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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 5
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Kuhn, Alfred: Edvard Munch und der Geist seiner Zeit: anlässlich der grossen Munch-Ausstellung der Nationalgalerie zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0164

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Edvard Munch. Studie zu der Gespensteraufführung in den Berliner Kamm erspielen. 1906
einanderdrängen. — Madonna. Ein Weib im letzten Moment der Hingabe
mit dem Glorienschein der kommenden Mutterschaft. — Das Leid der Liebe.
Ein Mann, in dessen Nacken sich ein Vampir verbeißt. — Eifersucht. Aus dem
Rahmen wächst im Vordergrund ein starrender Männerkopf heraus. Hinter
ihm wogt die Landschaft, Meer, Himmel und Strand und ein paar Menschen
im Fernen. — Verzweiflung. »Auf einer Brücke oder so etwas ähnlichem, es
ist ja auch vollständig gleichgültig, was es darstellt, steht ein Fabeltier mit weit
aufgesperrtem Rachen. Der Held der Liebe existiert wohl nicht mehr: das
Geschlecht ist aus ihm gekrochen und nun schreit es in die ganze Natur
hinaus nach neuer Offenbarung, in der es von neuem dieselbe Qual, den-
selben Kampf durchleben könnte. Es ist etwas furchtbar Makrokosmisches in
diesem Bild, es ist das Schlußtableau eines furchtbaren Kampfes zwischen Ge-
hirn und Geschlecht, aus dem das letztere siegreich hervorgegangen ist«
(Przybyscewski).
Nicht mehr die objektive Natur war dargestellt, gesehen durch ein individu-
elles Temperament, sondern ein individuelles Temperament sprach von sich
selbst, wobei die objektive Natur schemenhaft zerfloß, bis zur Unkenntlichkeit
sich veränderte. Nachdem eben noch durch die Impressionisten die Welt der
Erscheinungen, die Gegebenheiten der Natur als vor allem maßgebend er-
klärt worden waren, gegenüber subjektiven »poetischen« Konzeptionen des In-
dividuums, wurde auf einmal mit Leidenschaft das Vorrecht des Subjektiven
betont, durch dessen Existenz die objektive Natur überhaupt erst bewußt
werde.
Die genaue Parallele ist in Ibsen und Strindberg vorhanden. Ibsens Interesse
galt der Kollektivität der Gesellschaft, die sich aus objektiv wahrnehmbaren
naturgeschichtlich beschreibbaren, durch charakteristische Merkmale unter-
schiedene Glieder zusammensetzt. Was er zeigte, war das Leben dieser Ge-

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