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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Giedion, Sigfried: Zur Situation der französischen Architektur, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0038

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Bereits 1794/95 systematisiert Frankreich Mathematik, Mechanik, Architektur
in der »Ecole polytechnique«, dem Vorbild der späteren technischen Hoch-
schulen. Napoleon macht daraus allerdings hauptsächlich eine Schule für seine
Genieoffiziere.
Der Ingenieur Polonceau erfindet 1857 den nach ihm benannten Polonceau-
Binder aus eisernen Streben, dessen Weiterbildung die weitgespannten Eisen-
bahnhallen ermöglichte. Statische Berechnung bestimmt seine Form.
Diese Erkenntnisse verdichten sich, finden den Weg; in die Architektur. Ihr
/ o
Ausdruck: die »dcole rationnaliste«. Sie existiert seit dem zweiten Viertel
des 19. Jahrhunderts. Sie will bereits den Bau aus dem Bedürfnis, dem Zweck
heraus bilden. Sie bedient sich des Eisens als Konstruktionsmaterial. Henry
Labrouste, ihr eigentliches Haupt, hat den Mut, zum erstenmal das Eisen als
sichtbares Bauelement in Verbindung mit Ziegel und Stein zu verwenden.
Dies geschieht in dem Foyer und dem Lesesaal der Bibliothek Sainte-Genevieve,
Paris, 1845 (Abb. 1).
Das Eisen in einem Monumentalbau offen, ohne Einbettung, als Träger zu be-
nützen, bedeutet ein größeres Wagnis als die nackten Ziegelwände Lloyd
Wrights im Innern der Verwaltunsgebäude der Larkinfabriken (Buffalo, U. S. A.
1905) oder Max Tauts rohe Betonpfeiler in der Arbeiterbank des deutschen
Gewerkschaftshauses (Berlin, tgig)1 * * * V.
Victor Baltard baut die großen Pariser Halles centrales aus Eisen in Ver-
bindung mit Ziegel und Stein (seit 1852). Die heute noch in Verwendung
stehenden Hallen hätten auf Befehl des Conseil municipal aus acht isolierten

1 Wenigstens in Anm. sei bemerkt, daß die Rolle Frankreichs oder — wie man in
diesem Falle besser sagen würde —von Paris auch auf dem Gebiet der Stadterweiterung
und der Lösung des Verkehrs unter dem Seinepräfekten Haußmann im 19. Jahrhundert
an erster Stelle stand hinsichtlich der großzügigen Demolierung alter Quartiere, der
Aufsaugung des Vorstadtgebiets, des Durchstoßens des Boulevard Sebastopole im Stadt-
innern, der Errichtung der sog. äußeren Boulevards und der Eingliederung großer Park-
flächen auf damals noch freiem
Feld. Es muß dabei des eigent-
lichen Ausführers gedacht wer-
den, J. Ch. A. Alphand, der —
durchaus zukünftig — Bauinge-
nieur, Städtebauer und Garten-
architekt in einer Person war.
Haußmann berief ihn 1854 —
kurz nach dem eigenen Regie-
rungsantritt — von den Hafen-
bauten in Bordeaux. Alphand
legte die fünf großen Parks an,
durch die Paris heute noch at-
met und erwies sich ebenso
sicher in der Tracierung und dem
Percement neuer Verkehrswege.
Heute sind Erscheinungen wie
Alphand noch völlig zugunsten
der Monumentalarchitekten —
etwa Ch. Garnier, dem Erbauer
der Pariser Oper — in völliger
V ergeSsenheit.
 
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