EIN DOPPELBILDNIS DER Mme LAB ILLE-GUIARD
VON GEORG BIERMANN
Auf der viel beachteten retrospektiven Ausstellung französischer Kunst, die
letztes Jahr von Juli bis Oktober im Rijksmuseum zu Amsterdam stattfand,
war unter rund zweihundert Gemälden auch ein Porträt des Herzogs von
Choiseul von der Hand der Adelaide Labille zu sehen, die zu ihrer Zeit die an-
erkannte Rivalin der Mme. Vigee-Lebrun gewesen, inzwischen aber in der
Kunstgeschichte zu Unrecht seltsam unbeachtet geblieben ist. Und doch ist sie
für die Epoche, die ihr künstlerisches Lebenswerk begleitet, nicht weniger cha-
rakteristisch als jene berühmten Persönlichkeiten, die neben ihr dem sterbenden
Rokoko eine letzte Verdeutlichung gesichert haben.
A. Labille hat als Tochter eines Kleinkaufmanns 1749 in Paris das Licht der
Welt erblickt. Pajou modellierte die Büste ihres Vaters und sie hat dem
Bildhauer für diese Tat gedankt, als sie 1785 bei ihrer Aufnahme in die Aka-
demie, die gleichzeitig mit derjenigen der Vigee-Lebrun erfolgte, das Porträt
Pajous als Beweis ihres Könnens zusammen mit einem Bildnis des Malers A. van
Loo vorlegte. Adelaide hat zuerst Miniaturen, dann angeregt durch La Tour
Pastelle gemalt (typischer Werdegang der französischen Maler dieser Zeit) und
ist zuletzt zur Ölmalerei gekommen, die sie bei dem Künstlerehepaar Francois
und Ehe Vincent erlernte. In zweiter Ehe ist sie die Gattin des Sohnes ihrer
beiden Lehrmeister geworden, des Malers Francois Vincent, dem sie aber nur
wenige Jahre angehörte, da sie bereits am 24. April 1803 in Paris das Zeitliche
segnete1.
Selbst bei frühzeitigem Beginn ihrer Künstlerlaufbahn dürfte das Werk der
Künstlerin kaum mehr als die Spanne von dreißig Jahren umschließen. Als
Mme. Labilles Hauptwerk gilt allgemein das heute in der Sammlung Berwind
in New-York befindliche Porträt vom Jahre 1783, auf dem sie sich selbst mit
ihren beiden Schülerinnen, den Mlles. Capet und Rosemond, verewigt hat. •—
Andere Arbeiten sind dagegen längst in Vergessenheit geraten, was doppelt
wundernimmt angesichts der Tatsache, daß ihre eigene Zeit sie durchaus eben-
bürtig der Vigee-Lebrun empfunden, zumal sie noch am Vorabend der Revo-
lution mehrere Bildnisse der Tanten Louis XVI., der berühmten »Mesdames de
France«', gemalt hat.
Jede neue Arbeit aber, die von der Hand dieser Künstlerin ans Licht gezogen
wird, bedeutet zweifellos eine Bereicherung kunstgeschichtlichen Wissens und
wenn sie außerdem, wie das hier abgebildete Porträt einer leider unbekannten
Dame mit ihrem Kinde, so starke malerische Qualitäten aufweist, dann kann
man die Einstellung der Zeitgenossen durchaus begreifen.
Hinzukommt, daß gerade das moderne Gefühl einem solchen Bild viel stärker
wieder entgegenkommt.
Leider ist das unbekannte Doppelporträt als solches vorerst nicht zu identi-
fizieren, noch weniger ist der Provenienz beizukommen. Immerhin ist das
Bild dem Schreiber dieser Zeilen schon vor vielen Jahren einmal an anderer
1 Baron Pourtales hat in der »Gazette des Beaux-Arts« 1901/02 eine grundlegende Arbeit
über die Künstlerin veröffentlicht, die als wichtigste Quelle an dieser Stelle nicht uner-
wähnt bleiben soll.
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VON GEORG BIERMANN
Auf der viel beachteten retrospektiven Ausstellung französischer Kunst, die
letztes Jahr von Juli bis Oktober im Rijksmuseum zu Amsterdam stattfand,
war unter rund zweihundert Gemälden auch ein Porträt des Herzogs von
Choiseul von der Hand der Adelaide Labille zu sehen, die zu ihrer Zeit die an-
erkannte Rivalin der Mme. Vigee-Lebrun gewesen, inzwischen aber in der
Kunstgeschichte zu Unrecht seltsam unbeachtet geblieben ist. Und doch ist sie
für die Epoche, die ihr künstlerisches Lebenswerk begleitet, nicht weniger cha-
rakteristisch als jene berühmten Persönlichkeiten, die neben ihr dem sterbenden
Rokoko eine letzte Verdeutlichung gesichert haben.
A. Labille hat als Tochter eines Kleinkaufmanns 1749 in Paris das Licht der
Welt erblickt. Pajou modellierte die Büste ihres Vaters und sie hat dem
Bildhauer für diese Tat gedankt, als sie 1785 bei ihrer Aufnahme in die Aka-
demie, die gleichzeitig mit derjenigen der Vigee-Lebrun erfolgte, das Porträt
Pajous als Beweis ihres Könnens zusammen mit einem Bildnis des Malers A. van
Loo vorlegte. Adelaide hat zuerst Miniaturen, dann angeregt durch La Tour
Pastelle gemalt (typischer Werdegang der französischen Maler dieser Zeit) und
ist zuletzt zur Ölmalerei gekommen, die sie bei dem Künstlerehepaar Francois
und Ehe Vincent erlernte. In zweiter Ehe ist sie die Gattin des Sohnes ihrer
beiden Lehrmeister geworden, des Malers Francois Vincent, dem sie aber nur
wenige Jahre angehörte, da sie bereits am 24. April 1803 in Paris das Zeitliche
segnete1.
Selbst bei frühzeitigem Beginn ihrer Künstlerlaufbahn dürfte das Werk der
Künstlerin kaum mehr als die Spanne von dreißig Jahren umschließen. Als
Mme. Labilles Hauptwerk gilt allgemein das heute in der Sammlung Berwind
in New-York befindliche Porträt vom Jahre 1783, auf dem sie sich selbst mit
ihren beiden Schülerinnen, den Mlles. Capet und Rosemond, verewigt hat. •—
Andere Arbeiten sind dagegen längst in Vergessenheit geraten, was doppelt
wundernimmt angesichts der Tatsache, daß ihre eigene Zeit sie durchaus eben-
bürtig der Vigee-Lebrun empfunden, zumal sie noch am Vorabend der Revo-
lution mehrere Bildnisse der Tanten Louis XVI., der berühmten »Mesdames de
France«', gemalt hat.
Jede neue Arbeit aber, die von der Hand dieser Künstlerin ans Licht gezogen
wird, bedeutet zweifellos eine Bereicherung kunstgeschichtlichen Wissens und
wenn sie außerdem, wie das hier abgebildete Porträt einer leider unbekannten
Dame mit ihrem Kinde, so starke malerische Qualitäten aufweist, dann kann
man die Einstellung der Zeitgenossen durchaus begreifen.
Hinzukommt, daß gerade das moderne Gefühl einem solchen Bild viel stärker
wieder entgegenkommt.
Leider ist das unbekannte Doppelporträt als solches vorerst nicht zu identi-
fizieren, noch weniger ist der Provenienz beizukommen. Immerhin ist das
Bild dem Schreiber dieser Zeilen schon vor vielen Jahren einmal an anderer
1 Baron Pourtales hat in der »Gazette des Beaux-Arts« 1901/02 eine grundlegende Arbeit
über die Künstlerin veröffentlicht, die als wichtigste Quelle an dieser Stelle nicht uner-
wähnt bleiben soll.
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