RUNDSCHAU
DIE SCHAFFENDE FRAU IN DER KUNST
In der neuentstandenen Kunsthandlung J o -
hannesHinrichsenim Berliner Künstler-
haus in der Bellevuestraße, das durch die groß-
artige Schau moderner Franzosen durch Thann-
hauser unlängst eine neue Weihe erhielt, ist
eine kleine Ausstellung „Die Schaffende Frau
in der Bildenden Kunst“ zu sehen. Es haben
mitgewirkt u. a. Lulu Albert-Lasard, Charlotte
Berend, Meta Cohn-Hendel, Dora Hitz, Paula
Becker-Modersohn, Maria Slavona, Augusta v.
Zitzewitz, Käthe Kollwitz, Eis Hildebrandt,
Franziska Bruck, Emy Roeder, Mil ly Steger,
Renee Sintenis.
In seiner „.Beobachtung über das Schöne und
Erhabene“ hat Kant 1764 gesagt: „Das schöne
Geschlecht hat ebensowohl Verstand als das
männliche; nur ist es ein schöner Verstand,
der unserige soll ein tiefer Verstand sein.“
Dieser Satz hat lange als ein Dogma gegolten.
Die Meinung ist verbreitet, daß Frauen am
besten liebenswürdige, elegante, geschmack-
volle Kunst machen. Das kommt wohl aus
dem lang geübten Dilettantentum der jungen
Mädchen her, das sich seit Jahrhunderten mit
Blumen und Porzellanmalerei und leichtem
Aquarell beschäftigte. Tatsache ist, daß die
Dinge heute ganz anders liegen. Die elegante
Kostümkunst, das Entwerfen von Modellen
für Frauenkleidung hohen und internationa-
len Stils für die Bühne, Revuen usw. liegt
nicht in den Händen von Frauen, sondern von
Männern. Nicht anders ist cs mit der Dekora-
tion von Schaufenstern, mit der Bemalung
von Porzellan, mit der Inszenierung von Biih<
nenstücken. Das Kunstgewerbe der Gegenwart
ist mit geringen Ausnahmen ein Produkt von
Männern, nicht, wie man nach der Kantschen
Anschauung glauben sollte, von Frauen.
Sehen wir uns die weiblichen Vertreter der
neueren Kunst genauer an, so bemerken wir,
daß sie im Gegenteil nicht eine Note von
Leichtigkeit, von Grazie, von Eleganz, von
Weltlichkeit verbindet, sondern von Schwere,
von Erdigkeit, von Weltenabkehr. Käthe Koll-
witz, Emy Roeder, Renee Sintenis, Char-
lotte Berend, Milly Steger, Maria Slavona,
Dora Hitz, Paula Becker-Modersohn haben alle
gemeinsam eine ausgesprochene Mütterlich-
keit, eine primitive Kreaturnähe, eine Rich-
tung auf das Ewige, Schlechthingültige. Im-
mer wieder hat Käthe Kollwitz Mütter und
Kinder dargestellt, das Leiden derer, die ge-
boren hat um das Fleisch, das sich von ihr
getrennt; Emy Roeder hat den höchsten
Punkt in ihrem Schaffen in der Figur einer
Schwangeren erreicht, Paula Becker-Moder-
sohn das Beste in ihren Kinderbildnissen ge-
geben und in großäugigen Köpfen von geseg-
neten Müttern. Landschaften von.großem Ni-
veau sieht man nicht viel von Frauen. Hier
fehlt die Sehnsucht nach dem Aufgehen im
All, nach dem Kosmos. Denn die Frau ist ja
selbst ein Kosmos, ein Stück des Alls, in dem
aufzugehen die Sehnsucht des Mannes ist.
Aber wieder Blumen, Stilleben sind vorzüglich
von Frauen gemacht worden mit derselben
Liebe, mit demselben Eingehen auf das Ein-
zelne, auf das Kreatürliche, das zu beobach-
ten ist bei ihrer Schilderung von Kindern.
Die Blume ist für die Frau auch eine Art von
hilflosem Wesen, das sie mit ihrer Zärtlich-
keit umfaßt. Aus dieser Erkenntnis heraus ist
die Tierplastik der Renee Sintenis zu verstehen.
Niemals vor ihr ist die Simplizität, die Hilf-
losigkeit des stummen Geschöpfes so vollen-
det dargestellt worden. Auf der anderen Seite
fehlt aber der Frau durchaus die Fähigkeit,
das „Charakteristische“ herauszuholen, also
Porträtist von großen Maßen zu werden. liier
hätte es jener scharfäugigen Unbarmherzig-
keit bedurft, die eben nicht im Wesen der
schöpferischen Frau liegen kann, insofern ihr
Schöpferisches ihr gesteigertes Menschliche
ist. Verfolgt man diesen Gedanken noch wei-
ter, so wird es klar, daß es unmöglich eine
hervorragende Karikaturistin geben kann, daß
aber hinwiederum die Frau als Illustratorin
Ausgezeichnetes zu leisten in der Lage ist, da
sie vor allem die Möglichkeit des Sichhinein-
denkens in den Stoff besitzt, des träumenden
Neuschöpfens einer dichterischen Materie in
einer anderen Form.
Alle diese Dinge kann man in der Ausstellung
bei Hinrichsen mit Muße beobachten, und
man wird wünschen, einmal eine große, um-
fassende Schau über die künstlerische Arbeit
der Frau kennenzulernen seit der Renaissance,
seit Judith Leyster, Rosalba Carriera. Kuhn
KÖLN
In der richtigen Erkenntnis, daß nur Veran-
staltungen großen Stils von wirklichem Nut-
zen sind, hat die Kunsthandlung Abels eine
Ausstellung von Bildern und Zeichnungen
Anselm Feuerbachs organisiert. Sie verstand
es, ausgezeichneten, teilweise unbekannten
Privat- und Museumsbesitz zu gewinnen. Das
Bild, das Abels von Feuerbach gibt und das
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DIE SCHAFFENDE FRAU IN DER KUNST
In der neuentstandenen Kunsthandlung J o -
hannesHinrichsenim Berliner Künstler-
haus in der Bellevuestraße, das durch die groß-
artige Schau moderner Franzosen durch Thann-
hauser unlängst eine neue Weihe erhielt, ist
eine kleine Ausstellung „Die Schaffende Frau
in der Bildenden Kunst“ zu sehen. Es haben
mitgewirkt u. a. Lulu Albert-Lasard, Charlotte
Berend, Meta Cohn-Hendel, Dora Hitz, Paula
Becker-Modersohn, Maria Slavona, Augusta v.
Zitzewitz, Käthe Kollwitz, Eis Hildebrandt,
Franziska Bruck, Emy Roeder, Mil ly Steger,
Renee Sintenis.
In seiner „.Beobachtung über das Schöne und
Erhabene“ hat Kant 1764 gesagt: „Das schöne
Geschlecht hat ebensowohl Verstand als das
männliche; nur ist es ein schöner Verstand,
der unserige soll ein tiefer Verstand sein.“
Dieser Satz hat lange als ein Dogma gegolten.
Die Meinung ist verbreitet, daß Frauen am
besten liebenswürdige, elegante, geschmack-
volle Kunst machen. Das kommt wohl aus
dem lang geübten Dilettantentum der jungen
Mädchen her, das sich seit Jahrhunderten mit
Blumen und Porzellanmalerei und leichtem
Aquarell beschäftigte. Tatsache ist, daß die
Dinge heute ganz anders liegen. Die elegante
Kostümkunst, das Entwerfen von Modellen
für Frauenkleidung hohen und internationa-
len Stils für die Bühne, Revuen usw. liegt
nicht in den Händen von Frauen, sondern von
Männern. Nicht anders ist cs mit der Dekora-
tion von Schaufenstern, mit der Bemalung
von Porzellan, mit der Inszenierung von Biih<
nenstücken. Das Kunstgewerbe der Gegenwart
ist mit geringen Ausnahmen ein Produkt von
Männern, nicht, wie man nach der Kantschen
Anschauung glauben sollte, von Frauen.
Sehen wir uns die weiblichen Vertreter der
neueren Kunst genauer an, so bemerken wir,
daß sie im Gegenteil nicht eine Note von
Leichtigkeit, von Grazie, von Eleganz, von
Weltlichkeit verbindet, sondern von Schwere,
von Erdigkeit, von Weltenabkehr. Käthe Koll-
witz, Emy Roeder, Renee Sintenis, Char-
lotte Berend, Milly Steger, Maria Slavona,
Dora Hitz, Paula Becker-Modersohn haben alle
gemeinsam eine ausgesprochene Mütterlich-
keit, eine primitive Kreaturnähe, eine Rich-
tung auf das Ewige, Schlechthingültige. Im-
mer wieder hat Käthe Kollwitz Mütter und
Kinder dargestellt, das Leiden derer, die ge-
boren hat um das Fleisch, das sich von ihr
getrennt; Emy Roeder hat den höchsten
Punkt in ihrem Schaffen in der Figur einer
Schwangeren erreicht, Paula Becker-Moder-
sohn das Beste in ihren Kinderbildnissen ge-
geben und in großäugigen Köpfen von geseg-
neten Müttern. Landschaften von.großem Ni-
veau sieht man nicht viel von Frauen. Hier
fehlt die Sehnsucht nach dem Aufgehen im
All, nach dem Kosmos. Denn die Frau ist ja
selbst ein Kosmos, ein Stück des Alls, in dem
aufzugehen die Sehnsucht des Mannes ist.
Aber wieder Blumen, Stilleben sind vorzüglich
von Frauen gemacht worden mit derselben
Liebe, mit demselben Eingehen auf das Ein-
zelne, auf das Kreatürliche, das zu beobach-
ten ist bei ihrer Schilderung von Kindern.
Die Blume ist für die Frau auch eine Art von
hilflosem Wesen, das sie mit ihrer Zärtlich-
keit umfaßt. Aus dieser Erkenntnis heraus ist
die Tierplastik der Renee Sintenis zu verstehen.
Niemals vor ihr ist die Simplizität, die Hilf-
losigkeit des stummen Geschöpfes so vollen-
det dargestellt worden. Auf der anderen Seite
fehlt aber der Frau durchaus die Fähigkeit,
das „Charakteristische“ herauszuholen, also
Porträtist von großen Maßen zu werden. liier
hätte es jener scharfäugigen Unbarmherzig-
keit bedurft, die eben nicht im Wesen der
schöpferischen Frau liegen kann, insofern ihr
Schöpferisches ihr gesteigertes Menschliche
ist. Verfolgt man diesen Gedanken noch wei-
ter, so wird es klar, daß es unmöglich eine
hervorragende Karikaturistin geben kann, daß
aber hinwiederum die Frau als Illustratorin
Ausgezeichnetes zu leisten in der Lage ist, da
sie vor allem die Möglichkeit des Sichhinein-
denkens in den Stoff besitzt, des träumenden
Neuschöpfens einer dichterischen Materie in
einer anderen Form.
Alle diese Dinge kann man in der Ausstellung
bei Hinrichsen mit Muße beobachten, und
man wird wünschen, einmal eine große, um-
fassende Schau über die künstlerische Arbeit
der Frau kennenzulernen seit der Renaissance,
seit Judith Leyster, Rosalba Carriera. Kuhn
KÖLN
In der richtigen Erkenntnis, daß nur Veran-
staltungen großen Stils von wirklichem Nut-
zen sind, hat die Kunsthandlung Abels eine
Ausstellung von Bildern und Zeichnungen
Anselm Feuerbachs organisiert. Sie verstand
es, ausgezeichneten, teilweise unbekannten
Privat- und Museumsbesitz zu gewinnen. Das
Bild, das Abels von Feuerbach gibt und das
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