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Journal der Goldschmiedekunst: ill. Fachzeitschr. für Juweliere, Gold- u. Silberschmiede u. d. Bijouterie-Industrie ; Zentralorgan für d. Interessen dt. Juweliere, Gold- u. Silberschmiede .. — 29.1908

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Nr. 26
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Petersen, Ernst: Ausbildung der Gold- und Silberschmiede an der Kgl. Zeichenakademie in Hanau a. M. [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.55854#0212

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186 —"B JOURNAL DER GOLDSCHMIEDEKUNST j-

bildung weicht von der meist üblichen
einigermassen ab. Nicht das Ab-
zeichnen fertiger Lösungen nach Vor-
lage oder Gips, auch nicht das eigent-
liche Naturstudium wird in den Vordergrund
gestellt, da sich für Anfänger hieraus gar zu
leicht ein Abschweifen auf das Gebiet des
Malerischen ergibt Unsere Zeit braucht aber gerade die
künstlerisch Befähigten, für die eine solche Versuchung am
stärksten ist, im Kunsthandwerk am nötigsten; deshalb wird
mit allen Mitteln versucht, dem künstlerisch begabten Schüler
vornehmlich die Liebe zum Kunsthandwerk zu erhalten.



Da aber eine ausschliessliche Beschäftigung mit Fach-
objekten für den zeichnenden Anfänger meist undurchführ-
bar ist (z. B. beim Goldschmied wegen des zarten Formen-
massstabes) und um die frische Ursprünglichkeit des An-
fängers so zu kräftigen, dass sie nicht gar zu leicht durch
stärkere Eindrücke von aussen verwischt werde, wird alle

Gefühlsäusserungen dem Lehrer
häufig interessante Anregung. —
Durch die gelegentlichen Natur-
studien wird auf das spätere syste-
matische Naturstudium (Pflanzenzeichnen,
Klasse Schimke) vorbereitet. Zur Geschmacks-
entwicklung wird von vornherein auf
einheitliche, klare Komposition, auf natürliche und
korrekte Linienführung, auf gute Raumverteilung und An-
ordnung auf dem Blatt, grösste Sauberkeit und gut les-
bare Schrift geachtet. Die Schüler bleiben möglichst lange
in dieser Klasse, um neben den übrigen Studien sich
dauernd im ornamentalen Entwerfen zu üben.



Daneben werden sie sobald wie möglich dem Schrift-
und Pflanzenzeichnen, dem Figuren- und Fachzeichnen
zugeführt, während das geometrische Zeichnen, Projektions-
lehre, Schattenlehre und Perspektive, freies perspektivisches
Zeichnen (Körperzeichnen) und Modellieren von Anfang

zeichnerische Ausbildung auf der

an, je nach dem Bedürfnis des


sämtlichen Zeichen-
ais eine Art Wieder-

Einzelnen, nebenher gehen.
Auch die Übung des Formen-
gedächtnisses wird bereits in
der Anfangsklasse begonnen
und in
klassen
holung des Gelernten ge-
pflegt. Alle 3 bis 5 Wochen
wird in der Anfangsklasse
eine vom Lehrer aus-
geführte grössere Zeich-
nung nach einer guten, nicht
allzu einfachen Ornamentkompo-
sition einige Minuten gezeigt und
erklärt. Die Schüler müssen dann
in einer gegebenen Frist die Zeich-
nung aus dem Kopfe nachbilden,
wobei sich zumeist recht originelle

selbständigen Entwurfstätigkeit
(Entwerfen einfacher, ornamen-
taler Flächenfüllungen) aufge-
baut. Zunächst wird das Be-
nutzen von Hilfsmitteln aus-
geschaltet. Alle Linien werden
freihändig gezeichnet.
Die erste Übung der An-
fangsklasse (Schmiegelow)
besteht gewöhnlich im frei-
händigen Zeichnen einer
grösseren Kreislinie oder eines
Quadrates. Diese begrenzte Fläche
ist dann beliebig rein ornamental zu
füllen. In verschiedenen Skizzen
werden einfache Stengelverzwei-
gungen und kleinblättrige Ornament-
bildungen, auch Bandverschlingungen

Qoldschmiedearbeiten der Kgl. Zeichenakademie Hanau.
Entwürfe für Messerbänkchen,
hergestellt in der Fachzeichenklasse des Prof. Petersen.
Gefäss aus der Klasse: Offterdinger.


und einfache dekorative Linienornamente entworfen. Bevor

Muster ergeben, die mehr oder minder Verwandtschaft

die Skizze einer sorgfältigen zeichnerischen Durcharbeitung
unterzogen wird, werden die Grundsätze des Komponierens
vom Lehrer erläutert und die gröbsten zeichnerischen
Unbeholfenheiten mittels Pauspapiers korrigiert, während die
skizzierten Versuche des Schülers unberührt bleiben.
Ferner werden kleine Pflanzenstudien nach der Natur und
andere Hilfszeichnungen zwischengeschoben, je nachdem
die Skizzen hierzu ein Bedürfnis erkennen lassen. Dann

erst beginnt die meist in grösserem Massstabe ausge-

führte sorgfältige Durcharbeitung der reiferen Versuchs-
skizzen. Mit allmählicher Steigerung der


Schwierigkeiten wird so eine zeichnerische
Übung an die andere angeschlossen, ohne

für längere Zeit Gelegenheit zum Kopieren


zu geben. Die Schüler empfinden
dann auch sehr bald den Reiz
selbständiger Betätigung ihrer Phan-
tasie und bieten mit ihren naiven

mit dem gezeigten Original aufweisen, aber immer die
Individualität des Schülers in bemerkenswerter Weise

offenbaren.

Im Gegensatz zu dieser Form des Gedächtnis-
zeichnens, bei der die entwerfende Phantasie angeregt
werden soll, steht diejenige Art, welche besonders im
Körper- und Pflanzenzeichnen (Klasse Schimke) geübt
wird. Hier sollen die Gedächtnisübungen dem Schüler

Formen im

wie dem Lehrer Rechenschaft ablegen, wie weit sich die
Schärfe der Beobachtung, die Fähigkeit,
Gedächtnis festzuhalten, beim Einzelnen ent-
wickelt hat.
Sobald die erste zeichnerische Unbe-
holfenheit überwunden ist, werden die Edel-
metallhandwerker an zeichnerische
Spezialstudien und in die vorbereiten-
den Fachklassen für Goldschmiede
und für Silberschmiede gebracht.
 
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