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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

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Nr. 255 - 280 (1. November 1898 - 30. November 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0522

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.,3.05,
3,10, geft o,o

hat, laut Volksbote, die ansehnliche Summe von tausend Dolla^
testamentarisch dazu bestimmt, daß aus dem Zinsenertrag dieser
Kapitals alljährlich für arme Kinder der Gemeinde eure
Weihnachtsbeschcerung veranstaltet werden soll.
Mannheim, 16. Nov. Der Pure Oil Co. in Hamburg die
Niederlassung in Mannheim zu ermöglichen, hat die Handelskanimtt-
das Mögliche gethan. Nachdem trotz der entgegenkommenden Hat
rung der Gr. Generaldirektion cs nicht gelungen war, eine «er-
ständigung zu erreichen, hatte die Handelskammer geglaubt, de
Pure Oil Company wiederholt ihre Vermittelung anbieten, A
sollen, in der Annahme, daß eine Einigung doch noch ersien
werden könne. Die Pure Oil Co. hat für dieses Anerbiete»
dankend nunmehr mitgetheilt, daß sie au ihrem Entschlüsse, j»
Mannheim keine Tankstation zu errichten, nichts mehr ander»
könne; sie hoffe aber, ihr Hauptkontor für Süddeutschland na«
Mannheim verlegen zu können. .
8. N. Oberkirch, 16. Nov. Die vorgestrige Generalversamw-
lung der Renchthaleisenbahngesellschaft in Oppenau beschloß de
Verkauf der Bahn an die Süddeutsche EisenbahngesellschaE,

Aus Stadt und Land.
Heidelberg, 17. November.
** Z. K. H. die Großherzogin von Hessen iraf gestern
Mittag 12 Uhr 27 wieder hier ein und nahm im Europäischen
Hof Absteigquartier. Nachmittags 2 Uhr 56 reiste sie nach
Darmstadt zurück.
st Fürstlicher Besuch. Ihre Kgl. Hoheit die Prinzessin Heinrich
von Battenberg mit ihrer Tochter, Prinzessin Alice, traf heute
früh 8 Uhr 86 M. hier ein und stieg im Victoria Hotel ab, wo
auch Prinzessin Louise und Prinz Georg weilen.
X Ans dem Stadtrath. In der gestrigen Stadtraths-
Sitzung wurden u. A. folgende Gegenstände zur Kenntniß
bezw. Erledigung gebracht:
1) Nach dem Geschäftsberichte des Vorstandes des städtischen
chemischen Laboratoriums wurden von demselben im vorigen
Monate 6 Proben von Chocolade, 12 von Eiern, 5 von Gummi-
waarcn, 7 von irdenem Geschirr, 3 von Käse, 10 von Kuhmilch,

Kleine Zeitung.
— Berlin, 12. Novbr. Mit welchem Leichtsinn witume
Ehen geschlossen werden, zeigte eine Anklage wegen Untt'
schlagung, die das Schö ffenge rich t heute gegen einen Arbem
Namens Josephi zu verhandeln hatte. Die Kreuzztg. theilt dw-
über Folgendes mit: Der erst 20jährige Mann, der
keinen Groschen besitzt und sich in bitterster Noth befand, HE
das dringende Bedürfniß, sich mit einem jungen Mädchen, w
dem er bis dahin „gegangen" war, zu verheirathen. Zum Gavö
nach dem Standesamts mußte er sich erst von einem ihm "s
kannten Schneidermeister einen schwarzen Rock borgen. Unimtu
bar nach der Eheschließung begab er sich zu einem PfandleM
und versetzte den Rock für 6 Mk., um wenigstens etwas zu leve
zu haben. Der Gerichtshof billigte dem sonderbaren Eheina»»
mildernde Umstände zu und verurtheilte ihn zu 10 Mk. Geldstrafe

10 von Kuhbutter, 4 von Spielwaaren, 2 von Kanalwasser, 1 von
Lohasche, 5 von Parfümerien, 6 von Petroleum, 6 von Speiseöl,
6 von Teigwaaren, 57 von Wurst und 22 von Zuckcrwaaren
untersucht üud dabei 3 Proben von Butter beanstandet. Von -
den 176 Untersuchungen erfolgten 171 im Auftrage von Behörden
und 5 auf Antrag von Privaten. Die Untersuchung je einer l
Milchprobe aus den Milchkuranstalten von Joh. Baur und Jak. l
Schweickardt lieferte ein günstiges Ergebniß. !
2) Das Ergebniß der Laubversteigerung vom 10. d. M. mit i
einem Erlös von 949 wurde genehmigt. l
3) Anläßlich des in der Nacht auf den 12. d. Mts. ausge- f
brochenen Brandes wurde durch das rasche und energische Ein- !
greifen der freiwilligen Feuerwehr die weitere Ausbreitung des l
Feuers verhindert. Es wurde deßhalb beschlossen, der Feuerwehr
in einem beionderen Schreiben die Anerkennung des Stadtrathes '
auszusprochen.
4) Die neue Straße durch das früher Jckrath'sche Grundstück
soll die Bezeichnung „Scheffelstraße" erhalten.
5) Die Bauvorhaben der Aktiengesellschaft „Gasthaus Kohlhof"
(Bau eines weiteren Stalles auf dem Kohlhof) und des Glaser-
meisters Georg Betz, Schneidmühlgasse Nr. 7 und 7 a, werden
nicht beanstandet.
6) Das Ortsstatut über den Besuch der Gewerbeschule soll
mit 8 120 (neue Fassung) der Gewerbeordnung, sowie mit dem
Landesgesetze vom 15. August d. I. in Einklang gebracht werden.
8 Bazar des Frauenvereins zur Gustav Adolf-Stiftung
Der alljährlich im großen Harmoniesaal stattfiudeude Bazar
wurde gestern Nachmittag 4 Uhr. eröffnet und alsbald entfaltete
sich daselbst ein reges Leben und Treiben. Zahlreicher Besuch
fand sich ein, der Verkauf der vielen gespendeten Gaben ging,
unterstützt von zungenfertigen, gewandten Verkäuferinnen, flott
von statten; ebenso fanden die Bnffets, woselbst sich bei lebhafter,
munterer Unterhaltung das eine und andere Kaffeekränzchen
bildete, vielen Zuspruch. Auch andere Gelegenheiten, sein Geld
los zu werden, wurden mit tödlichem Eifer benützt, so namentlich
der bekannte Glückssack. Loose waren vor und während des Bazars
stark gefragt. Heute Nachmittag findet Fortsetzung und Schluß
des Bazars statt. Möge er ein recht günstiges Ergebniß auf-
weisen I
chch Freireligiöse Gemeinde. Der 16. ordentliche Verbandstag
der freireligiösen und deutschkatholischen Gemeinden Süddeutsch-
lands findet Samstag und Sonntag dieser Woche dahier statt.
Die freireligiöse Gemeinde hat aus diesem Anlaß verschiedene
Veranstaltungen vorgesehen, von denen wir aus folgende beson-
ders Hinweisen möchten: Samstag, den 19. ds, Abends 8 Uhr,
wird Hr- Prediger Voigt-Offenbach a. M. im großen Harmonie-
aale einen öffentlichen Vortrag halten, an welchen sich ein
amiliäres Beisammensein anreihen wird mit freien Ansprachen
der verschiedenen Prediger und gesanglichen Darbietungen. Den
Festvortrag am Sonntag, den 20. November, Vormittags 10 Uhr,
wird der Prediger der freireligiösen Gemeinde in Mainz, Herr
Ascanius Fre Herr von Zucco-Cuccagna halten. Er wird seinem
Vorträge das Thema: „Religion und Kirchenthum" zu Grunde
legen. Ein Festessen, ebenfalls im Harmoniesaale, wird die
Theilnehmer des Verbandstages, sowie Mitglieder und Freunde
der Gemeinde am gleichen Tage Nachmittags 1 Vs Uhr vereinigen.
Wie die Gemeinde bekannt gibt, ist zu allen Veranstaltungen
Jedermann herzlich ein geladen. Aus der Tagesord-
nung des Verbandstages sei neben den geschäftlichen Verhand-
lungen, die Samstag Vormittag 10 Uhr ihren Anfang nehmen,
besonders hervorgehoben: Die Neuregelung der Pensionsverhält-
nisse der Prediger (Referent: Subdirektor Duffing-Mannheim);
die staatliche Subventionirung der hessischen Gemeinden (Refe-
rent: Prediger Voigt-Offenbach); der Stand der Lehrerfrage in
Mannheim ; Referent: Prediger Schneider-Mannheim); die Be-
richterstattung über die Seelsorge (Referent: Prediger Welker-
Wiesbaden); über Diskussionsabende (Referent: Prediger Schnei-
der-Mannheim); über Erbauungen (Referent: Prediger Saenger-
Fraukfurt a. M.); Berichterstattung der Sektionen für Propaganda,
Schule und Predigtamt.
IV. Kaufmännischer Verein. Der gestern Abend vom Kauf-
männischen Verein veranstaltete Erörterungsabend hatte eine recht
rege Betheiligung aufzuweisen. Es war ja auch ein sehr
interessantes Thema für die Mitglieder aufgestellt, „Prinzipal
und Handlungsgehilfe nach den neuen Bestimmun-
gen des Handelsgesetzbuches". Herr Rechtsanwalt Dr.
Rudolf Fürst, welcher den Vortrag über oben genanntes Thema
hielt, sprach in leicht faßlicher, für Jeden verständlicher Form.
Der Vortragende führte zunächst aus, daß die eingeführten
Aeuderungen im Wesentlichen dem sozialen Zuge der jetzigen Zeit
ihre Entstehung verdanken. Dem sei es auch zuzuschceiden, daß
diese Bestimmungen kraft eines Beschlusses des Reichstages schon
am 1. Januar dieses Jahres in Kraft treten, während die übrigen
Theile des neuen Handelsgesetzbuches zugleich mit dem Bürger-
lichen Gesetzbuch am 1. Januar 1900 Geltung erlangen werden.
Redner besprach alsdann die wichtigsten Aeuderungen. Er hob hervor,
daß zu Gunsten der Handlungsgehilfen eine Mindestkündigungs-
frist vou 1 Monat einqeführr, Kündigung nur auf Schluß des
Kaleudermonats zugelassen und vor allem Ungleichheiten der
Kündigungsfristen für Prinzipal und Gehilfen verboten seien.
Sodann beleuchtete er die Auflösung des Gehilfenvertrags ohne
Kündigungsfrist, die beiderseitigen Verpflichtungen von Prinzipal
und Handlungsgehilfen, wobei insbesondere die neuen Bestim-
mungen über die Gehaltszahlung und über die Klausel des Ver-
botes der Konkurrenz nach dem Austritt aus dem Geschäfte ein-
gehende Würdigung fanden. Den Schluß der Ausführungen
bildete eine Betrachtung dec in den neuen Bestimmungen erst-
mals gesetzlich geordneten Verhältnisse der Handlungslehrlinge,
bezüglich deren die Gesetzesvorschriften im Wesentlichen sich den-
jenigen über den Gehilfenvertrag anschließen, soweit nicht der
besondere Zweck des Lehrvertrages — die sachgemäße Ausbildung
des Lehrltnges — abweichende gesetzliche Regelung nothwendig
machte. Reicher Beifall wurde Herrn Dr. Fürst zu Theil.
Der Vorsitzende des Vereins dankte dem Redner für seinen
lehrreichen, interessanten Vortrag und forderte die Mitglieder
' auf, sich zum Dank von den Plätzen zu erheben. Darauf ent-
spann sich eine lebhafte Diskussion, woran die Betheiligung eine
, allgemeine war. Unter Anderem machte im Anschluß an den
' Vortrag des Herrn Dr. Fürst Herr H as s e me r darauf auf-
merksam, daß sich bei Beraihung der Bestimmungen des neuen
Handelsgesetzes, sowie, auch des Gesetzes überden unlauteren Wett-
bewerbs Herr Rechtsanwalt Dr. Wassermann als damaliger Ver-
treter der Stadt Mannheim um die Sache der Handlungs-
gehilfen im Reichstage sehr verdient gemacht hat. Der Erörte-
rungsabend war ein neuer Beweis von dem anerkennenswerthen
Wirken der Kaufmännischen Vereine, die sich die Interessen der
Gehilfen stets warm angelegen sein lassen und durch ihre ange-
sehene Stellung zu großem Einfluß gelangen.
— Polizeibericht. Fünf junge Leute kamen in verflossener
Nacht wegen Ruhestörung zur Anzeige, sowie aus gleichem Anlaß
ein Schlosser. Ein Zimmermann, der von der Staatsanwaltschaft
Karlsruhe wegen Diebstahls verfolgt wird, wurde gestern dahier
verhaftet.
Sinsheim, 15. Nov. Ein Akt unerhörter Rohheit trug
sich nach dem Landboten in der Nacht von Samstag auf Sonntag
in dem Emoilwerk dahier zu. Der in der Brennerei beschäftigte
verheirathete Arbeiter H. A. warf den mit seinem Herrn gegen
11 Uhr in den Raum gekommenen Hund (Foxterrier), welcher
von den offen daliegenden Eßwaaren des Arbeiters etwas ge-
nascht hatte, zur Strafe dafür in den unter dem Brennofen be-
findlichen Wasserbehälter. Das arme Thicrchen wurde dadurch
am halben Körper so schrecklich verbrüht, daß das rohe Fleisch
zum Vorschein kam und der Hund am Montag verendete. Gegen
den rohen Thäter, der natürlich sofort aus der Arbeit entlassen
wurde, ist gerichtliche Anzeige erhoben und wird eine exemplarische
Strafe für ihn nickt ausbleiben.
Ittlingen, 15. Novbr. Herr Konsul Philipp Gruner, ein
geborener Jttlinger, am 9. September in St. Louis gestorben,

Handel und Verkehr. g
Mannheim, 16. Nov. (Aktien.) Oberrh. Bank 123.""«
Rhein. Creditdank 142.— G. Rhein. Hypothekenbank 168-""
Heidelberger Aktiendrauerei 137.— B. Schrödl'sche Bram
Aktien 138.— G. Portland-Cementwerk Heidelberg 167.50
Sinsheim, 15. Nov. Heute war der hiesige Schw/E
markt mit 25 Stück Milch- und 16 Läuferschweinen besahst«,
Bezahlt wurden für das Paar Milchschweine 12—20 -kL,
Läuferschweine 30—45
Schiffsnachrichten. Norddeutsch er Lloyd in Bre>»^
(Agenturen in Heidelberg: Josef Münch, HauPtstraE,
und C. Haas, Hirschstraße 13). Angekommen sind fwß /
Dampfer: „Roland" am 12. Nov. in Baltimore, „Königs
am 12. Nov. in Hongkong, „Bremen" am 11. Nov. in Ave»-^
Llrafterstandsnachrtchten.
Neckar. Rhein.
Heidelberg, 17., 1,10, gest. 0,01m Lanterbnrg, 15., 3.05, gest. o-A
Heilbronn, 15., 0,55, gef.0,05w Maxau, 15., 3,10,
Mannheim, 16., 2,68, gef. 0,04m Mannheim, 16., 2,60, gef-O,

sofort die gesammteu Philippinen nehmen und den Feldzug '
von Neuem beginnen mit dem Endziel, bedingungslos die
Abtretung jeden Gebietsteiles zu erlangen, den sie nur ,
immer fordern würden. Es heißt, die Regierung würde l
jetzt lieber 20 oder 25 Millionen Dollars zahlen, als den >
Krieg wieder beginnen, aber Präsident Mc Kinley sei nicht
gewillt, eine unnöthige Verlängerung der Verhandlungen
zuzulassen.
Der Prozeß des Präsidiums des Militärvercinsverbandes
gegm den Abg. Wacker.
II.
Ueber die Einvernahme der Zeugen ist folgendes Weitere zu
berichten:
Zeuge Rechtsanwalt Dr. Schneider: Erhübe von An-
fang an die Auffassung gehabt, daß das Centrum die national-
liberale Partei niederwerfen wollte. Er habe den Eindruck ge-
winnen müssen, weil in der ersten von Heimbuiger abge-
haltenen Versammlung sofort von ultramontaner Seite
betont wurde, die Reichslagswahlen seien nur unter dem Ge-
sichtspunkte der Landtags Wahlen anzusehen. Dieser Ein-
druck habe sich im Laufe des Wahlkampfes noch verstärkt.
Niemals seien Verhandlungen angeknüpft worden, um eine Ver-
ständigung zu ermöglichen. Er habe die Auffassung, daß das
Cent rum die Wahl verschuldet habe. Hätte sich das Centrum
der Abstimmung enthalten, so wäre er mit ziemlicher Mehrheit
gewählt worden. Im Gegentheil seien die Meßner im Be-
zirk Bruchsal herumgelaufen, um für die Sozialdemo-
kratie zu werben.
Angeklagter Wacker: Ist Ihnen ein Beleg dafür zur
Hand, daß „um jeden Preis und mit jedem Mittel" die nat.-lib.
Partei vom Centrum gestürzt werden soll?
Zeuge Dr. Schneider: Er habe, nachdem der Großherzog
an die Treue der Bürger appellirte und die Centrumspartei bei
der Landtagswahl offen für die Sozialdemokratie eintrat, die
Ueberzeugung, daß um jeden Preis und mit allen Mitteln der
Kampf geführt worden sei. Er wolle auch noch beifügen, daß
in Mannheim klipp und klar Stimmenthaltung für
die Centrumspartei proklamtrt worden sei, wie er gehört
habe. In Karlsruhe habe man von vornherein gewußt,
daß dies nicht zu erreichen sei. Wenn eine andere Parole
ausgegeben wurde, so sollte dies nur den That bestand ver-
dunkeln.
Angeklagter Wacker: Haben Sie nicht in der Landesztg.
die Behauptung gelesen, daß Centrumswähler für Sie stimmen
würden?
Zeuge Dr. Schneider: Ich habe persönlich ebenfalls immer
die Ueberzeugung gehabt, daß die g e m ä ß i gt e n Centrumslcute
für mich stimmen würden, zumal ich niemals in meinem Pro-
gramm das Centrum befehdet habe. Aber, wie gesagt, die
Centrumspartei hat sich niemals mit mir in Verbindung ge-
fetzt und ich schließe daraus, daß man keine Verständigung
wollte.
Zeuge Redakteur Röder von der Landpost: Er habe nach
der ganzen Sachlage die Ueberzeugung, daß mit dem Artikel das
Centralkomitö gemeint sei, darunter auch Herr Wacker.
Vorsitzender: Wollen Sie nicht etwa sagen, daß gerade
Herr Wacker gemeint sei?
Zeuge Röder: So genau kann man das wohl nicht sagen.
Herr Wacker wird wohl auch einigen Grund haben, die Sache
auf sich zu beziehen. Den Ausdruck „Wackerpolilik" darf man
auch nicht im allerpersönlichsten Sinne auffassen, da man dar-
unter die Centrumspolitik verstehe.
Zeuge Revisor Häfner bekennt sich am Eingang seiner
Vernehmung als Verfasser des Artikels. Ec habe davon Kenntniß
gehabt, daß man Herrn Wacker beschuldige, er habe die Centrums-
politik inaugurirt. Bei Abfassung des Artikels habe er weder
den Abgeordneten Wacker noch eine sonstige
Persönlichkeit im Äuge gehabt. Er habe einen Artikel
über die Auffassung des Grobherzogs von Weimar
über die Auslieferung seiner Residenz an die
Sozialdemokratie gelesen, den Artikel herausgeschnitten und ihn
mit einigen Zusätzen versehen, da die Verhältnisse auch
hier zutreffen.
Angekl. Wacker fragt, ob er auch der Verfasser dec Artikel-
serie in der Bad. Landeszeitung sei.
Zeuge Häfner: Nein.
Zeuge Landgerichtsrath Lauck- Freiburg hat deu Eindruck
gehabt, daß der Artikel gegen die Parteileitung gerichtet gewesen
sei, insbesondere gegen „Kollegen" Wacker.
Zeuge Kaufmann Wilhelm Fischer-Freiburg: Er sei der
Veranlasser einer Sitzung gewesen, die durch ein Telegramm
des Dr. Lieber nothwendig gewesen sei. Auf seinen Antrag
sei beschlossen worden, eine Erklärung im Beobachter zur Stich-
wahl zu erlassen (wurde später angeschlagen). Damals sei ihm
ein Brief von Fieser zugegangeu, worin dieser auf die
Berliner Abmachung Bezug nahm und über die Haltung
des Centrums anfragtc. Er habe den Brief ablehnend
beantwortet. Den Artikel des Mil.-Ver.-Bl. habe er auf sich
und Wacker bezogen, auf sich selbst, weil er die Erklärung
unterzeichnet habe, auf Wacker, weil dieser der
Sprecher der Partei sei. Die Erklärung sei Herrn Geck
(dem soz. Kandidaten) mitgetheilt worden und es sei ihm
eröffnet worden, daß sie jedem zur Verfügung stehe. Er
habe sich dann überzeugt, daß sie am Stichwahltage
öffentlich angeschlagen worden sei. Von Seiten des
Centrums sei hierzu nichts geschehen. Als Fiesers Brief an
die Centrumsleitung ankam, war die Entscheidung bereits
gesagt. In der Centralleitung sei keine Mei-
nungsverschiedenheit darüber bestanden, daß
unter keinen Umständen ein Nationalliberaler
gewählt werden dürfe. Es seien allerdings Stimmen
laut geworden, die Stimmenthaltung empfohlen
haben. Vou der Berliner Centralleitung hätten
sie keine Befehle entgegenzunehmen, sie hätten
auch niemals nach solchen etwas gefragt. Die
badische Centrumspartei sei durchaus selbständig.
Zeuge Bannwarth- Freiburg bekundet, daß Wacker ge-
sagt habe, man müsse vorsichtig sein, damit das
Präsidium nicht Klage erheben könne.
Auf die Einvernahme der übrigen Zeugen wird
verzichtet.
Nach einer Pause von 10 Minuten begannen die Pla i-
doyers, die sich von 12 Uhr Mittags bis gegen 4 Uhr Nach-
mittags htnziehen.
Um 4 Uhr verkündete der Gerichtshof das Urtheil. (Dasselbe
ist gestern schon mitgetheilt worden.)

Vermischtes.
— (Die Opfer der jakobinischen Schreckens
Herrschaft.) Man kann m verschiedenen Werken über °
Zahl der Opfer, welche die jakobinische SchrcckensherrlE
in Frankreich 1793-94 gefordert hat, sehr verschiedene E
meistens willkürliche Angaben lesen. Es gibt aber ganz gena»,
Untersuchungen, die der Gerichtsrath Beniat Saint-Prix aE
stellt hat. Nach ihm bestanden in jenem Jahre 160 sog. R»"
lutiorstribunale. die zusammen 17 000 Personen köpfen oder e
schießen ließen, und zwar die meisten, wie Beniat sagt, »ob ,
alle gerichtlichen Formalitäten und Beweise". Im Hinblick, »n
die Möglichkeit einer Wiederholung jener grauenhaften Vorga»»
sagt er: „Ich habe auf diesen Nachweis unendliche Mühe ver-
wendet; aber gesegnet soll sie sein, wenn ich dadurch die AUS
der Menschheit über das Unglück und die Verbrechen E*,
welche unabwendbar kommen, sobald die Unwissenheit, die «in
meinheit und der Fanatismus zur Herrschaft gelangen."
— Eine bittere Unterbrechung des Hochzei^
mahles mußte sich in Nürnberg eine Neuvermählte geE
lassen. Die Braut war nämlich vor einiger Zeit wegen Körper
Verletzung vor das Schöffengericht geladen, sie blieb damals au-
und es wurde ein neuer Termin auf den 7. November mit
Bemerken anberaumt, daß sie zu dem neuerlichen Termin v°>
geführt werde; an dem Tag erschien sie nun in Begleitung E
Schutzmannes und bat, die auf 10 Uhr angesichts Verhandle
auf 3' Uhr zu vertagen, da sie Hochzeit feiere. Es wurde ihr ».
stattet, sich zu entfernen, und sie versprach, um 11 Uhr wieder -
erscheinen. Da sie jedoch bis zum Schluffe nicht erschien, ordw
der Vorsitzende an. daß die Verhandlung um 3 Uhr Nachmitwu
stattzufiudcn habe und die Angeklagte vorzuführen sei. In §
gleitung des Schutzmannes erschien nun um 3 Uhr mit
Brautschleier und Brautkranze die Angeklagte, die von eiw
dortigen Gewerbsmeister angeklagt worden war. Die VertE
luna endete mit einer Verurtheilung zu zehn Tagen Gefäng»
worauf sich die Neuvermählte wieder zu den HochzeitsM
! begab- _
"Theater- und Kunstnachrichten
Heidelberg, 17.Nov. (Stadttheater.) Herr HofschauE
Brehm setzt bekanntlich heute sein mit so großem Erfolge»
gonnenes Gastspiel fort und spielt die Titelrolle in der mV
aktigen Komödie Gerhart Hauptmann's „College Crampton,
welchem Stücke neben dem trefflichen Gaste nahezu unser EX
Lustspiclpersoual beschäftigt ist. Eine Wiederholung
interessanten Stückes ist nicht in Aussicht genommen, da V
Brehm in der nächsten Zeit wohl kaum mehr Urlaub von
ruhe erhalten könnte. Auf vielfache Anfragen wird darauf E
gewiesen, daß auch junge Damen der Vorstellung ohne
Sccüpel beiwohnen können. — Morgen, Freitag, geht zum er»
Male wiederholt der prächtige Schwank „Großmama", den
Erstaufführung bekanntlich mit stürmischem Beifall aufgenow»'
wurde, in Scene. .
Heidelberg, 16. Nov. Herr Hensel, der demnächst rn en>°
Concert dahier auftreten wird, sprang am letzten Sonntag
den plötzlich unwohl gewordenen Tenoristen Abel in MawE
ein, der den Tamino in der Zauberflöte hätte singen sollen.
N B L. berichtet darüber: Wenn Herr Hensel nach mehrmals
Probe diese Rolle des Tamino so sicher bewältigt hätte, wie
sie ohne jegliche Probe bewältigt hat, so wäre es schon,
höchst verdienstvolle Leistung gewesen. Daß Herr Hensel 1?,°"
sozusagen aus dem Eisenbahnwagen heraus darstellerisch so E
und musikalisch so geschmackvoll seinen Part durchführte, verd- ,
höchste Anerkennung. Mit einem außerordentlich sympathlE
Ton, der umso glanzvoller wird, je größere Höhen er erste'»
darf, verbindet der junge Tenor eine sehr bemerkenswerthe IE
spielerische Gewandtheit. Die Stimme des Herrn Hensel ,vei°
einen weichen, lyrischen Klang von einer Tragfähigkeit, dre X
großen Raum herrlich ausfüllte. Allerdings versteht Herr Hem
sowohl die Stimme als auch das gesprochene Wort sehr gw
behandeln. Aussprache und Phrasirung zeigen den gewissenM',
und ernst strebenden Künstler. Herr Hensel ist bereits im EX
Frühjahr für zwei Monate nach Karlsruhe und für den SEX
der Kroll'schen Bühne in Berlin verpflichtet, so daß M.
reiches Feld an künstlerischer Thätrgkeit und Erfolgen bevorl«
Mannheim. (Großh. Hof- und Nattonaltheaker.)
18. Nov.: „Das Glück im Winkel". »j
Darmstadt. (Großh. Hoftheater.) Freitag, 18. Novbr.: E
darstellung der Signora Prevosti: „La Traviata" (VE,.,
Signorina Prevosti). Sonntag, 20. Nov.: Letzte GastdarsteE
der Signorina Prevosti: „Faust" (Margarethe: SigE
Prevosti). _
 
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