Journal der Goldschmiedekunst: ill. Fachzeitschr. für Juweliere, Gold- u. Silberschmiede u. d. Bijouterie-Industrie ; Zentralorgan für d. Interessen dt. Juweliere, Gold- u. Silberschmiede .. — 29.1908
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DOI Heft:
Nr. 29
DOI Artikel:Vom deutschen Goldschmiedegewerbe und religiöser Kunst
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194 o- —■ JOURNAL DER GOLDSCHMIEDEKUNST ^29
grandioses, in sehr hohem
Masse fesselndes Panorama
deutschen katholischen
Kulturlebens entrollte, da
erfuhr man im grossen
Publikum zum ersten Male
eigentlich, wie intensiv und
vielverzweigt auch die
künstlerische Betätigung auf
dem in Frage kommenden
Sondergebiete in Deutsch-
land war. Nun — der
„Zauberer von Rom“ hat
längst seine Anziehungs-
kraftaisliterarische Leistung
einer überwundenenEpoche
verloren — aber jene
Partien, die sich auf das
religiöse Kunstleben in
Westfalen und in der Rhein-
gegend beziehen, sinddarum
der Sache nach noch nicht
veraltet. Eher kann man
sagen, dass das Empor-
blühen künstlerischen
Schaffens, der Sinn für an-
gewandte historische Kunst
in religiösem Gewände, die
Durchgeistigung des edlen
Stoffes mit moderner Ge-
staltungskraft noch zuge-
nommen haben.
Vom rein ästhetischen
Gesichtspunkte lässt sich
dies nur mit Freude be-
grüssen. In je weitere
Kreise das Interesse am
Schönen, Stilvollen, die
Ausschmückung aller be-
deutsamen Daseinsvor-
gänge mit künstlerischen
Ideen drängen, um so
farbenvoller und mächtiger
wächst sich das Dasein
für den einzelnen, für ganze grosse Bevölkerungsklassen
selbst aus.
Man sollte endlich lernen, dass in Kunstdingen ein
striktes Hervorkehren des konfessionellen Standpunktes
beider auf dem Gebiete
der Edelmetallbearbeitung
kommen bei solch ein-
seitiger Beurteilung am
schlechtesten weg. Und
doch leistet man heutzutage,
im Gegensatz besonders zu
jener Epoche, in der Gutz-
kow schrieb und in der
das eigentliche Verständnis
für den organischen Zu-
sammenhang moderner
Kunst mit der Vergangen-
heit recht im Argen lag,
auch auf den Spezialge-
bieten religiösen Schaffens
höchst Anerkennenswertes,
das von jedem Gebildeten,
nicht bloss von Anhängern
der betr. Konfession, volle
Würdigung verdient.
Als charakteristische Bei-
spiele dieser Art, an denen
sich insbesondere die ein-
zelnen Stilformen in reinster
Ausbildung studieren lassen
und die deshalb zweifellos
von vielen Angehörigen
der Edelmetallbranche will-
kommen geheissen werden
dürften, können die Kunst-
und Kultgegenständegelten,
die unsere Abbildungen auf
den S. 193—198 darstellen.
Die Objekte selbst, sämt-
lich nach Entwürfen tüch-
tiger Meister angefertigt,
stammen aus der bekannten
Werkstätte für kirchliche
Kunst von dem Domgold-
schmied Wilh. Rauscher in
Fulda, Hofjuwelier des
Papstes Pius X.
Von jeher ja fanden die
kirchliche Ornamentik und das Ziseliergewerbe in Fulda,
dem uralten Bischofssitze und der einstigen Hochburg
scholastischer Gelehrsamkeit, eine Heimstätte. Die Über-
lieferung der grossen Vorbilder rheinisch-westfälischer
Gotische Monstranz.
Verziert mit etwa 600 Brillanten und Edelsteinen. Ausgeführt
von Domgoldschmied Wilhelm Rauscher, Fulda.
von bedauernswerter Unreife des Urteils zeugt. Peccatur
muros intra et extra — das lässt sich leider heute immer
noch sagen, wenn man die Äusserungen einiger Heiss-
sporne in den jeweiligen konfessionellen Lagern vernimmt,
Ansichten oft recht abfälliger Art, die es verschmähen,
das, was an den Kunstgegenständen der „anderen“ Kirche
wirklich schön, vollendet, ästhetisch einwandfrei ist, rück-
haltlos anzuerkennen.
Kunst und Kunstgewerbe, vor allem die Betätigung
religiöser Kunst hat sich, wie die Illustrationen zeigen,
dort ungeschwächt bis auf die Gegenwart erhalten, und
an verschiedenen der hier wiedergegebenen, äusserst kost-
baren Stücke zeigt sich, und das ist ihr besonderer Vorzug,
auch eine dezente, aber um so wirkungsvollere Verquickung
mit modernen Kunstanschauungen, ohne dass die eigentliche
Zweckbestimmung der betr. Objekte darunter litte.
Da ist als Prunkstück ersten Ranges, als feingegliederte
Arbeit an erster Stelle ein gotischer Leuchter zu nennen,
grandioses, in sehr hohem
Masse fesselndes Panorama
deutschen katholischen
Kulturlebens entrollte, da
erfuhr man im grossen
Publikum zum ersten Male
eigentlich, wie intensiv und
vielverzweigt auch die
künstlerische Betätigung auf
dem in Frage kommenden
Sondergebiete in Deutsch-
land war. Nun — der
„Zauberer von Rom“ hat
längst seine Anziehungs-
kraftaisliterarische Leistung
einer überwundenenEpoche
verloren — aber jene
Partien, die sich auf das
religiöse Kunstleben in
Westfalen und in der Rhein-
gegend beziehen, sinddarum
der Sache nach noch nicht
veraltet. Eher kann man
sagen, dass das Empor-
blühen künstlerischen
Schaffens, der Sinn für an-
gewandte historische Kunst
in religiösem Gewände, die
Durchgeistigung des edlen
Stoffes mit moderner Ge-
staltungskraft noch zuge-
nommen haben.
Vom rein ästhetischen
Gesichtspunkte lässt sich
dies nur mit Freude be-
grüssen. In je weitere
Kreise das Interesse am
Schönen, Stilvollen, die
Ausschmückung aller be-
deutsamen Daseinsvor-
gänge mit künstlerischen
Ideen drängen, um so
farbenvoller und mächtiger
wächst sich das Dasein
für den einzelnen, für ganze grosse Bevölkerungsklassen
selbst aus.
Man sollte endlich lernen, dass in Kunstdingen ein
striktes Hervorkehren des konfessionellen Standpunktes
beider auf dem Gebiete
der Edelmetallbearbeitung
kommen bei solch ein-
seitiger Beurteilung am
schlechtesten weg. Und
doch leistet man heutzutage,
im Gegensatz besonders zu
jener Epoche, in der Gutz-
kow schrieb und in der
das eigentliche Verständnis
für den organischen Zu-
sammenhang moderner
Kunst mit der Vergangen-
heit recht im Argen lag,
auch auf den Spezialge-
bieten religiösen Schaffens
höchst Anerkennenswertes,
das von jedem Gebildeten,
nicht bloss von Anhängern
der betr. Konfession, volle
Würdigung verdient.
Als charakteristische Bei-
spiele dieser Art, an denen
sich insbesondere die ein-
zelnen Stilformen in reinster
Ausbildung studieren lassen
und die deshalb zweifellos
von vielen Angehörigen
der Edelmetallbranche will-
kommen geheissen werden
dürften, können die Kunst-
und Kultgegenständegelten,
die unsere Abbildungen auf
den S. 193—198 darstellen.
Die Objekte selbst, sämt-
lich nach Entwürfen tüch-
tiger Meister angefertigt,
stammen aus der bekannten
Werkstätte für kirchliche
Kunst von dem Domgold-
schmied Wilh. Rauscher in
Fulda, Hofjuwelier des
Papstes Pius X.
Von jeher ja fanden die
kirchliche Ornamentik und das Ziseliergewerbe in Fulda,
dem uralten Bischofssitze und der einstigen Hochburg
scholastischer Gelehrsamkeit, eine Heimstätte. Die Über-
lieferung der grossen Vorbilder rheinisch-westfälischer
Gotische Monstranz.
Verziert mit etwa 600 Brillanten und Edelsteinen. Ausgeführt
von Domgoldschmied Wilhelm Rauscher, Fulda.
von bedauernswerter Unreife des Urteils zeugt. Peccatur
muros intra et extra — das lässt sich leider heute immer
noch sagen, wenn man die Äusserungen einiger Heiss-
sporne in den jeweiligen konfessionellen Lagern vernimmt,
Ansichten oft recht abfälliger Art, die es verschmähen,
das, was an den Kunstgegenständen der „anderen“ Kirche
wirklich schön, vollendet, ästhetisch einwandfrei ist, rück-
haltlos anzuerkennen.
Kunst und Kunstgewerbe, vor allem die Betätigung
religiöser Kunst hat sich, wie die Illustrationen zeigen,
dort ungeschwächt bis auf die Gegenwart erhalten, und
an verschiedenen der hier wiedergegebenen, äusserst kost-
baren Stücke zeigt sich, und das ist ihr besonderer Vorzug,
auch eine dezente, aber um so wirkungsvollere Verquickung
mit modernen Kunstanschauungen, ohne dass die eigentliche
Zweckbestimmung der betr. Objekte darunter litte.
Da ist als Prunkstück ersten Ranges, als feingegliederte
Arbeit an erster Stelle ein gotischer Leuchter zu nennen,