Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

DOI Heft:
Heft 6 (Juni 1925)
DOI Artikel:
Ullrich, Karl: Der sogenannte Zeichenunterricht in der allgemein bildenden Schule
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0153

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Wori Erziehung zur Kunst" aber zwang den Schul-
meisler, den Methodilrer, den Mann des Lehrver-
fahrenS abzulehnen. Die Früheren, die warenSchul-
ineister, heute war man „Kiinstler". Von Lehrver-
fahren im Zeichenunterricht ist in den letzten zwanzig
3ahren liauin die Nede gewesen, iminer nur von
neuen Aufgaben.

2n diese noch ungeklürten Verhältnisse unter elner
rechk ungleichmäszig vorgebildelen Zeichenlehrerschafk
warf der sog. Erpressionlsmus seine zuckenden Ge-
bilde. Dieser ErpressioniSmus, die Ausdruckskunst
lm Degensatz zum Impressionismus, der Augen-Ein-
druckskunst, stützk sich einer von Theoretikern gemnch-
ten Lehrmeinung solgend, auf den inneren Ahytmus,
die Schwingungen der Seele. Niemand wagke, um
nicht unmodern zu erscheinen, sich dem phantastischen
Treibsn zu widersetzen. Ieder legte sich die Frage
vor: Bist du rückständlg, verstehst du oeine Aufgabe
cichkig, wenn du dich auf „Sehen und Darstellen" be-
schränkst? Man warf den Nückständigen vor, sie krie-
ben Berstandeskultur. Sehen und Darsiellen ertöke
das Selbstschafsen, vernichte die Schülerpersönlichkeit.

Diese Borwürfe sind nicht neu, sie stammen aus der
Rüstkammer der entschiedenen Schulresormer und
wurden zuerst gegen die „völlig verkalkten Philolo-
gen geschleudert.

Dort war die Krikik in früheren Zeiten ohne
Zweisel berechtigt. Sie führte vor etwa 12 üahren
zunr sog. Extemporalerlatz. Mit diesem erreichte der
sog. wissenschastliche Anrerricht an unseren höheren
Schulen eine vis heuke noch nichk überbotene Höhe,
die nur der leugnen wird, der sie nicht kennt, oder
der, der in törichtem Unverstand sie nicht kennen
wili.

Wir aber, die Zahl, bemühen uns seitdem krampf-
haft, uns von den Borwürfen zu reinigen, die wir
garnlcht verdienen. Anstakt unsere neuen Ausgaben
im Nahmen der Lehrpläne von 1602 gründlich aus-
zubauen und planmätzig weiterzuentwlckeln, erschöpfen
sich die Anhänger des „Modernen und Modernsten"
In aussichtslosen Bersuchen. Nach ihrer Ansicht sind
sie allein die Bertreter der Kunst, der „ewigverän-
oerlichen", in der Schule. Ein Widerspruch in sich
selbst.

Mit der scharfen Betonung des Workes Kunster-
ziehung wird bei uns viel zu wenig bedacht, daß auch
andere Wissenschaftler, Kunsterziehung für sich in An-
spruch nehmen. Der Deutschlehrer, dessen Arbeik
nicht Erziehung zum Verständnis und Genuß unserer
Dichtkunst zum Ziele hätte, gäbe sich selbst auf. Ob
wohl irgend ein wissenschastlich ernst zu nehmender
Mensch es für mögtich hleike, hierbei im Klassenun-
terricht Seeienschwingungen und kraumhaste Selbst-
vergessenheik zu treiben? Was die technischen Dinge
der Dichtkunst, z. B. das'V'LcMatz, oder bei der
Musik die Tonlehre anbelangk, so weitz seder, datz
das eben technische Dinge sind, deren Wert män nichk
unter-, aber auch nichk llberschätzen darf. Durch die
Ileberschätzung all der neuen und neuesten mehr oder
weniger technischen Kniffe und Fertigkeiten bringen
die Zeichenlehrer selbst aus dem Gefüge der höheren
Schule hinaus. Selbst die mit Spannung erwarkeken
Bollakademiker, die ohne weiteres die volle Gleichbe-
rechtigung haben, werden nichts an der Tatsache
ändern können, datz dem Zeichenunterricht an der
höheren Schule auch fernerhin nur zwei Stunden zu-
gebllligk werden. Ebenso bleibt einstweilen die un-

abänderliche Aufgabe, die künskigen Wissenschasller
und Forscher, die Aerzle, Ossiziere, Techniker alier
Art, Lehrer, sachlich sehen und darsteüen zu lehren.
Genau ebenso wie der Deutschlehrer zwar nus aiien
Slufen zur Kunst erziehen, ziinächst aber eiiimal in
höchst nüchkerner und sachlicher Weise zuin richligen
Gebrauche der Mukkersprache besähigen soii nnd nichl,
um künstlerisch wirkungSvolle Phrasen und Gedichle
zu machen. Endlich bleibt eine zwac belrübliche, nber >
auch unabänderliche Taksache, datz ail diese Nüchtern-
heiten nicht in schöngelegenen Landerziehungsheimen
und anderen kostspieligen Jdenlvsrhällnissen sich zu-
tragen, sondern nach wle vor in den Widerwärklg-
keiken der stnaklichen Schulmechanismen, arg einge-
schränkt von der besonderen Not unserer Tage.

Damit wären wir schon beim letzken unserer drei
Punkte angekommen: was wir können, was wir lei-
sten können, gebunden nn den SchlilorganIsmuS der
höheren Schulen. Gewlsse Forderungeii, wie sie an
jeden anderen Angehörigen des Slandes der Lehrer
an den höheren Lehranstalten gestellt werden, mttssen
ersüllt werden.

Nach anfänglicheni höflichen Abwarken sehen wir
uns heuke der kühlen Äblehnung, mindeslens aber
dem Mitztrauen der Philologen gcgenüber. Diese
skehen uns und unserer Arbeit >m Berhällnis 6 : 1
gegeniiber. Ausnahmen werden gern zugegeben, aber
der Trennungsstrich ist vorhanden. Weder uns noch
den kommenden Studienräken für Zeichnen hilfk es
etwas, diese Taksachen wegleugnen oder übersehen zu
wollen. Äieses Hindernis mutz verschwinden und
zwar durch klare Erkenntnis der Eigenart der äll-
gemeln bildenden Schule und deren Forderungen:

Wir müssen zunächst zu einem für das ganze Neich
gülligen Lehrplane kommen. Dieser mutz »nter Ber-
meidung des schablonenhaften, gestützk auf gewisse
Grundsätze, verschieden je nach den örllichen Ber-
hälknissen, aufgebaut sein, Es ist nichk länger an-
gängig, datz Schttler beim Aebergaiig von einer Schule
zur anderen gerade im Zeichnen die krassesten Gegen-
sähe finden.

Gewisse FachauSdrücke und soweit dieS nichk schon
in der Dienskanwelsung geschehen isk, Grlindlätze für
die Berbesserung des Lehrers bei der Schülerarbeik
müssen unbedingt festgelegt werden. Eindeukig und
klar lätzk sich das ausdrücken und mit aller Schärfe
durchsühren, wenn anders unser Fach und unser
Skand neben dem der wissenschafklichen Aerufsge-
nossen mit Ehren beskehen soll.

Die wlchtigste Errungenschaft und zugleich die ge-
sährlichste ist die Wertunch Wie unklar vor aliem
dle Behörde über diesen Punkk denkk, geht daraus
hervor, datz sie heute noch Zeichnen mik Tiicnen ver-
koopelt. 2n dieser Hinsicht wurde unser Fach schon
bedenklich angegriffsn, denn auch in unseren Neihen
findet man sehr merkwürdige Ansichken dnrüber, was
alles aus den vielen Aufgabengebieleii des Zeichen-
unterrichts gewerlet werden kaiin.

Die Äoke für Zeichnen ist ost geiiug nusschlag-
gebend nach der eiiien oder anderen Seile. 2e skärker
von unserer Seite das Gesühlsmätzige, „Künsklerisch",
der Arbeit des Zeichenlehrers und der Schülerleislung
betont wird, »mso mitztrauischer mutz die Gegenseite
werden, die sich iederzeit eine Nachprüsung ihres Ilr-
teils gesallen lassen mutz. Mit Recht wendek man
sich heute schon gegen Gefühlswertungen in Verbin-
dung mit wissenschafllichen Werkungen. Man be-
 
Annotationen