Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 177 - 202 (1. August 1903 - 31. August 1903)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11499#0421

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Grtch«»"t Soosta,» eu»KenoM«ie», Prri» «nit Sa—itmblSttem momtNch öO Mg. dr', Has» grbracht, Le! i-rr Exveditioa und ben Zweigstattone» abgebolt <0 Psg. Dmch »«, GO

bizsgen virrreijützrüch l.3ö Mk. ««SjchließUch Zustellgebühr.

>«»«1g»»Pret»r 20 Pfg. sür hie tfpaltige Prtitzeile cser tzerrü Rau«. Reklamezeile 40 Psg. Für hiestge ÄeschSft»» und Privatanzeige» ermäßigt. — Für di« Sufnahme »»« SrqeiM
a» brstimmten Tagen wird ksine Berantvsrtlichkeit ülirnommen. — Rnschlag dcr Znserate auf den Pla tattafeln der Heidelberger Zeirung und den städttschen Anschlagstellen. Fernsprecher W.

Aus dem sozraldemokrutischen Lager.

Die wichtigsten Anträge der Berliner Sozialdemokraten
Zum bevorstehenden Parteitage sind folgende: Die Reichs-
tagsfraktion ist mit d-er Einleitung einer planmäßigen
Kropaganda gegen den Militarismus durch Einbringung
-eines Gefetzentwurfs mit folgenden Forderungen zu be-
muftragen: 1. Abschaffung der Militärjustiz
mnd 'des Mi l i t ä r st r a fr e ch ts. 2. >A n e r k en n u n g
des Rechts auf Notwehr gegen Miszhand -
lungen. 3. Allgemeine einjährige Die nst-
zeit. Der Parteivorstand wird beauftragt. die durch
Militärgerichtsbeschlüsse festgestellten Fälle von Soldaten-
mißhandlungen zu ^ammeln und zu einer Agitations-
ibroschürs zu verarbeiten.

Der Parteitag wolle beschließen: die Frage der Mit-
-arbeit von P a r t e i g e n o s s en an n i -ch t sozial -
b e m o k r a t i s ch e n resp. nicht von Sozialdemokraten
herausgegebenen Preßorganen ist durch d-ie Kund-
gebung des Parteivorstandes nicht genügend geregelt. Ob
die Redaktsure oder Biitarbeiter an solchen Vlättcrn
Parteigenossen werden oder bleiben können nnd inwieweit
sie in der Arbeiterwegung Vertrauensposten bekleiden
können, darüber haben die -Organisationen je nach Lage
des einzelnen Falles zu entscheiden.

Die Fraktion hat den Anspruch auf den Sitz im Prä-
ff i d i u m d e s R e i ch s t a g s zu erheben. jedoch nur ohne
Lede Uebernahme konventioneller Pflichten.

Es ist für vollständige Arbeitsruhe am 1. M a i
-Kinzutreten.

Berlin V will den nächsten Parteitag in Berlin
mbgehalten wissen.

Gegen B ernstein werden verschiedene Resolutioncn
wngenommen, die schärfste wohl im 4. Wahlkreise: „Der
4. Wahlkreis sieht in der Art, wie Genosse Bernstein die
Wizepräsidentschaftsfrage in der Oeffentlichkeit behandelt
hat, bevor er seine Meinung in der Fraktion. d-eren Mit-
-glied er ist, vertreten hat, eine Daktlosigkeit, die der Partei
.mehr s-chadet als nützt, und man erwartet, daß Genosse
Gernstein sich künftig bei Wahrung aller Meinungsfreiheit
-rnehr dem Jnteresse der Partei als dem Sensationsbe-
chürfnis anpaßt. Die Versammlung spricht die schärfste
Mißbilligung allen Genossen aus, die sich in d-ieser Sache
,zu Mitschuldigen Bernsteins gemacht haben."

Die sechs P a r t e i v e r s a m m l u n g e n in Ber-
4in verliefen sehr stürmisch. Jn der Versammlung
bes 2. Wahlkreises ging man mit Eduard Bernstein scharf
tns Gericht. Antrick erklärte in seinem Referate, Voll-
mars Auffassung in der Vizepräsidsnten-Angelegenheit sei
verkehrt, da er das Berliner Hofzeremoniell anscheinend
nicht kenne. Mit Bernstein müsse einmal gründlich abge-
rechnet werden. Der Parteitag habe die Pflicht, hier
Wandel zn schasfen, d-enn Bernsteins Vorgehen sei sympto-
matisch sür eine neue Richtung innerhalb der Partei.
Richard Fischer meinte, Bernsteins Mauserung sei derart,
baß sie ihn unsähig mache, länger in der Partei zu bleiben,
wenn ihm nicht schleunigst „Halt!" zugerufen werde. Ab-

geordneter Auer wies -den mehrfach erhobenen Vorwurf,
Bsrnsteins Vorgehen fuße auf einem sorgsam vorberei-
teten Plane der Revisionisten, entschieden zurück. Bern-
steins Vorgehen in dieser Streitfrage qualifiziere sich
lediglich als eine jener Dummheiten, di-e er von Zeit zu
Zeit einmal loslasse. Es müsse ihm ernstlich einmal ins
Gewissen geredet werd-en, das Aufrollen solcher rein aka-
demischer Fragen künftig zu unterlassen. Unter deir heu-
tigen Verhältnissen wird sich kein Genosse zur Uebernahme
der Präsidentschaft bereitfinden. An -dem Tage aber, an
dem er, Redner, die Ueberzeugung erlaugt haben werde,
daß der Partei ein Vorteil durch d-en Eintritt ins Präsi-
dium erwä-chst, aber erst daun, werde -er als erster dafür
stimmen. Die Parteigenossen möchten aber auch i-hre
übergroße Nevvosität nicht so sehr hervorkehren.

Die hestigstLN Vorwürfe seitens der Gegner mußte
der Abg. Heine im dritten Wahlkreise über sich ergehen
lassen. Die Verhandlniig in der Angelegenheit nahm
mehr als zwei Stunden in Anspruch. Der Abg. Zubekl
erging sich in den heftigsten Angriffen gegen Heine, wobei
er so persönlich wurde, daß Heine in heftigste Erregung
geriet imd sich gegen die Angriffe Zubcils aufs entschie-
denste verwahrte. Der Hinweis Zubeils auf Differenzen
zwischen Bebel uud Heine sei weiter nichts als eine An-
zeige wegen „Majestätsbeleidigung Bebels." Dieser werdL
absr trotz Zubeil in einer Kritik seiner Anschauungen
keine Herabwürdigung seiner Person erblicken. Heine er-
klärte weiter: er Letrachte die Mzepräsidentenfrage nicht
als eine so wichtige, wie es die Gegner tun. Wichtiger sei
ihm, gegen die Verstümmelung der freien Meinung zu
protestieren, wie sie jetzt durch die BeLels-chen Auslassungen
bsdroht erscheine.

Jm vierten trat Singer und im sechsten Wahlkreise
Ledebour als Gegner der Vizepräsidentschaft aus. Mit
Ausnahme des ersten Wahlkreises wurden in den sünf
übrigen Gegner der Anschauung Bernsteins zu Delegier-
ten gewählt.

Zur Reform des sächsischen Wahlrechts.

Der jungliberale Verein in Leipzig hat
Stellung zu dem sächsischsn Wahlrecht genommen. Er
schlägt folgen-den Entwurf vor:

1. Gänzliche Ernerung des Landtags bei jeder Way'l.
— 2. Mit Rücksicht auf die zweijährige Budgetperiode
vierjährige Dauer des Landtags. — 3. Das Drei-
k I a s s -e n w a h l s y st e m wird beibehalten. — 4. Die in-
direkte Wahl'wird ausgeschaltet, es findet geheime,
u n m i t t e I b a r e Wahl statt, und zwar in jedem Wahl-
kreise m den drei durch das Kkassensystem festgestellten
Abteilungen. Zede Abteilung wählt einen Abgeordneten
unmittelbar. Relative Mehrheit entscheidet, bei Stimmen-
gleichheit entweder das Los oder Stichwahl. — 5. Dis
Einteilung von ländlichen und- städtischen Wahlkreisen
wird fallen gelassen, es werden etwa 28 bis 30 Wahlkreise
neu eingeteilt und zwar unter dem Gesichtspunkte mög-
lichst gleichartiger Vermischung von ländli-cher nud

städtischer Bevölkerung, und unter Zugrundekegung
einer ungefähr gleichgroßen Wählerzahl sür alle Wahl-
kreis-e. — Eine Reform der erstcn Kammer nach
modernen pokitischen und wirtschaftlichen Grundsätzen soll
erfolgen. — Der Vorstand des Jungliberalen Vereins
wurde mit der Ausarbeitung des Entwurfs beauftragt.

Für die Beibehaltung dss Dreiklassen-Wahlsystems
sprach sich, wie bie „Nat.-Ztg." berichtet, die Versamm-
lung unter der Erwägung aus, daß man nicht in den
Fehler verfallen dürfe, das Bessere zum Feind des Guten
zu machen, wenn auch Vorschläge aus der Mitte der Ver-
sammlung für den Ersatz des Dreiklassenwahlsystems
durch ein anderes gema-cht wurden. Durch Beseitigung
der indirekten Wahl werde infolge der Beibehaltung des
Dreiklassenwahlsystems dis Möglichkeit geschaffen, Mino-
ritäten zur Vertretung in den Landtag zu bringen und
so in sehr glücklicher Weise die Aufgab-e gelöst, die man
aus anderem Weg durch Proportional- und Pluralsystem
zu erreichen suchte. _

Teutsches Reixh.

— Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: Jn cinzelnen
Zeitungen wird wieder einmal behauptet, daß eine R e-
form des P e r s o n e n t a r i f s der preußisch-hessischen
Staatsbahnen, über die alle möglichen Einzelheiten mitge-
teilt werden, in nächster Aussicht steht. Diese Mittei-
lungen entstammen der freien Phantasie irgend eines
Reporters.

— Der d e u t s -ch e A P o t h. e k e r - V e r e i n, der in
München seine Hauptversammlung abhielt, hat mit allen
gegen 17 Stimmen solgende Resolution angenommen:
Der deutsche Apotheker-Verein ist im Prinzip für die E i n-
f ü h r u n g einer R e i ch s a r z n e i t a r e unter folgen-
den Voraussetzungen: 1. Dis Taxe muß in dem Ergebnis
ihrer Ansätze niindestens bie Höhe der derzeitigen Durch-
schnittspreise der verschiedenen deutschen Arzneitaxen ein-
halten, da cine Verbilligung der Arzneien einen großen
Teil der Apotheker ihrer Existsnzberechtigung berauben
würde. 2. Bei ihrer Ausarbeitung sind Vertreter des
Apothekerstandes aller derjenigen Bundesstaatcn zuzu-
ziehen, welche eine eigene Arzneitaxe besitzen. 3. Die Reichs-
arzneitaxe erfährt eine ze'itgemäße Vereinfachung -der Be-
rechnnngsweise. 4. Daß die Frage eines Rezeptural-
attestes nur dann durch diese Taxe zu behandeln ist, wenn
damit Hand in Hand eine reichsgesetzliche Regelung so-
wohl der Gewerbeordnung, als auch der Krankenkasssn-
gesetzgebung in der Ri-chtung erfolgt, daß ein solcher Ra-
batt sowohl nach oben als auch uirten begrenzt wird und'
nur für beslimmte Verhältnisse Giltigkeit erhält."

Berlin, 29. August. Das K aiserpaar ist heute
Nachmittag 5.20 Uhr mit den kaiserlichen 5lindern hier
eingetroffen.

Preußen.

D Kafsest 29. Aug. Zu Ehren des bisherigen Ober-
präsidenten von Hessen-Nassau, Graf-en ^Zedlitz-Trützschler,
> fand heute Abend nnter großer Beteiiigung aller Kreise

Hansbnrsche evulrrt Hausmädchen.

Londv-n, 28. August.

Das „männliche Hausmädchen" ist seit langer Zeit
eine Lieblingsspekulation derjenigen Leute gewesen, denen
-gerade dieser spezielle Teil der sozialen Frage vor allem
am Herzen liegt. Früher scherzte man darüber, dann
Legann man sich die Sache ernstlich zu überlegen, — und
jetzt auf einmal, -ehe man sich's versah, ist in zahlreichen
Häusern des Westends und der vornehmeren Vororte der
Hausbursche an die Stelle des Hausmädchens getreten.

Ehe man auf diese Lösung verfiel, — das heißt, sie ist
ben Londoner Hausfrauen eigentlich im Schlafe gekom-
rnen — hatte man sich schon allen Ernstes mit -der Mög-
kichkeit befreundet, Asiaten zu importieren, ganz nach dem
Muster der südafrikanischen Minenmagnaten. Aber da
es den letzteren trotz aller Befreundung mit dem schönen
Gedanken nicht gelungen ist, ihre Träu«e zu verwirk-
li-chsn, so hat man stch auch in London noch in Geduld
gefaßt, und die „gelbe Gefahr" ist vorläusig noch von
dem englischen Hansstande abgewandt. Das ändert aber,
wie gesagt, nichts an der Tatsache, daß „Mary Jane" die
iHerrschaft über das Haus und die Eigentümerin dessel-
-ben, die sie früher mit geradezu souverän-er Gewalt aus-
geübt hat, langsam, aber stetig aus den Händen gewunden
wird. Dis Fremden in England sind aufmerksame Zei-
tungsleser, lind wenn nun die Besitzer von Dienstboten-
Agenturen aus den Annoncen ersahen, daß das englische
Dienstmädchen weder Stiefel noch Messer, noch Fenster
chutzen will, daß sie sich in vielen Fällen weigert, grobe

Scheuerarbeit zu verrichten und „Wäsche außer dem
Hause" und „Abends ausgehen" odsr „jede Woche einen
freien Nachmittag" znr vornehnisten Antrittsbedingung
macht, fiel es ihnen ein, 'd-aß hier sich eine gute Gelegen-
heit biete, das Angenehme mit dem Nützli-chen zu verbin-
den. Hunderte, ja Tausende von jungsn Leuten auf dem
Kontinent, besonders in 'Deutschland, Oxsterreich und in
der Schweiz, sind nur zu gern bereit, für eine verhältnis-
mäßig geringe Vergütung alle jene Arbeiten zu verrich-
ten, die „Mary Jane" tut oder auch nicht tut. Sie haben
dabei d-urchaus kein unangenehmes Leben, und vor allem
die vorzüglichsts G-elegenheit, die englische Sprache von
Grund aus zu erlernen, und zwar in denkbar kürzester
Zeit.

Jn der Nachbarschaft von Tottenham Court Road sind
in den letzten Jahren drei große Agenturen ansgetaucht,
die sich einzig und allein damit beschäftigen, Hotels, Pri-
vatpensionen und- private Häuser mit „männlichen Dienst-
mädchen" zu dersorgen. Wie sehr damit einem tatsä-chlich
vorhandenen B-edürfnis abgeholsen worden ist, geht schon
daraus hervor, daß diese drei Bureaus fast immer förm-
lich umlagert sind, nicht von stellensuchenden Personen,
sondern von Damen, die mit ihren Dienstmädchen Unglück
gehabt haben oder überhaupt keine bekommen. Ein spre-
chender Beweis ist serner die Tatsache, daß in der kurzen
Zeit, die seit Einführung der Neuerung verstrichen ist,
über 2000 junge Jtaliener, Schweizer, Deutsche und Fran-
zosen hier in London solche Stellungen gefunden haben.
Bevor sie in -dieses Land kommen, erhalten sie in den

meisten Fqllen eine gründliche Ausbildung in allen 'den
Künsten, die bisher für ein Privilegium der Dienstmäd-
chen galten, wie Bettmachen, Uussegen, Staubwischen
und dergleichen mehr. Aber ni-cht genug damit, daß sie
alle solche Sachen gewöhnlich ebensogut und besser ver-
richten, wie ihre weiblichen Konkurrenten, sind sie vermöge
ihrer größeren Körperstärke in der Lage, Möbel rück-en
zu können, Kohlen und schwere Wassereimer treppauf und
treppab zu tragen, Fenster zu putzen, -— kurz alls jene
Arbeiten zu verrichten, denen ein englisches Tienstmädchen
aus dem Wege zu gehen Pflegt. Für diese Tienste erhält
er einen Lohn von 5 bis 7 Schilling und 6 Pence pro
Woche, und seine Arbeitgeber resp. Arbeitgeberinnen be-
trachten ihn als einen von einer gütigen F-ee gesandten
Schutzengel.

Der Hausbursche ist vor allem weit billiger und schnel-
ler als das Mädchen. Er ist ein Friihaussteher und setzt
seinen Stolz darein, alle schmutzige Hausarbeit, wie das
Scheuern der Treppenstufen, Aufwischen, Einheizen usw.
zu erledigen, bevor d-ie Herrschaft ausst-eht. Er über-
trägt selten oder nie den Schmutz von Küche und K-eller
auf sich selbst oder die übrigen Räumlichksiten, und wenn
die Glocke ertönt, ist er stets bereit, in sauberem respek-
tablem Ziistande an der Haustür zu erscheinen. Das
ständige Auftauchen von Sol-daten und Schutzleuten an
der Haustür od-er gar innerhalb der geheiligten Räume
und das damit verbundene Schwinden gewisser Vorräte
fällt selbstverständlich fort, da wsder „Bobby" noch
„Tommy Atkins" große Vorliebe für den Ausländer
 
Annotationen