NEUES ZU QUENTIN MAS SYS von max j. friedländer
Der Kunstforscher, der sich als Historiker fühlt, betrachtet die Kunstübung als
einen Werdeprozeß. Dabei kann es nicht ausbleiben, daß Meister, die als An-
reger der Wandlung auftreten, und Werke, die als Beispiele neuartiger Ge-
staltung erscheinen, bevorzugt werden. Man kann einen anderen Standpunkt
einnehmen, und zuweilen mag es Erleichterung und förderliche Auffrischung
sein, den Standpunkt des Historikers zu verlassen. Man versucht dann, den
absoluten Wert zu wägen, indem man von dem Verhältnis des Meisters oder
des Werkes zu Ort und Zeit einmal absieht, eingedenk des Satzes: in der Kunst
gibt es keinen Fortschritt. Meister, die der Historiker im zweiten Plan erblickt,
treten nun nach vorn.
Ein zeitlos Untadeliger ist Quentin Massys, dessen überlieferter Ruhm zwar
von erhaltenen Werken bestätigt wird, der aber nicht wie ein Jan van Eyck,
Hugo van der Goes oder Pieter Bruegel als Bahnbrecher gefeiert werden kann.
Der Geschichtschreiber vermag nicht viel mit ihm anzufangen. Demzufolge
hat die sonst so eifrige deutsche Forschung seit W. Cohens wertvollen Studien,
die mehr als 20 Jahre zurückliegen, das Verständnis für diesen Meister nicht
beträchtlich gefördert. Die neuen Zuschreibungen, die Bereicherungen seines
»Werkes«, die ich vorgeschlagen habe (Von Eyck bis Bruegel, 2. Aufl. S. 195),
sind weder auf Zustimmung noch auf Ablehnung gestoßen.
Das »Werk« kann weiter vergrößert werden. Ich greife in einen vollen Korb,
wenn ich hier einige unbekannte oder wenig bekannte Bilder zeige.
Waagen1 hat in der Sammlung H. D. Seymour als ein Werk von Quentin
Massys gesehen »a frightful old woman; half-length figure larger than life,
painted with fearful truth in his later brown flesh tones. Greatly resembling
a caricature of a similar kind drawn by Lionardo da Vinci«. Cohen2 hat diesen
Hinweis nicht übersehen und in berechtigtem Vertrauen zu Waagens Blick
eine Stelle in der Massys-Biographie von Fornenbergh3 damit in Verbindung
gebracht. Zu Aelst hat Fornenbergh gesehen »eenighe ouwboliige Montreuse
Tronyen, Mann en Vrouwen«.
J'Jun ist die furchtbare alteFrau im britischen Kunsthandel vor wenigen Jahren auf-
getaucht (Abb. 1). Es zeigt sich, daß Waagen in allen Punkten richtig geurteilt hat.
Auch der Hinweis auf Lionardo ist zutreffend. In den »Karikaturen«, die wir von
Lionardo und von seinen Nachahmern kennen, kommt dieser ausbündig garstige
Frauenkopf des öfteren vor, namentlich in Hollars Radierungen, die auf vermeint-
liche Lionardo-Zeichnungen zurückgehen. Wir können mit einiger Sicherheit das
Blatt in der Nachbildung Hollars zeigen, das Massys benutzt hat, nämlich das
Greisenpaar mit dem Mann in Profil nach rechts und demWeibe links (Abb. 5).
Auch den Männerkopf hat Massys verwendet. Der vielfach falsch gedeutete
Kopf mit der Signatur des Niederländers und dem Datum 1515 im Musde
Andre Jacquemart zu Paris scheint eine Variante jener Lionardo-Karikatur zu
sein, ist kein Porträt, nicht Cosmo de’Medici, vielmehr ein Glied aus der Reihe
der monströsen Köpfe, nach der Gestaltungsabsicht mit der Frau aus britischem
Privatbesitz auf ein und derselben Stufe (Abb. 2).
1 Art Treasures in Gr. Britain II, S. 243 / 2 S. 76 seiner Studien.
" Den Antwerpschen Protheus . . . (1658).
1 Der Cicerone, Jahrg. XIX, Heft 1
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Der Kunstforscher, der sich als Historiker fühlt, betrachtet die Kunstübung als
einen Werdeprozeß. Dabei kann es nicht ausbleiben, daß Meister, die als An-
reger der Wandlung auftreten, und Werke, die als Beispiele neuartiger Ge-
staltung erscheinen, bevorzugt werden. Man kann einen anderen Standpunkt
einnehmen, und zuweilen mag es Erleichterung und förderliche Auffrischung
sein, den Standpunkt des Historikers zu verlassen. Man versucht dann, den
absoluten Wert zu wägen, indem man von dem Verhältnis des Meisters oder
des Werkes zu Ort und Zeit einmal absieht, eingedenk des Satzes: in der Kunst
gibt es keinen Fortschritt. Meister, die der Historiker im zweiten Plan erblickt,
treten nun nach vorn.
Ein zeitlos Untadeliger ist Quentin Massys, dessen überlieferter Ruhm zwar
von erhaltenen Werken bestätigt wird, der aber nicht wie ein Jan van Eyck,
Hugo van der Goes oder Pieter Bruegel als Bahnbrecher gefeiert werden kann.
Der Geschichtschreiber vermag nicht viel mit ihm anzufangen. Demzufolge
hat die sonst so eifrige deutsche Forschung seit W. Cohens wertvollen Studien,
die mehr als 20 Jahre zurückliegen, das Verständnis für diesen Meister nicht
beträchtlich gefördert. Die neuen Zuschreibungen, die Bereicherungen seines
»Werkes«, die ich vorgeschlagen habe (Von Eyck bis Bruegel, 2. Aufl. S. 195),
sind weder auf Zustimmung noch auf Ablehnung gestoßen.
Das »Werk« kann weiter vergrößert werden. Ich greife in einen vollen Korb,
wenn ich hier einige unbekannte oder wenig bekannte Bilder zeige.
Waagen1 hat in der Sammlung H. D. Seymour als ein Werk von Quentin
Massys gesehen »a frightful old woman; half-length figure larger than life,
painted with fearful truth in his later brown flesh tones. Greatly resembling
a caricature of a similar kind drawn by Lionardo da Vinci«. Cohen2 hat diesen
Hinweis nicht übersehen und in berechtigtem Vertrauen zu Waagens Blick
eine Stelle in der Massys-Biographie von Fornenbergh3 damit in Verbindung
gebracht. Zu Aelst hat Fornenbergh gesehen »eenighe ouwboliige Montreuse
Tronyen, Mann en Vrouwen«.
J'Jun ist die furchtbare alteFrau im britischen Kunsthandel vor wenigen Jahren auf-
getaucht (Abb. 1). Es zeigt sich, daß Waagen in allen Punkten richtig geurteilt hat.
Auch der Hinweis auf Lionardo ist zutreffend. In den »Karikaturen«, die wir von
Lionardo und von seinen Nachahmern kennen, kommt dieser ausbündig garstige
Frauenkopf des öfteren vor, namentlich in Hollars Radierungen, die auf vermeint-
liche Lionardo-Zeichnungen zurückgehen. Wir können mit einiger Sicherheit das
Blatt in der Nachbildung Hollars zeigen, das Massys benutzt hat, nämlich das
Greisenpaar mit dem Mann in Profil nach rechts und demWeibe links (Abb. 5).
Auch den Männerkopf hat Massys verwendet. Der vielfach falsch gedeutete
Kopf mit der Signatur des Niederländers und dem Datum 1515 im Musde
Andre Jacquemart zu Paris scheint eine Variante jener Lionardo-Karikatur zu
sein, ist kein Porträt, nicht Cosmo de’Medici, vielmehr ein Glied aus der Reihe
der monströsen Köpfe, nach der Gestaltungsabsicht mit der Frau aus britischem
Privatbesitz auf ein und derselben Stufe (Abb. 2).
1 Art Treasures in Gr. Britain II, S. 243 / 2 S. 76 seiner Studien.
" Den Antwerpschen Protheus . . . (1658).
1 Der Cicerone, Jahrg. XIX, Heft 1
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