Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0041
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Heft 1
DOI article:Giedion, Sigfried: Zur Situation der französischen Architektur, [1]
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Abb. 5. A. u. G. Perret Theater »Champs Elysees«. Blick in das Foyer
Die Aufnahme, die uns zur Verfügung steht, vermindert den natürlichen Ein-
druck durch den Irrtum des Photographen, die Stiege mit ihren Jugendstiliaden
zu betonen. Das wesentliche an diesem Foyer sind die glatt durchgehenden
Eisenbetonsäulen, die Enthaltsamkeit von jeder Marmorinkrustation, vorab aber
die Trägerfelder der Decke, über denen das kleine Theater aufgehängt ist. Trotz
der monumentalen Stiege jener Ort des Baues, an dem sich das innere Gefüge,
in Ausdruck verwandelt, durchdrückt: Säulen, Träger, verbindende Fläche
Peter Behrens hatte es leichter. Wie Racine, Mobere, Descartes noch lebendig
sind im Volke, so lebt im französischen Architekten der klassische Kanon weiter.
Die deutsche Tradition ist nicht so stark und nicht so starr wie die französische.
Die berühmten Nutzbauten des Peter Behrens sind unabhängiger von der de-
korativen Manie des 19. Jahrhunderts.
Aber auf den Schultern von Perret baut die letzte Generation unmittelbar
weiter, denn in ihm leben — neben der Akademie — die französischen Kon-
strukteure des ] 9. Jahrhunderts. Seine Funktion liegt nicht in der ästheti-
schen Formulierung, sondern in der Herrschaft über den Gesamtorganismus
des Baus.
Perret ist einer jener Architekten, deren Bedeutung sehr zusammenschrumpfte,
wollte man sie allein formal fassen. Jeder halbwüchsige Kunstgewerbler könnte
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