ZUR LONDONER LEIHAUSSTELLUNG
BELGISCHER KUNST VON MAX J. FRIEDLÄNDER
Die »Exhibition of Flemish and Belgian art«, nach der Jahreszeit und dem Orte
der Veranstaltung britischer Tradition folgend, wich insofern von den gewohn-
ten »winter exhibitions« ab, als auf Anregung von Belgien her dem englischen
Privatbesitze Gaben vom europäischen Kontinente, namentlich aus den belgi-
schen Museen, hinzugefügt waren, auch aus Frankreich, Holland, Österreich
und Amerika. Ein wenig mit jener Absicht, die »Kulturpropaganda« genannt
zu werden pflegt, hatte Belgien, ähnlich wie in den letzten Jahren zu Bern
und zu Paris, diese Ausstellung gefördert. Dort, in London, gelang es durch die
Teilnahme des immer noch reichen britischen Privatbesitzes eine weit umfang-
reichere Schau als in Bern oder Paris zusammen zu bringen.
Dem Programme nach sollte die Ausstellung die Kunstentwicklung auf bel-
gischem Boden, das heißt auf dem Boden, der nach den heutigen politischen
Grenzen Belgien heißt, umfassen, von 1500—1900. Die Tafelmalerei in den
beiden Perioden der Blüte, in der Zeit von 1420—1550 einerseits und im
17. Jahrhundert andererseits, trat imponierend hervor. Wenige Skulpturen,
dabei schwache und falsche, einige Bildgewebe, namentlich aus Wien, waren
eingefügt und eine Reihe von Zeichnungen.
Wenn auch Rubens, van Dyck, Brouwer mit ausgezeichneten Werken vertreten
waren, wandte das Publikum sein Interesse hauptsächlich den primitiven Bil-
dern zu. Der sensationelle Erfolg der Veranstaltung ging namentlich von den
Tafeln Jan van Eycks und Rogiers aus, im besonderen von denjenigen, die,
aus den belgischen Museen und aus amerikanischem Privatbesitze geliehen,
den Londoner Kunstfreunden Überraschungen boten. Diese Bilder waren stets
so dicht umlagert, daß kritische Prüfung kaum zu ihnen durchdringen konnte.
Die Grenzen Belgiens, die, was das 15. Jahrhundert angeht, unsicher und offen
sind, konnten nicht streng eingehalten werden, so daß es an »holländischen«
Dingen, z. B. Gemälden von Hieronymus Bosch und Jan Mostaert, nicht fehlte.
Dem erfahrenen Kunstfreunde, der die Leihausstellungen der letzten Jahr-
zehnte erlebt hat, bot die Ausstellung wenig Neues, zumal da der britische
Privatbesitz schon bei früheren Gelegenheiten sich stets bereitwillig geöffnet
hatte, so bei den Veranstaltungen des Burlington Club, der Guildhall, der New
Gallery und bei der unvergleichlich umfassenden Ausstellung von 1902 in
Brügge. Dennoch ist solche Vereinigung weithin verstreuter Dinge stets wieder
dankbar zu begrüßen, zumal da die erleichterte Vergleichung Gedanken gebiert
und das Urteil auffrischt.
Die folgenden Bemerkungen beziehen sich auf einige bisher unbekannte oder
doch wenig bekannte Werke von historischer Bedeutung, die auf dieser Aus-
stellung ans Licht treten.
Wenn als Anfangsdatum die Jahreszahl 1300 vielversprechend auf dem Pro-
gramme stand, präsentierte sich die Kunst aus der Zeit vor Jan van Eyck so
kümmerlich und fragwürdig, wie stets und überall. Auf das erst vor kurzem
bekannt gewordene Jüngste Gericht aus Diest (Abb. 1) wurde viel Aufmerksam-
keit gelenkt. M. Konrad hat ausführlich über diese stattliche, ausgezeichnete und
gut erhaltene Tafel geschrieben (im 3. Bande des Wallraf-Richartz-Jahrbuchs,
15 Der Cicerone, Jahrg. XIX, Heft 7
207
BELGISCHER KUNST VON MAX J. FRIEDLÄNDER
Die »Exhibition of Flemish and Belgian art«, nach der Jahreszeit und dem Orte
der Veranstaltung britischer Tradition folgend, wich insofern von den gewohn-
ten »winter exhibitions« ab, als auf Anregung von Belgien her dem englischen
Privatbesitze Gaben vom europäischen Kontinente, namentlich aus den belgi-
schen Museen, hinzugefügt waren, auch aus Frankreich, Holland, Österreich
und Amerika. Ein wenig mit jener Absicht, die »Kulturpropaganda« genannt
zu werden pflegt, hatte Belgien, ähnlich wie in den letzten Jahren zu Bern
und zu Paris, diese Ausstellung gefördert. Dort, in London, gelang es durch die
Teilnahme des immer noch reichen britischen Privatbesitzes eine weit umfang-
reichere Schau als in Bern oder Paris zusammen zu bringen.
Dem Programme nach sollte die Ausstellung die Kunstentwicklung auf bel-
gischem Boden, das heißt auf dem Boden, der nach den heutigen politischen
Grenzen Belgien heißt, umfassen, von 1500—1900. Die Tafelmalerei in den
beiden Perioden der Blüte, in der Zeit von 1420—1550 einerseits und im
17. Jahrhundert andererseits, trat imponierend hervor. Wenige Skulpturen,
dabei schwache und falsche, einige Bildgewebe, namentlich aus Wien, waren
eingefügt und eine Reihe von Zeichnungen.
Wenn auch Rubens, van Dyck, Brouwer mit ausgezeichneten Werken vertreten
waren, wandte das Publikum sein Interesse hauptsächlich den primitiven Bil-
dern zu. Der sensationelle Erfolg der Veranstaltung ging namentlich von den
Tafeln Jan van Eycks und Rogiers aus, im besonderen von denjenigen, die,
aus den belgischen Museen und aus amerikanischem Privatbesitze geliehen,
den Londoner Kunstfreunden Überraschungen boten. Diese Bilder waren stets
so dicht umlagert, daß kritische Prüfung kaum zu ihnen durchdringen konnte.
Die Grenzen Belgiens, die, was das 15. Jahrhundert angeht, unsicher und offen
sind, konnten nicht streng eingehalten werden, so daß es an »holländischen«
Dingen, z. B. Gemälden von Hieronymus Bosch und Jan Mostaert, nicht fehlte.
Dem erfahrenen Kunstfreunde, der die Leihausstellungen der letzten Jahr-
zehnte erlebt hat, bot die Ausstellung wenig Neues, zumal da der britische
Privatbesitz schon bei früheren Gelegenheiten sich stets bereitwillig geöffnet
hatte, so bei den Veranstaltungen des Burlington Club, der Guildhall, der New
Gallery und bei der unvergleichlich umfassenden Ausstellung von 1902 in
Brügge. Dennoch ist solche Vereinigung weithin verstreuter Dinge stets wieder
dankbar zu begrüßen, zumal da die erleichterte Vergleichung Gedanken gebiert
und das Urteil auffrischt.
Die folgenden Bemerkungen beziehen sich auf einige bisher unbekannte oder
doch wenig bekannte Werke von historischer Bedeutung, die auf dieser Aus-
stellung ans Licht treten.
Wenn als Anfangsdatum die Jahreszahl 1300 vielversprechend auf dem Pro-
gramme stand, präsentierte sich die Kunst aus der Zeit vor Jan van Eyck so
kümmerlich und fragwürdig, wie stets und überall. Auf das erst vor kurzem
bekannt gewordene Jüngste Gericht aus Diest (Abb. 1) wurde viel Aufmerksam-
keit gelenkt. M. Konrad hat ausführlich über diese stattliche, ausgezeichnete und
gut erhaltene Tafel geschrieben (im 3. Bande des Wallraf-Richartz-Jahrbuchs,
15 Der Cicerone, Jahrg. XIX, Heft 7
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