SAMMLER UND MARKT
HENRY E. HUNTINGTON 7
Am 23. Mai starb in Philadelphia Henry E.
Huntington, einer der reichsten Männer der
Welt und der größte Büchersammler, der je
gelebt hat. Er ist in der Eisenbahnstadt One-
onta im Jahre i85o geboren, war zuerst im
Eisen-, dann im Holzgeschäft tätig, trat je-
doch bald das Erbe seines Onkels Collis P.
llunlinglon, des Erbauers der Southern Pa-
cific, an und hat sich mit der Zeit zum Be-
herrscher von t\o Eisenhahngesellschaften em-
porgearbeitet. Erst als Sechzigjähriger wandte
er sich mit Leidenschaft dem Büchersammeln
zu, hat aber trotzdem in 16 Jahren eine Pri-
valbibliothek von nahezu hunderttausend, fast
ausschließlich seltenen und ausgewählten,
Werken zusammengebracht. Daß der arbeits-
reiche Mann an der Schwelle des Greisen-
alters mit einer solchen Intensität sich auf
dem Gebiete der Bibliophilie betätigte, ist
neben einem angeborenen Sammelsinn wohl
in der Hauptsache zwei Faktoren zuzuschrei-
ben: erstens, daß damals eine so ungewöhn-
lich bedeutende Bibliothek wie die des Ro-
bert Hoe in New York zum öffentlichen Ver-
kauf gelangte und dann der Anregung durch
den Buchhändler George D. Smith. Ilobert
Hoe, der Besitzer der ersten Linotypemaschi-
nenfabrik, hatte in 5o Jahren eine unver-
gleichliche Bibliothek von Bücherzimelien zu-
sammengebracht. Diese Bücherei enthielt zwar
auch einiges Minderwertige, aber andererseits
batte Hoe fast alle wirklich qualitätvollen
Stücke, die während seiner Sammeltätigkeit
auf dem Markt auf tauchten, erworben und nach
seinem Tode wurden dieselben in den Jahren
1911 — iqi3 auf vier Auktionen für beinahe
zwei Millionen Dollar veräußert. Der Haupt-
käufer auf diesen Versteigerungen war George
D. Smith im Aufträge von Henry E. Hunting-
ton. Der Antiquar George D. Smith hatte ur-
sprünglich seinen Laden in einem Keller der
Wallstreet, der engen, lichtarmen, von Wol-
kenkratzern eingerahmten Bankstraße New
Yorks. Wenn die Börsenkurse niedrig waren,
hielt er sich wie ein Maulwurf in seinem dunk-
len Raum zurück; stiegen aber die Kurse, so
machte er sich an die erfolgreichen Börsen-
leute heran und brachte seine Bücherschätze
bei ihnen an: erst moderne englische Litera-
tur, besonders Dickens-Erstausgaben, dann äl-
tere bis zu den Folio-und Quarto-Shakespeares
von ungeheurem Wert, seltene Americana, end-
lich auch Inkunabeln, wertvolle Einbände und
Miniaturmanuskripte. Er war ein liebenswür-
diger, amüsanter Mensch, aber eine Spielerna-
tur, der nicht nur mit seinen Kunden gern ein
Gläschen leerte, sondern sich von ihnen auch
zum Börsenspiel und Rennwetten verleiten ließ,
wobei er meist das wieder verlor, was er durch
seine Bücherverkäufe verdient hatte. So ist er
auch, während des Krieges, nahezu vermögens-
los gestorben. Dieser Smith hat nun, sehr
zum Ärger der aus allen Weltgegenden her-
beigeströmten Antiquare, den größten Teil der
Nummern der IIoe-Auktionen erworben und
nur hier und da anderen einige Brocken ge-
lassen, die freilich nicht immer die schlech-
testen waren. Überhaupt war Smith wohl ein
sehr smarter Geschäftsmann amerikanischen
Stils, aber kein eigentlicher Bücherkenner,
und so sind ihm bei seinen Ankäufen auch
manche Fälschungen der Hoe-Sammlung, be-
sonders unter den Einbänden und Miniatur-
manuskripten, mit untergelaufen. Als dies
durch die Indiskretion eines Frankfurter An-
tiquars ruchbar wurde, wurde er hitzig und
wollte diesen auf Schadenersatz verklagen.
Bald gab er jedoch als der Klügere nach,
beugte sich dem größeren Wissen des Ver-
treters des alten Kontinents und versöhnte sich
mit ihm bei einigen Cocktails, die damals in
den Vereinigten Staaten noch nicht verboten
waren. Als Smith auf der Hoe-Auktion für
das Pergamentexemplar der Gutenberg-Bibel
den Rekordpreis von 00000 Dollar zahlte, da
galt das Beifallklatschen in dem theatermäßig
angelegten Auktionssaal der Anderson Auc-
tion Company auch dem neben ihm sitzenden
Herrn mit weißem Lockenhaar, Henry E.
Huntington. Im selben Jahr hat Huntington
dann noch einen zweiten Gutenbergdruck, das
Catholicum von i/|6o, aus dem Besitz einer
Frankfurter Firma erworben und für 900000
Dollar die fast vollständige Americana-Samm-
lung des E. Dwight Church, über die bereits
ein ausgezeichneter, von G. W. Cole bearbei-
teter Katalog vorlag. igi3 folgte der Ankauf
der Bibliothek des Präsidenten des New Yor-
ker Grolier-Clubs, Beverly Chew, mit der Hun-
tington den Grundstock seiner Sammlung von
Erstausgaben englischer Dichter und Schrift-
steller legte. In den folgenden Jahren dehnte
er seine Einkaufstätigkeit auch auf den euro-
päischen Markt aus, und George D. Smith
erschien auf den Londoner Auktionen, um
auch hier den großen europäischen Anti-
quaren das Übergewicht der amerikanischen
Geldmacht zu beweisen. Als dort kurz vor
Kriegsausbruch die herrliche, in Maroquin-
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HENRY E. HUNTINGTON 7
Am 23. Mai starb in Philadelphia Henry E.
Huntington, einer der reichsten Männer der
Welt und der größte Büchersammler, der je
gelebt hat. Er ist in der Eisenbahnstadt One-
onta im Jahre i85o geboren, war zuerst im
Eisen-, dann im Holzgeschäft tätig, trat je-
doch bald das Erbe seines Onkels Collis P.
llunlinglon, des Erbauers der Southern Pa-
cific, an und hat sich mit der Zeit zum Be-
herrscher von t\o Eisenhahngesellschaften em-
porgearbeitet. Erst als Sechzigjähriger wandte
er sich mit Leidenschaft dem Büchersammeln
zu, hat aber trotzdem in 16 Jahren eine Pri-
valbibliothek von nahezu hunderttausend, fast
ausschließlich seltenen und ausgewählten,
Werken zusammengebracht. Daß der arbeits-
reiche Mann an der Schwelle des Greisen-
alters mit einer solchen Intensität sich auf
dem Gebiete der Bibliophilie betätigte, ist
neben einem angeborenen Sammelsinn wohl
in der Hauptsache zwei Faktoren zuzuschrei-
ben: erstens, daß damals eine so ungewöhn-
lich bedeutende Bibliothek wie die des Ro-
bert Hoe in New York zum öffentlichen Ver-
kauf gelangte und dann der Anregung durch
den Buchhändler George D. Smith. Ilobert
Hoe, der Besitzer der ersten Linotypemaschi-
nenfabrik, hatte in 5o Jahren eine unver-
gleichliche Bibliothek von Bücherzimelien zu-
sammengebracht. Diese Bücherei enthielt zwar
auch einiges Minderwertige, aber andererseits
batte Hoe fast alle wirklich qualitätvollen
Stücke, die während seiner Sammeltätigkeit
auf dem Markt auf tauchten, erworben und nach
seinem Tode wurden dieselben in den Jahren
1911 — iqi3 auf vier Auktionen für beinahe
zwei Millionen Dollar veräußert. Der Haupt-
käufer auf diesen Versteigerungen war George
D. Smith im Aufträge von Henry E. Hunting-
ton. Der Antiquar George D. Smith hatte ur-
sprünglich seinen Laden in einem Keller der
Wallstreet, der engen, lichtarmen, von Wol-
kenkratzern eingerahmten Bankstraße New
Yorks. Wenn die Börsenkurse niedrig waren,
hielt er sich wie ein Maulwurf in seinem dunk-
len Raum zurück; stiegen aber die Kurse, so
machte er sich an die erfolgreichen Börsen-
leute heran und brachte seine Bücherschätze
bei ihnen an: erst moderne englische Litera-
tur, besonders Dickens-Erstausgaben, dann äl-
tere bis zu den Folio-und Quarto-Shakespeares
von ungeheurem Wert, seltene Americana, end-
lich auch Inkunabeln, wertvolle Einbände und
Miniaturmanuskripte. Er war ein liebenswür-
diger, amüsanter Mensch, aber eine Spielerna-
tur, der nicht nur mit seinen Kunden gern ein
Gläschen leerte, sondern sich von ihnen auch
zum Börsenspiel und Rennwetten verleiten ließ,
wobei er meist das wieder verlor, was er durch
seine Bücherverkäufe verdient hatte. So ist er
auch, während des Krieges, nahezu vermögens-
los gestorben. Dieser Smith hat nun, sehr
zum Ärger der aus allen Weltgegenden her-
beigeströmten Antiquare, den größten Teil der
Nummern der IIoe-Auktionen erworben und
nur hier und da anderen einige Brocken ge-
lassen, die freilich nicht immer die schlech-
testen waren. Überhaupt war Smith wohl ein
sehr smarter Geschäftsmann amerikanischen
Stils, aber kein eigentlicher Bücherkenner,
und so sind ihm bei seinen Ankäufen auch
manche Fälschungen der Hoe-Sammlung, be-
sonders unter den Einbänden und Miniatur-
manuskripten, mit untergelaufen. Als dies
durch die Indiskretion eines Frankfurter An-
tiquars ruchbar wurde, wurde er hitzig und
wollte diesen auf Schadenersatz verklagen.
Bald gab er jedoch als der Klügere nach,
beugte sich dem größeren Wissen des Ver-
treters des alten Kontinents und versöhnte sich
mit ihm bei einigen Cocktails, die damals in
den Vereinigten Staaten noch nicht verboten
waren. Als Smith auf der Hoe-Auktion für
das Pergamentexemplar der Gutenberg-Bibel
den Rekordpreis von 00000 Dollar zahlte, da
galt das Beifallklatschen in dem theatermäßig
angelegten Auktionssaal der Anderson Auc-
tion Company auch dem neben ihm sitzenden
Herrn mit weißem Lockenhaar, Henry E.
Huntington. Im selben Jahr hat Huntington
dann noch einen zweiten Gutenbergdruck, das
Catholicum von i/|6o, aus dem Besitz einer
Frankfurter Firma erworben und für 900000
Dollar die fast vollständige Americana-Samm-
lung des E. Dwight Church, über die bereits
ein ausgezeichneter, von G. W. Cole bearbei-
teter Katalog vorlag. igi3 folgte der Ankauf
der Bibliothek des Präsidenten des New Yor-
ker Grolier-Clubs, Beverly Chew, mit der Hun-
tington den Grundstock seiner Sammlung von
Erstausgaben englischer Dichter und Schrift-
steller legte. In den folgenden Jahren dehnte
er seine Einkaufstätigkeit auch auf den euro-
päischen Markt aus, und George D. Smith
erschien auf den Londoner Auktionen, um
auch hier den großen europäischen Anti-
quaren das Übergewicht der amerikanischen
Geldmacht zu beweisen. Als dort kurz vor
Kriegsausbruch die herrliche, in Maroquin-
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