MAX LIEBERMANN / zu seinem 80. Geburtstag
VON ALFRED KUHN
Die Zeit schreit nach großen Män-
nern. Aber die Tage der empor-
steigenden Massen, eines gehobenen
Durchschnittes sind ihrem Ent-
stehen nicht günstig. Desto leiden-
schaftlicher werden sie ersehnt.
Man verzeiht ihnen vieles um ihrer
»Totalität« willen.
So verschiebt sich auch die Stel-
lung zum Kunstwerk. Es ist nicht
mehr ein Einmaliges, ein in sich
und durch sich wertvolles Gebilde,
Quelle ästhetischen Genusses und
Objekt ästhetischer Analyse, son-
dern die Manifestation einer Per-
sönlichkeit, Pforte zur Erkenntnis
ihrer individuellen Eigenart, be-
dingt durch Zeit und Umwelt. Der
Künstler, der nur zwei oder drei
Werke geschaffen, Gedichte, Dra-
men, Bilder, hat kaum die allge-
meine Bewunderung, und wären
es auch Meisterstücke ersten Ran-
ges. Aber vor der Fülle einer rei-
chen Lebensarbeit beugt sich der
Mensch. Er verehrt darin die un-
versiegbare Zeugungskraft des Aus-
erwählten. Tizian, Rembrandt,
Michelangelo sind weithinleuchtende Namen. Von Giorgione, dem Begnadeten,
wie viele wissen von ihm?
Rudolf Großmann
Max Liebermann
Originalzeichnung
Max Liebermann, der Achtzigjährige, empfängt die Verehrung seiner Zeit um
der Totalität seiner Persönlichkeit willen. Freund und Feind senken den Degen
vor dem Umfang des von ihm Geschaffenen, vor der Eigenart der gestalteten
Persönlichkeit, vor der unbeugsamen Energie seines Lebenskampfes. Hart,
rücksichtslos, ein Verächter der Menschen und des Beifalls der Menge, kühl
und abweisend auch in seiner Kunst, hat er nicht die gemütvolle Verehrung
und kindliche Verbundenheit des Volkes finden können, wie sie Hans Thoma
besaß. Mochte aber dieser sehr wohl mit einem Patriarchen verglichen werden,
einem weisen Urahn, um den unzählige Scharen von Kindeskindern sich ver-
sammelten, seinen Lehren zu lauschen, so jener mit einem Herrscher, der der
Menge seine Form aufzwingt, mit einem Tyrannen im antiken Wortverstand,
dem das Volk sich unterwirft, da es die Kraft seines überlegenen Willens
empfindet.
29 Der Cicerone XIX. Jahrg., Heft 14
431
VON ALFRED KUHN
Die Zeit schreit nach großen Män-
nern. Aber die Tage der empor-
steigenden Massen, eines gehobenen
Durchschnittes sind ihrem Ent-
stehen nicht günstig. Desto leiden-
schaftlicher werden sie ersehnt.
Man verzeiht ihnen vieles um ihrer
»Totalität« willen.
So verschiebt sich auch die Stel-
lung zum Kunstwerk. Es ist nicht
mehr ein Einmaliges, ein in sich
und durch sich wertvolles Gebilde,
Quelle ästhetischen Genusses und
Objekt ästhetischer Analyse, son-
dern die Manifestation einer Per-
sönlichkeit, Pforte zur Erkenntnis
ihrer individuellen Eigenart, be-
dingt durch Zeit und Umwelt. Der
Künstler, der nur zwei oder drei
Werke geschaffen, Gedichte, Dra-
men, Bilder, hat kaum die allge-
meine Bewunderung, und wären
es auch Meisterstücke ersten Ran-
ges. Aber vor der Fülle einer rei-
chen Lebensarbeit beugt sich der
Mensch. Er verehrt darin die un-
versiegbare Zeugungskraft des Aus-
erwählten. Tizian, Rembrandt,
Michelangelo sind weithinleuchtende Namen. Von Giorgione, dem Begnadeten,
wie viele wissen von ihm?
Rudolf Großmann
Max Liebermann
Originalzeichnung
Max Liebermann, der Achtzigjährige, empfängt die Verehrung seiner Zeit um
der Totalität seiner Persönlichkeit willen. Freund und Feind senken den Degen
vor dem Umfang des von ihm Geschaffenen, vor der Eigenart der gestalteten
Persönlichkeit, vor der unbeugsamen Energie seines Lebenskampfes. Hart,
rücksichtslos, ein Verächter der Menschen und des Beifalls der Menge, kühl
und abweisend auch in seiner Kunst, hat er nicht die gemütvolle Verehrung
und kindliche Verbundenheit des Volkes finden können, wie sie Hans Thoma
besaß. Mochte aber dieser sehr wohl mit einem Patriarchen verglichen werden,
einem weisen Urahn, um den unzählige Scharen von Kindeskindern sich ver-
sammelten, seinen Lehren zu lauschen, so jener mit einem Herrscher, der der
Menge seine Form aufzwingt, mit einem Tyrannen im antiken Wortverstand,
dem das Volk sich unterwirft, da es die Kraft seines überlegenen Willens
empfindet.
29 Der Cicerone XIX. Jahrg., Heft 14
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