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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

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Heft 9 (September 1925)
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Richert, Gertrud: Öffentliche Hauptversammlung des Reichverbands akad. geb. Zeichenlehrer, des Reichsverbands akad. geb. Zeichenlehrerinnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0243

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236 --

auch diesen iustinlitsmäjzigen Zusammenhang, der
ofk wichkiger ist als alles andere, für dle höhere
Schule nicht gering achten. Darum haben wir,
wie es vorhin schon oargestellt ilt, ich darf es darum
nur lmrz wiederholen, oie lmlrurlmndlichen Facher
und die Kunstfäcker zu einer inneren Etnheit zusam-
mengeschmolzen, haben sie bewuszt in den Mittelpunlrk
aller höheren Schularten gestellt und haben damlt zu-
glelch den Zusammenhaim der höheren Schule mit der
Äolksschule gesichert. Wir haben es getan unker
Widerspruch der Üniversität. (Bravol) Meine Damen
und Herrenl Bor dem Richterstuhl der Zukunfk wird
es sich entscheiden, wer hier an nakionalem änstinkk
auch der Bedeukung der Äissenschafl gerechker gewor-
den ist, dieienigen, die da melnen, wir sollen die
deuksche Bildung gründen auf Latein, Mathematik
und Engllsch, weit in den deukschen Kulturfächern
keine formale Bildung zu erwerben sei, was sicherlich
auch noch falsch ist, oder diejenigen, die bewuszt den
arohen Schritt getan haben, eine Neugruppierung der
Fücher in der deulschen höheren Schule vorzunehmen.

Aieine Damen und Herrenl Ich will uhnen die
Eiiuelheiten auS der preuszischen Schulreform nichk
vorführen. Gestatten Sie mlr nur noch ein kurzes
Schmszwork. Die Kunsterziehung ist mit dlelen drei
grotzen Aufgaben, der Entwicklung der produktiven
Kräfte, die Erziehung zum ästhetischen Genieszen und
der tiefsten Uebermlttlung unserer Kulkur, nichk er-
schöpft. 2st doch die Kunst eine Sprache, in der die
ganze Welt slch aussvrechen läjzt, und darum stehk sie
zu allen Lebensgebieken in innerster Beziehung. Kunst
und soziale Erziehung, Kunst und Philosophie, Kunst
und Weltanschauung, alles das sino arotze Themaka,
die wir hier bei der Schulreform durchdenken müssen.
Bor allem aber wäre zu reden von der Kunst als
Lebensreform der Schuie, von der Schule als einer
Stätke der Ausdruckskulkur, von ihrer Durchdringung
mit künstlerischem Geist, von ihren Fesken, von ihren
Spielen und ihren Aufführunaen, von ihrer Musik,
von ihrer Wirkung auf die Volkskunst, von ihrer
Einordnung tn üie ästhetische Kultur unseres Bolks-
lebens überhaupt. GriHe Aufgaben, meine Damen
und Zerren, jedes eln Thema für stch. Nur die Bltte
möchte ich hier an Sie richten, dasz der Zeichenlehrer
und der Musiklehrer herauskommk aus seinem
Zeichensaal und Musiksaal und sich hineinstelle m das
Gesamtleben der Schule. Gewijz sind bisher werkvolle
uno reizbare Künstlerseelen unter den Zeichen- und
Musiklehrern in der sozialen Stellung, in der lächeln-
den und überlegenen Ablehnung lhres Bildungs-
wlllens in unseren höheren Schulen zermürbt und
zerbrochen. Wir haben ln Preusten — ich weih nicht,
wie es in andern Ländern Ist — jetzt alles gekan, um
diese Schranken m durchbrechen, nichk um gewerk-
schafklicker Einstellung wtllen, auch nicht unker dem
Druck der Gewerkschaften, die sonst eine so grojze
Rolle spielen, sondern aus der Ueberzeugung heraus,
datz es sich nicht um techntsche- Fcicher hanoelt, wie
uns immer enkgegengehalken wird, sondern öah die
Kunst Einzug halken soll in die weltgeöffneken Türen
unserer Schulen, um der Seele unserer Kinder willen.

Kann denn aber die Kunst in der Schule das leisten,
was von ihr geforderk wirdv 3st nicht der Widerspruch
zwischen Skundentafel und Lehraufgabe in dsr Musik
ln die Augen sallend? Welcher Lehrer vermag das?
Es ist den Neformleuken Immer wieder entgegenge-
halken worden: Du hast nicht die Lehrer dam, und
vor allen Dingen: können wir in der Schule diese

Aufgaben übernehmen, wenn sie im Bolke noch nicht

gelöst sind? Können wir uns berelts auf eine Bölks-
kunst stützen, aus eine Kunst, die aus der Tiefe der
deutschen Seele heraus geboren ist? Diese schwierigen
Fragen werden von niemandem schmerzltcher emp-
funden als vom Schulbeamten, der die Forderungen
aller Werkgebieke überschauk. Äiemand kann auch den
Abstand zwischen Wirklichkeit und 2deal klarer sehen
als wer von amtswegen den Schulbekrieb kennen ler-
nen muh und die Hemmnisse sieht, die dem tzdeal enl-
gegenstehen. Und doch, ist nicht schon in rvenig llahr-
zehnten gerade auf unserem Gebiele vieles zur all-
gemeinen Meinung geworden, was einst einsaine
Denker und Künstler ausgesprochen habeni und »ann
sich das Neal anders durchsehen, als indem es als
Forderung und Aufgabe ausgesprochen wird? 2st das
2deal nicht dazu nötig, um das Leben zu überwinden
und sich nicht unker das Leben zu beugen? 3sk es nichl
schon darum nötig auszusprechen, damit nicht Rück-
ständigkeit in öen Besiinrmungen und in den Perso-
nen die Msnschen hemmk, die nach diesem Neal ar-
beiten wollen?

Aber ein Zweites! Alle Kunsterziehung Ist ein dy-
namisches Prinzip, es ist kein Stoffproblem, sondern
ein methodisches Problem, es sirebk nicht in die
Weite, sondern in die Tiefe, ein Prinzip, das die
verschiedenen Menschen an ganz verschiedenen Stel-
len im Menschen angreift, den musikalischen Men-
schen anders als den zeichnerischen Begabken.
Darum dars die Kunsterziehung nicht allen alles sein
wollen. Aber auch jeder Lehrer — Ich möchke das
deutlich aussprechen — kann nur daS geden, waS er
hat, nur das, was seinem Genius entsprichk. Gerade
in der Erziehung zur Kunst Ist innere Wahrhaflig-
keik und Demut dis Boraussetzung dec Bildung, u»d
die Schüler sind dafür auszecordentlich felnfühlig. Wer
sich vor den Schülern überhöht — und gerade manche
Zalbkalente neigen dazu — der ist verloren. Aber wir
kennen auch die Kräfte der Lehrergemeinschaft, von
der vorhin in so sympathischer Weise die Äede war,
die im Fachspezialistenkum so lange ungenützt waren,
wo die Kräste gegeneinander arbeiteten. Darum kann
die Arbeitsgemeinschaft der Lehrer auch die Schran-
ken des einzelnen Lehrers in der Kunsterziehung
überwinden. Aber die Lehrergemeinschaft mutz nur
den Kunsterzieher als ein legitimes und nokwendiges
Glied willkommen heihen, denn es gibt kein Fach,
dem nichk der Kunsterzieher, der Lehrer des Zeichnens
und vor allen Dingen auch der Musik Hilse z» leisten
hätte. Dazu aber mutz auch der Kunskerzieher getra-
aen sein von dem Vildungswillen seiner Fachgenos-
sen, von der Woge einss zielstrebenden Gemeln-
schafkswillens, die üoer die Untiefen des Allkags, der
Lagesarbeit und der engen Berhälknisse, unter denen
mancher Kunsterzieher lebt, hinweggehk.

Wenn tch diese Tagung recht verskehe, soll auä) sie
eine solche Lebenswoge setn. Auch wir von der Unler-
richksverwalkung bedürsen solcher Lebenswogen, sonst
erliegen wir dem zermürbenden Kampf, bei dem nichk
nur Bildungsmächke, sondern sehr oft auch Mächke
ganz anderer Herkunst und ganz anderer Einstellung
ringen, um die Iugend zu gewinnen. Die Schutresorm
ln Preutzen, von der ich zu berichten die Ehre halke,
ist das Kind eines Uebergangszeitalkers in Bösem und
Gutem, das Kind eines juchenden und ringenden
Zeltalters. Sie tellt dieses Schicksal auch mlk der
Kunst der Gegenwark. Die neue Kunst, die unser
Leben in der Tiefe deuten wirü, die unser Bolk zur
 
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