Abb.i. Henry Labrouste. Öffentl.Lesesaal derBibliothequeSt. Genevieve, Paris. 1843
Das entscheidend vorstoßende Werk des Hauptes der »ecole rationaliste«. Sichtbarmachung
und Verwendung des Eisens als Baumaterial. Verbindung der eisernen Gurten mit guß-
eisernen Säulen, Ziegel und Stein
ZUR SITUATION DER FRANZÖSISCHEN
A KUH IT E k T U R von sigfried giedion
Das I <■). Jahrhundert
Es wird in keinem Land soviel gute alte Möbel geben wie in Frankreich. Die
Königstile leben. Die Warenhäuser ziehen den Vorteil daraus und: — die
Acadeinie des beaux-arts. Die Warenhäuser fabrizieren ungehemmt ihre breit-
schläfrigen Louis-Seize-Betten weiter. Die Academie des beaux-arts ebenso un-
gehemmt ihre »Künstlerarchitekten«. Beide verstopfen die gesunden Sensorien
des Landes.
Aber man lasse sich durch die falsche Firnisschicht, die die Bauten Frank-
reichs überzuckert, nicht täuschen. Frankreich verfügt auch über die elegan-
testen Eisenbetonkonstrukteure.
In der Malerei und Literatur des 19. Jahrhunderts liegt die Bolle Frankreichs
fest. Keineswegs gilt das mit gleicher Deutlichkeit für die Architektur. Die
akademischen Überkrustungen tragen die Schuld. Sie blenden alle formal ge-
schulten Gemüter. Wenn die neue Architektur einen weiter überschaubaren
Weg zurückgelegt haben wrird, mag es deutlich werden: Alle akademischen
Überkrustungen vermochten die konstruktive Seele der französischen Archi-
tektur nicht zu ersticken!
In der Geschichte des Konstruktivismus im 19. Jahrhundert fällt Frankreich
die erste Rolle zu. Der Tour Eiffel von 1889 ist nur die letzte Stufe vor-
ahnender Ingenieurarchitekten: Labrouste-Baltard-Eiffel. Er ist keineswegs
eine zufällige Erscheinung.
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