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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 14
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Kuhn, Alfred; Liebermann, Max [Gefeierte Pers.]: Max Liebermann: zu seinem 80. Geburtstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0454

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Ist es Sinn des Lebens, es in allen seinen Möglichkeiten auszumessen, ist es die
höchste Schicksalsgnade, alle Keime entwickeln zu dürfen, die in den Tiefen der
eigenen Natur schlummern, die reiche Ernte in die Scheuer zu fahren, deren
Samen man selbst gestreut, so ist Max Liebermann als der Glücklichsten einer
zu preisen. Die Kunstart, für die er gekämpft, sah er die entscheidende werden,
die Künstlervereinigung, die er gegründet und an deren Spitze er die Jahre der
Mannheit verbracht, erblickte er auf der Höhe allgemeiner Geltung, die
Ersten des Staates, die lange ihn als rassefremden Revolutionär abgelehnt,
ehrten ihn als einen Gleichen 5 der zum Herrschen Geborene führt das Zepter
der Akademie.
Hier erfährt ein sich immer strebend Bemühender den Lohn. Unermüdliche
Arbeit, sachliche Reinheit, makellose Treue zum eigenen Wesen, dabei zähe
Energie, Unerbittlichkeit im Kampf, eine fast monomanische Blindheit und
Unduldsamkeit gegen alles Andersgerichtete erringen den Sieg. Es ist wie im
Kinderlesebuch. Deshalb ist Liebermanns Leben für einen jeden bemerkens-
wert, auch für die, die dem einzelnen seiner Werke nicht mit der Hoch-
wertung des Gefolgsmannes gegenüberstehen, die in seiner Kunstanschauung
nicht die einzig wahre erblicken. Denn die Persönlichkeit ist und wird immer
das Wesentliche sein. Mag eine Generation in den hysterischen Jahren des
Krieges und Hungers auch gewünscht haben, unterzuschlüpfen unter die Fit-
tiche der Kollektivität und Anonymität, geborgen zu leben im Schatten von
Gemeinschaften und Bauhütten wie einst im Mittelalter, so ist riesengroß aus
dieser Entsagung heraus der Schrei nach dem Führer gekommen, dem Dik-
tator, dem Messias. Denn wie im Helden des Epos ein Volk das Symbol der
eigenen Wünsche sich schafft, so verehrt es im Führer das Ideal des eigenen
zeitlichen Ichs, das glücklicher als es selbst vollenden durfte, was ihm ver-
sagt blieb.

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