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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

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Heft 6 (Juni 1925)
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Lange, W.: Wie Kinder sehen lernen
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https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0160

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vor 'der Krikik der Erwachsenen bestehen können.
'Siur inujz der Lehrer vorher -die Schitler ausfiihrliä)
dariiber aufklären, lvas er eigentlich von Ihnen
will, damit der Schüler auch den Slnn
und Zweck seines Zelchnens einsisht und nlcht
jede Zeichnung fliichtig und fchlechlj anfertigt, um sich
ihrer möglichst bald zu enkledigen. Der Wille des
Schiilers zu rechter Arbeit knnn ja hier im Allge-
meinen als vorhand,en angenommen werden, doch be-
darf er oft kleiner Ailfen um nicht bci gewissen an.
fänglichen Schwierigkelten zu scheitern. So ist es
z. B. guk, wenn der Lehrer daS erstemal sich über
die Berteilung und Gröhe der zu zeichnenden Ge-
genstände auf dem Zeichenblatt durch Zeichnung an
der Schultafel genauer aussprichk. Durch solche Te-I-
lung der Schwierigkeiken werden diese, ha nicht zu
grost, leichker iiberwunden und die Kräfte des Schii-
lcrs waüisen ohne schädliche Aemmungen. Allmählich
mutz der Schiiler so weit gebracht werden, datz er die
Schwlerigkeiken alle auf einmal selbständig llber-
windet. Dadurch lerni er eine Ganzheir lm Auge zu
behalten, recht eigenklich jene Bovbedlnaung für das
liiinsklerlsche Sehen, die jeder Gebildeke besitzen sollle.

Aehnlich wie die beschriebenen Werkzeuge werden
in der Schule auch die llbrigen behandelt. Doch
liommk niä)k nur die Form dieser Werkzeuge selbst
zur Behandlung, sondern auch die Tätigkeit deS
Menlchen mit ihnen. Zier tvikk neben das gegen-
ständnche Zeichnen das Phankasiezeichnen, das noch
mchr als jenes daS Gefiihl zu Worte kommen lätzt.
3n einer Aufgabe wie z. B. „das Holzhacken" trikt
uns ein neuer Gegenstand enkgegen: Der Mensch.
Dieser ist zwar zu schwierig, als datz ihn das Kind
richtig zeichnen könnte, aber das schliehk ihn
nicht aus von der untervichtlichen Behandlung. Kin-

derzeichnungen, besonders solche, welche den Men-
schen darstellen, dürfen nicht so beurteilt werden wie
Zeichnungen von Erwachsenen, denn für das fee-
lische Leben des Kindes gelten andere Gesetze als
sür diese. Das Kind zeichnet ursvrllnglich lieber aus
der Phantasie als nach der Natur es wählt als
Gegenstand mik Borliebe den Menschen. Die Feh-
lerhafkigkeit seiner Darstellungen-wird thm im we-
lentlichen noch gar nicht bewutzt. Es hält die Men-
schen, welche es zeichnet, fllr wirkliche Menschen.
Das hängt mlk dem geringen Grade des kindtichen
Zntellekts zufammen, zugteich aber auch mit der
Stärke seines Gefllhls. Die Enkwicklung des kind-
lichen Zntellekts kommk in einem gewissen Alker von
selbst — sie kann natllrlich auch durch die Erziehung
gefördert werden. Hier handelt es sich nun aver um

besondere Entwicklung der Gefühlskräfte. l!n einem
bestimmten Alter haben Im Menschen die Gefiihls-
kräfte gecadezu sinen Kampf mit dem Berstand zu
bestehen. llst dieses stärker, weil er einseitig
gepslegt wird, so unkerliegen die Gesühlskrnfte, und
der Mensch verliert mit ihnen daS Edelste, was er
besitzt und was ihm das Leben lebenswerl machk.
Dieses Ilnterliegen der Gefühlskräste ist gar kcine
Notmendigkeit, denn wir sehen nicht nur an un-
sern Künstlern und Ertindern, sondern überhaupt an
allen werlvollen Menschen, dajz die Kräste des stn-
tellekks und des Gefühls recht mohl nebenelnander
bestehen können.

Wie soll iiun der Mensch als Gcgenstand des
Zcichenunterrichls bshandelt werden? Das Kind
zeichnet doch salsch — jeder Erwachsene sieht daS
sofort. Soll ich ihm gleich alle seine Fehler sagen?
— Das wäre eine zwar alte, aber falsche Methode.
3ch darf nicht die Lust und Liebe zum Zcichnen da°
durch zerstören. Zeichnen und Sprechen sind ähn-
liche Tätigkeiken. Die zeichnerischen Darstellungen
des Kindes sind nicht schmächer als seine sprachlichen
und wer dächte heute davan, jemandem, der sprechen
lernen will, das Sprechen zu verbieten, weil er
Fehler macht? Nein, ich werde zuerst einmal das
Kind nach Herzenslust sprechen lassen und geradeso
ist es beim Zeichnen. Jch werde dem Kinde zunächst
Äufgaben stellen, die Ihm am Zerzeii liegen, z. B.
allerhand märchenhafte Darstellungen, in denen der
Mensch etwas tut. Das interessiert das Kind. Und
was fllr dle Erziehung wichtlg ist: Es stellt das
Kind vor Probleme. — Das ist kcine Spie-
lerel, sondern dem Kinde eine zugleich fröhliche und
ernste Angelegenheit, -ein Spiel. Spielerei ist ein
Produkk der Erwachsenen. Natürlich verliert sich
diess Spielfreudigkeik ln cinein gewissen Alker. Aber
deshalb kann doch in das bewutztere Leben ebwas
von der seligen Kinderwelt hinüber gerettet werden.

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