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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

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Heft 9 (September 1925)
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Richert, Gertrud: Öffentliche Hauptversammlung des Reichverbands akad. geb. Zeichenlehrer, des Reichsverbands akad. geb. Zeichenlehrerinnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0242

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Iclic» belvuht werde», daß für de» grojzen Dichter
eder Stoff feine gegebene Forin in fich trägt und
dal, die fcheinbar gleichen Formen bei verschiedenen
Dichkern in verschiedenen Zeitaltern sich verschleden
alisivirllen »nd sich Innerlich wandeln.

Zch gehe nun noch auf die dritte, vielleichk bedeuk-
kmisie Aufgabe, die wir der Kunsierziehung gestellt
baben, ein, die auch, wie ich winsz, siark »insiiikken ist,
nerade auch von Künstlern. Wir vsrlangen von der
Niinsterziehung eine Sonderleistung fllr die kultur
lmndliche Aildung, besonders fllr die nationals Er
liehung. 3ch weiß, dasi gerade aus Kreisen der Zei
chenlehrer hi'erin eine dem Zeichenunkerricht freind
ailige Aufgabe gesehen wird, dasi er.sich auf das
reine Forinenvroblem beschränken müffe und dasz er
sich ihm ftemdartlge Aulgaben nicht auflasten soll.
Andere Kunsterzieher haben, wieder umgekehrt, auch
mit Aebertreibungen gesprochen von der Wiederge-
bnrk des deukschen Geistes auS dem Geiste der Kuiisk.
Aber das isi richtig, eine Alizenkverschiebung in der
Mhkung deS Kunskerlebeiis. uach dieser Seike hin
wird nökig sein, wenii wir auch in dec Kuiist ekwas
beilragen ivoiien zur Bildung deS deukschen Alen-
schen. Dcnn, meine Damen und Herren, ein Volli
vesiljt seine Vergangenheit und damik sich selbst nur,
soiveit es die Kunstwerlie seiner Bergangenheit ver-
slehk. Aur in den groszen Kuiistwerlien als den tief-
sken Deukungen unseres Wesens dehnen wir unsere
nakionale Ezisienz über die Gegenwark aus und werden
ii,is der inneren Einheit unseres Vollistums bewuszk,
besonders dann, iveiin, wie wir eS lun, wir auch die
Sprache hineinziehen in die Kunst und in die Kunsi-
erziehung. lZn der Kunst erleben wir, die wir in
Parkeien und Konfessionen bis in die kiefsken Tiefen
un erer Seele zerspalten slnd, doch den gleichen Herz-
schiag, den gleichen Lebensrhykhmus, den aleichen
iiebensstii deS gesamten Vollies, die gleiche Lebens-
liefe. Worin sind wir denn noch einig, die wir selbst
iu Staaksgedanlien nicht einig lind, die wtr selbst In
den Synibolen des Skaates nicht einig sind, die wir
von Millionen deukscher Menschen durch Grenzpfähle
gekrennt sind, wenn nicht In den groszen Werken un-
jerer Denker, Dichter und Künstlerl Und zwar er-
leben wir diese Lebenstiefe, diesen gemeinsamen Herz-
schlag nicht in der Form des Denkens, sondern in
jener Tiefe, in der das llrrakionale tn unser Leben
eingreifk. 2m ästhekischen Erleben allein überströmk
iins auch die Segensfülle der Helmat, denn nur lm
Phantalieerlebnis wird unsere Amwelk dem Druck der
Wirklichkeit, dem Werkeltageund der Begierde enk-
noiniiien und offenbart uns ihre Bedeuksamkeit und
gestaltet sich zu sener tleferen Welk, in der wir sie im
sreien Spiel jenseiks der Weltanschauungen genie-
Izen und zum Lebensverständnis erheben. Darum
hängt die Gefühlsskellung zu den Lebensformen un-
serer Umwelt ab von ihrer ästhekischen Erlebbarlreit
imd nlcht von der tieferes Leben oft erkökenden Ve-
wlisztheik, der dle Kraft des Ahnnngsvollen,- des
Selbskverstündlichen, die Einfalt und die Aaivitüt deS
Naturgenieszens fehlen. Auch die grojzen Persönlich-
iieiken unseres Bolkes erfassen wir am tiessten dann,
wenn sie künstlerisch geformt sind. „Denn," so sagk
Vischer, „nur in dieser lebendigen Zusammenfasfung
gibk die individnelle Phankaste des Künstlers der Na-
kion Ihr erhöhkes Bild mik der unendlichen Krafk rück-
wirkender Blldungsmiktel wieder". Nur im Schauen
erleben wir in der Zerrissenheik und Unübersichklich-
Iieik, in dem Chaos unserer Kultur den lebendigen

Zusamnienhang mit dem Ganzen. 2n lebendigen An-
schauungen und Symbolen sprechen die grosten Le-
bensmächte am eindringlichsten zu uns. Wir strei-
ken jetzt bei unseren Staatsideen um d!e Symbole
schwarz-weisz-rot und schwarz-rot-goid bis in die
kiefste Seele der Kinder hinein, ein Beweis, dast die
Symbolsprache, datz die Skellung zu den Symbolen
viel tiefer greist, ais etwa die rakionelle Ueberiegung,
ob die Nepubiik oder die Monarchie die für unS
geeigneke Staaksform sei.

Was vom eigenen Bolke in der tiefsken Erfassung
seiner Wesenheit und Lebensformen uns uur die
Kunst gibt, das gilt auch gerade für die höhere Sckuie
von dem Erfassen fremder Kulturen und fremder Böl-
ker, deren inneren Seele wir sonst krotz deS Sprach-
unterrichts so unendlich fernbleiben, wie es der Krieg
und auch dle Gegenwart zeigt. (Lebhafke Zufliin-
mung.) Freilich, das gilt nicht so, datz wic daS Ber-
ständnis des Menschlichen und Wesenhasken unserer
Kultur uns erst am Kunstverständnis der anderen zu
erkümpfen brauchken oder erlrümpfen dürsten. Denn
weil das tietste ästhekische Erleben gerade in das An-
bewuszte und Unreflektierte, in die Sphäre des 2n-
stinkts, der Ahnungen, in das linsagvare und Unaus-
sprechliche hineinreicht, darum kann dle uns wirklich
wesensbildende Kunst nur die deutfche Kunst sein.
Darum hat der junae Nietzsche es für einen Wahn
erklärt, und das solite mancher Philologe beherzigen,
man könne in die entfremdete hellenische Welk durch
Berleugnung des deukschen Geistes gkelchsam direlik
ohne Ärücke hlneinspriiigen. Daruni sordert er die
Bertlefung in die deuksche Kunst als den Weg zu
einem kongenialen Berständnis des Griechischen.
(Lebhafker Beifall.)

So hängk, wie mir schelnt, die Zukunfk unseres
Bolkes als elnes Bolkes von Eigenart und Eigen-
wert wesenklich davon ab, ob wir unsere ckigend die
Lebensformen des deutschen Lebens äskhetisch erleben
lassen. Ilnd unser Berftändnis der anderen, das die
höhere Vildung nichk entbehren kann, hängt wieder
davon ab, datz wir unser Selbstverständnis messen
und verklefen an dem ästhekischen Erlebnls ihrer
Eigenart und ihres Sonderwerkes an ihren Kunsk-
werken. Hier liegen darum die dringendsten Ausgaben
der Kunfterzishung, weil dle inkeliekkuelle Einstellung
unserer Bildung visher hier grundsätzlich und gründ-
lich versagk hat, denn gerade die Bewutzkheit und
Reflekkion ist für diese Dinge oft lebensbedrohend.
Darum hat Benzrecht, die verstandesmätzige und ge-
dächknismätzige Aeschäftigung mit der Kunst, dle
Theorie und dle Zistorie, jene Bllrde von Wissen
und jenes Gerede über Kunst und Künstler, wie es be-
sonders in der alten Mädchenschule grassierke (Heikere
Zustlmmung) ist das Erbübel unserer Blldung über-
haupt (Lebhafter Beifall) und das Gegenteil von äsihe-
tischer Kultur. (Lebhafter Beifall).

Darum haben wlr in der vreutzischen Schulreform
üer Kunsterziehung wesenkliche kulkurkundliche Auf-
gaben gestellk, besonders auch darum, weil hier der
Pnnkk ist, wo Bolksbildung und höhere Bildung in-
einander übergehen. Und wenn wir die unaeheure
Berankwortung bedenken, die die höhere Schuie über-
nommen hat damik» datz wir auf ihr den künf-
kigen Bolksschullehrer btlden, und datz nun noch
durch die Bolksfchule nur so viel von diesen
nationalen Bildungsgütern in das Bolk einskrö-
men wird, als die höhere Schule übermiktelt hak,
dann wollen wir diesen Inneren Zusammenhang,
 
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