Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0145
DOI issue:
Heft 4
DOI article:Rundschau
DOI Page / Citation link: https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0145
RUNDSCHAU
BERLINER AUSSTELLUNGEN
George Grosz stellt bei Flechtbeim Ge-
mälde aus. Es ist ganz eigentümlich, wie stark
die für das Publikum radikalsten Künstler sich
mit der Tradition verbunden fühlen. Spricht
man mit Relling, so weist er einem nach, daß
er die Probleme des Giovanni da Rologna wei-
tertreibe, unterhält man sich mit Pechstein,
so spricht er von der Holzschnittkunst der al-
ten Meister vor Dürer, fragt man George
Grosz, so antwortet er mit Breughel und Ho-
garth. Die eigene Zeit zu schildern, wie es
jene getan, ihr den Spiegel vorzuhalten, Sym-
bole für sie aufzustellen, dies ist nach seiner
Meinung die ihm gewordene Aufgabe. Damit
fällt die neuerdings verbreitete Ansicht schon
in sich zusammen, der Künstler habe sich ge-
wandelt, sich beruhigt, mache nur noch Por-
träts. — Zwei Linien laufen in seinem Schaf-
fen nebeneinander, die der Naturbewälligung,
des intensiven Naturstudiums und die des Er-
zählens. Aber im Grunde ist das Bildnismalen
doch immer nur Mittel, nur Vorstudie für das
Aufrollen des großen Zeitgemäldes. Der
Zwang zum Schildern ist Grosz eingeboren.
Ein kulturreformatorischer Trieb kommt hin-
zu. Es genügt nicht, die Welt der Erscheinun-
gen abzumalen, wenn auch noch so gut, das
Leben in seiner Fülle einzufangen, der Künst-
ler fühlt sich als Prediger, der die Dinge dop-
pelt unterstrichen gegeneinander setzt, und
der im Grunde ethisch wirken möchte. Zwei-
fellos entstehen hieraus Konflikte. Der so-
ziale Reformator ist im Grunde Künstler, und
George Grosz Bildnis der Mutter. 1925
Ausgestellt in der Galerie Flechtheim, Berlin
9 Der Cicerone, Jahrg. XIX, Heft 4
125
BERLINER AUSSTELLUNGEN
George Grosz stellt bei Flechtbeim Ge-
mälde aus. Es ist ganz eigentümlich, wie stark
die für das Publikum radikalsten Künstler sich
mit der Tradition verbunden fühlen. Spricht
man mit Relling, so weist er einem nach, daß
er die Probleme des Giovanni da Rologna wei-
tertreibe, unterhält man sich mit Pechstein,
so spricht er von der Holzschnittkunst der al-
ten Meister vor Dürer, fragt man George
Grosz, so antwortet er mit Breughel und Ho-
garth. Die eigene Zeit zu schildern, wie es
jene getan, ihr den Spiegel vorzuhalten, Sym-
bole für sie aufzustellen, dies ist nach seiner
Meinung die ihm gewordene Aufgabe. Damit
fällt die neuerdings verbreitete Ansicht schon
in sich zusammen, der Künstler habe sich ge-
wandelt, sich beruhigt, mache nur noch Por-
träts. — Zwei Linien laufen in seinem Schaf-
fen nebeneinander, die der Naturbewälligung,
des intensiven Naturstudiums und die des Er-
zählens. Aber im Grunde ist das Bildnismalen
doch immer nur Mittel, nur Vorstudie für das
Aufrollen des großen Zeitgemäldes. Der
Zwang zum Schildern ist Grosz eingeboren.
Ein kulturreformatorischer Trieb kommt hin-
zu. Es genügt nicht, die Welt der Erscheinun-
gen abzumalen, wenn auch noch so gut, das
Leben in seiner Fülle einzufangen, der Künst-
ler fühlt sich als Prediger, der die Dinge dop-
pelt unterstrichen gegeneinander setzt, und
der im Grunde ethisch wirken möchte. Zwei-
fellos entstehen hieraus Konflikte. Der so-
ziale Reformator ist im Grunde Künstler, und
George Grosz Bildnis der Mutter. 1925
Ausgestellt in der Galerie Flechtheim, Berlin
9 Der Cicerone, Jahrg. XIX, Heft 4
125