den Justizpalast. Er machte seine Aussage im Beisein
aller Mitglieder der Criminalkammer. Der Generalstaats-
anwalt Manau und der Anwalt Mornard waren nicht
zugegen. Um zu verhindern, daß General Mercier von
den am Ausgang harrenden Berichterstattern belästigt werde,
ließ man ihn auf einer Nebentreppe sich entfernen. Das
Verhör Cavaignacs dauerte von 2 bis 3 Uhr. Nach
ihm erschien General Billot, ebenfalls in Civil.
Spanien. Madrid, 8. Nov. Blüttermeldungcn zu-
folge theilte Montero Rios in einem gestern Abend im
Ministerrathe verlesenen Briefe mst: Die spanisch n Com-
missare werden in der heutigen Sitzung der Friedens-
commission die genaue Innehaltung aller Klauseln des
Friedensprotokolls verlangen und sich weigern, auf eine
Erörterung über die Frage der spanischen Oberhoheit über
die Philippinen eiuzugchen.
Türkei. Kanea (Kreta), 7. Nov. Die türkischen
Truppen in Retimo weigerten sich, freiwillig ab-
zureisen und wurden deshalb von den Russen gezwungen,
sich einzuschiffen. Das türkische Postamt wurde geschlossen.

in
welche er sein Leben hingab, die Einheit und Freiheit des i
deutschen Vaterlandes, ist verwirklicht worden. Ein glück- ,
sicheres Geschlecht ist herangewachsen, das gerecht und un- :
parteiisch die Verdienste wie die Fehler der Männer zu
würdigen vermag, die im „tollen Jahre" 1848 muthig
und erfolglos um die höchsten Güter der Nation stritten.
Der ältesten Generation ist noch erinnerlich, wie in
ganz Deutschland ein Sturm der Entrüstung losbrach, als
die „Ermordung" Blums ruchbar wurde. Das deutsche
Parlament, das sächsische Ministerium, Rath und Stadt-
verordnete zu Leipzig, Hunderte von Volksversammlungen
und Millionen deutscher Männer forderten Sühne für das
begangene Verbrechen: Alles umsonst! Das Volk war
ohnmächtig. — In rührendster Weise zeigte sich, wie herz-
lich das Volk an dem Erschossenen gehangen. In Mann-
heim flaggten alle Schiffe schwarz; Todtenfeiern fanden
überall statt; reich waren im Vergleich zu der damaligen
Armuth unseres Volkes die Sammlungen für Blum's
Hinterbliebene. Manches schöne Gedicht hat die Erregung,
welche die schmerzliche Kunde heroorrief, geboren, keines
schöner, als Freiligraths:
Vor zweiundvierzig Jahren war's, da hat mit Macht geschrien:
Ein siebentägig Kölner Kind auf seiner Mutter Knieen!
Acht Tage sind's, da lag zu Wie» ein blusiger Mann im Sande —
Heut' scholl ihm Neukomm's Requiem zu Köln am Rheines-
strande.
Wir haben erreicht, was Robert Blum erstrebte und
bei seinem Tode unerfüllt sah; wir haben es erreicht in
anderer Weise, als er dachte und unter uns auch Viele
erwarteten.
Der Grund der unvcrwelklichen Liebe und Verehrung,
die das Volk an Blum's Namen heftet, ist einfach genug.
Blum hat in seiner Kindheit und Jugend die Leiden der
Armuth gekostet, wie selten ein Anderer. Er hat schon
als ganz junger Mensch lange schmerzliche Blicke gethan
in die tiefsten Tiefen leiblichen und geistigen menschlichen
Elends, Robert Blum ist mit eigener Kraft aus diesem
ihm von einem hartem Schicksal vorgezeichneten, scheinbar
unübersteiglichen Lebenskreise immer freier und größer
herausgewachsen. Er hat begonnen, mit unvergleichlicher
Ausdauer an seiner eigenen, geistigen Fortbildung,
seiner Befreiung aus den Banden der Armuth und
Unbildung zu arbeiten. Die Leiden und Kümmernisse
des Arbeiters haben niemals einen beredteren und un-
eigennützigeren Anwalt gefunden, als an ihm. — In
wunderbarem Maße war ihm die Macht der Rede gegeben,
niemals hat ein Mann so wie er es verstanden, aufgeregte
Massen zu beschwichtigen. Und dieses reiche, kraftvolle
Leben, dessen letzter Theil mit Aufopferung und groß-
herziger Verleugnung aller eigenen Interessen nur seinem
Volke gewidmet war, hat Blum gekrönt durch seinen in
der Blülhe der Jahre muthig erlittenen Tod. Daß in
Robert Blum nicht die Person, sondern der Vertreter des
deutschen Volkes, die Unverletzlichkeit des Reichstags-
abgeordneten habe gerichtet werden sollen, darüber gaben
die Alten seines sehr kurzen Prozesses volle Gewißheit.
Das Scheiden von Weib und Kind, ohne die Lieben
noch einmal gesehen zu haben, ohne ihre Zukunft auf
sicherer Grundlage zu wissen, machte Blum die letzte
Stunde am schwersten. Dem Pater Raimund soll er auf
dem Wege zur Richlstätte oftmals zugerufen haben: „Nicht
der Abgeordnete Blum weint, nur der Gatte und Vater."
Die ganze Gefühlstiefe und Seelengröße des Mannes ist
aber gezeichnet in dem letzten Briefe an seine Gattin. Oft
ist dieser gedruckt, lithographirt facsimilirt worden, aber
niemals, meinen wir, kann er zu oft gelesen werden. Er
lautet:
„Mein theures, liebes, gutes Weib, lebe wohl, für die Zeit,
die man ewig nennt, die es aber nicht sein wird. Erziehe
unsere — jetzt nur Deine Kinder zu edlen Menschen, dann
werden sie ihrem Vater nimmer Schande machen. Unser kleines
Vermögen verkaufe mit Hülfe unserer Freunde, Gott und gute
Menschen werden Euch ja helfen. Alles, was ich empfinde,
rinnt in Thränen dahin, daher nur nochmals leb' wohl, theures
Weib! Betrachte unsere Kinder als theures Vermächtniß, mit
dem Du wuchern mußt, und ehre so Deinen thcuren Gatten!
Leb' wohl, leb' wohl! Tausend, tausend, die letzten Küsse von
Deinem Robert. Wien, ven 9.November 1848, Morgens 5 Uhr;
um 6 Uhr habe ich vollendet. Die Ringe hatte ich vergessen;
ich drücke Dir den letzten Kuß auf den Trauring. Mein Siegel-
ring ist für Hans, die Uhr für Richard, der Diamantknopf für
Ida, die Kette für Alfred als Andenken. Alle sonstigen Andenken
vertheile Du nach Deinem Ermessen! Man kommt! Lebe wohl,
wohl!"
Einem Mann verdanken wir vornehmlich die Verwirk-
lichung unserer nationalen Einheit. So mag denn dieses

Marmes Urtheil über Robert Blum dessen Lebensbild be-
schließen.
Am 20. Mai 1870, nach einer Sitzung des Reichstags,
bei welcher das Strafgesetzbuch durch die Stimme von
Blums Sohn mit zu Stande gekommen war und in der
ihn die Sozialisten beschimpft hatten, ersuchte der Reichs-
kanzler, Graf Bismarck, den Sohn Robert Blum's, Haas
Blum, in sein Cabinet zu kommen. Er reichte Hans BluM
seine Rechte und sagte: „Lassen Sie uns in dieser Stunde,
von der ich hoffe, daß sie für ganz Deutschland segens-
reich sein wird, ein Bündniß schließen", — H. Bluar
stutzte — „ein Bündniß," sagte er mit einem Lächeln,
nicht zu Gunsten eines von uns Lebenden, sondern za
Gunsten eines Tobten. Wenn es den Herren Sozialisten
wieder einfallen sollte, Ihren Herrn Vater herabzuwürdigst
dadurch, daß sie ihn für einen der Ihrigen ausgeben, st
verfügen Sie über die Macht, die ich besitze, namentlich
aber in der Presse, um dieses Bild rein zu halten. IP
Vater war sehr liberal — er würde auch heute, wenn er
noch lebte, sehr liberal sein, aber er war auch gut national."
Das Urtheil, welches ein Auditeur Robert Blum vor-
las, lautete:
„Urtheil, welches von dem auf Befehl des k.k. hohen Militärstadt-
Commandos in Wien zusammengesetzten permanenten Stand-
rechte mit Einheit der Stimmen geschöpft wurde: Herr Robert
Blum, welcher bei erhobenem Thatbestande durch sein Geständ-
niß und durch Zeugen überwiesen ist, am 23. October l. Js. st
der A 'la zu Wien durch Reden in einer Versammlung zum Auf-
ruhr gereizt und am 28. October l. Js. an dem bewaffneten
Aufruhre in Wien als Commandant einer Compagnie des Elite-
Corps thätig Antheil genommen zu haben, soll nach der Be-
timmung der Proklamation des F. M. Fürsten zu Wiudischgrätz
vom 20. und 23. Octobcr mit dem Tode durch den Strang be-
straft werden. So gesprochen in dem Standrechte, angefangst
um halb 6 Uhr Abends am 8. November 1848. Folgen bie
Unterschriften. — Ist kund zu machen und in augenblicklicher Er-
mangelung eines Freimanns mit Pulver und Blei durch's Er-
schießen zu vollziehen. Wien, den 8. Novemb-r 1848. Ist
Namen Sr. Durchlaucht des Herrn Feldmarschalls Hippsch G. M-'
Blum fuhr mit einem Geistlichen und unter Begleitung
dreier Jäger in einem verschlossenen Wagen bis zur Reiter-
kaserne in der Leopoldstadt. Hier wollte man ihm Kette»
anlegen. Er sträubte sich dagegen und sprach: „Ich will
als freier deutscher Mann sterben. Verschonen Sie mich
mit Ihren Ketten!" Gegen halb 8 Uhr langte der Wage»
unter Infanterie nnd Caoallerie-Cskorle auf dem zur Richl-
stätte erlesenen Platze in der Brigittenau an. Als nm»
ihm die Augen verbinden will, sagt er: „Er wolle bei»
Tod frei ins Auge sehen." Der commandirende Offizier
bittet ihn, das Verbinden der Sicherheit der Schützen we-
gen geschehen zu lassen. Da schlingt er sich die Binde
selbst um die Augen, stellt sich vor das Pelaton und ruft:
„Ich sterbe für die Freiheit, möge das Vaterland meiner
eingedenk sein!" Drei Schüsse krachen zugleich. Sie ha-
ben Brust und Kopf des deutschen Mannes durchbohrt;
er sinkt rücklings und verblutet — eine Leiche, einen Tag
vor seinem Geburtstag.
Noch sieht Schreiber dieser Zeilen den unvergessenen !
Robert Blum vor sich in Koblenz am Rhein, wo sich dec- G H
selbe einige Tage im Gasthof „Zum wilden Schwein"
aufhielt. Er hatte damals wohl kaum sein 38. Lebens- * "
jahr erreicht. Es lag unendlich viel Milde und Beschei-
denheit in seinem Wesen, und Niemand, der oberflächlich
mit ihm verkehrte, konnte wissen, welch' ein starkes Herz
in seiner Brust schlug. Für die gute Sache setzte er Alles
ein: Vermögen, Familienglück und das Leben selbst.
 
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