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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 5
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Kuhn, Alfred: Edvard Munch und der Geist seiner Zeit: anlässlich der grossen Munch-Ausstellung der Nationalgalerie zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0162

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Edvard Munch Asche. 1895
Oslo, Museum

hellhäutigen Söhne des Nordens schlagen sich zu van Gogh und Munch. Vor-
wärtsgetrieben von der Unruhe ihres faustischens Herzens, schreien sie ihr Weh
in die Welt, gefoltert von den Gesichten, die sie nächtlich umdrängen, von
den schreckhaften Visionen ihrer finsteren Wälder, von der lähmenden Angst
endloser Winternächte formen sie mit bebenden Händen die Symbole ihres
Leids. Nicht Werke von heiterem Gleichmaß, gewachsen aus in sich ruhen-
dem gefestigten Leben, glücklich sich breitend unter einem strahlenden Him-
mel, entstehen, sondern Spiegelungen zerquälter Seelen, hin und her geworfen
zwischen Begierde und Ekel, zwischen Jubel und Zerknirschung, zwischen
Liebe und Haß, Sklaven des erdigen Leibes, den zu überwinden die schmerz-
volle Sehnsucht fruchtlos sich müht.
Riesengroß und schweigsam, einer Sphinx vergleichbar, steht Munch an der
Schwelle der neueren Zeit, sie einleitend und ihr seinen Stempel gebend. Ihm
nahe die Strindberg und Dostojewski, nordischöstliche Geister, die ein Menschen-
alter hindurch halb Europa regierten. Tief klafft die geistige Kluft nach dem
Westen. Dort das Maß, die Gesittung, hier das Grenzenlose, das Menschheit-
liche. Dort das Kunstwerk als Ziel, hier der Mensch und im Menschen der
Gott. Gibt es eine Brücke? Niemals. Euphorion mußte vergehen, der Sohn
Faustens und der Helena, nordischen Ausdrucksdrangs und klassischer Formen-
bändigung.


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