Journal der Goldschmiedekunst: ill. Fachzeitschr. für Juweliere, Gold- u. Silberschmiede u. d. Bijouterie-Industrie ; Zentralorgan für d. Interessen dt. Juweliere, Gold- u. Silberschmiede .. — 29.1908
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Nr. 1
DOI article:Webel, Oskar: Rückblicke und Ausblicke
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nter dem erhebenden Eindrücke des
Weihnachtsfestes stehend, klingt noch
in unserem Herzen die machtvoll an-
geschlagene Saite der Liebe versöhnend
nach; aber schon tritt auch wieder die
Pflicht an uns heran, um uns die
Pforte eines neuen Jahres zu öffnen.
Wir treten ein und stehen vor dem undurchdringlichen
Nebel der Zukunft, in dessen Schwaden wir das Bild
harrender Arbeit, drohender Sorge, jedoch auch ver-
heissenden Erfolges zu erkennen glauben. Aber indem
wir ungeduldig in das graue Chaos der Zukunft blicken
und uns vergeblich abmühen, deren Schleier zu lüften,
werden wir kleinmütig und unterschätzen die Kraft, die
uns unser vergangenes Leben verliehen hat, und die
wohl angetan ist, der Zukunft getrosten Mutes in die
Augen zu schauen. „Das Leben erscheint uns zu kurz“,
sagt Feuerbach, „weil wir die Vergangenheit nicht mehr
zu uns rechnen, und vergangenes Sein gleich Nichtsein an-
schlagen. Unsere Selbstliebe interessiert nur die Zukunft.
Wir machen es in unserer Lebenszeit wie der Geizhals,
welcher in Wirklichkeit alle Kisten voll Geld, in seiner
Vorstellung aber doch nichts hat“.
Wir wollen daher auch der Vergangenheit eingedenk
sein und wenigstens an Zeitpunkten der Art, wie es der
Jahreswechsel ist, ihr Gerechtig-
keit widerfahren lassen. Das
„Journal der Goldschmiede-
kunst“ tut es hiermit in nach-
stehenden Zeilen.
Blicken wir zunächst auf die
kunstgewerbliche Entwickelung
unseres engeren Faches im ver-
flossenen Jahre, so können wir
allzu bemerkbare Fortschritte
kaum feststellen, wie sich ja
auch der Stand der Dinge im
allgemeinen
Kunstgewerbe
wenig geändert hat. Noch
immer herrscht der Einfluss
des Empire- und Biedermeier-
stils vor, letzterer allerdings
in einer sich immermehr ver-
edelnden und den Anschauungen
unserer Tage anpassenden
Weise. Er hat indes mehr in
der architektonischen Kunst Fuss zu fassen vermocht und
am wenigsten in der Kleinplastik des Kunstgewerbes. Fast
gar nicht eingedrungen ist er in die Juwelenbranche und
das, was er in der Bijouterie-Industrie an Boden gewonnen
hat, gibt ihm keine Gewähr auf lange Dauer. In silbernen
Geräten dagegen haben wir schon manches beachtenswerte
Stück zu Gesicht bekommen, was das Künstlerische und
wesentliche Deutsche sich angeeignet und dabei das Ge-
schmacklose vermieden hatte, welches dem historisch echten
Biedermeier-Stil fast immer anzuhängen pflegt. Nun sind
aber diese Erzeugnisse keineswegs das Ergebnis einer im
verflossenen Jahre entwickelten Geschmacksepoche, sondern
vielmehr nur die Folgeerscheinungen einer Schulrichtung,
die im Jahre 1906 in Dresden ihre schwer errungenen
Triumphe feierte. Diese Schulrichtung hatte sich leider in
einen allzu überhebenden Widerspruch zu der Handwerks-
kunst gestellt und durch diesen zu einem Zwiespalt geführt,
der zu einem recht erbitterten Kampfe geworden war.
Diese offenkundige Spaltung führte auf Seiten der
Gegner der Schulpartei zu einem Zusammenschluss, und
zwar in dem
Fachverband für
wirtschaftliche Interessen des Kunstgewerbes.
In einem in Düsseldorf abgehaltenen Kongresse erklärte
das deutsche Kunsthandwerk seine Selbständigkeit und be-
gründete in bestimmter Weise
seine Stellung gegenüber der
Schulpartei, was allerdings nicht
dazu beitrug, die bestehende
Spannung zu beseitigen. Der
beste Beweis für die noch un-
gebrochene Kraft des deutschen
Kunsthandwerkes aber war die
Ausstellung des „Semper-
Bundes“ auf der Nationalen
Kunstausstellung in Düsseldorf,
die mit zu den wertvollsten
Ergebnissen des vergangenen
Jahres auch für unser Kunst-
handwerk zählt. Unvergessen
möge aber dabei das weit-
gehende Entgegenkommen der
Stadtverwaltung in Düsseldorf
bleiben, womit diese das Kunst-
handwerk gegenüber der hohen
Kunst zu Ehren brachte.
Und noch ein zweites Mal
war es im Jahre 1907 dem
SILBERNER LEUCHTER MIT NILPFERDZAHN
von F. H. C. MORDHORST-KIEL.