Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927
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Heft 7
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Eduard Bischoff Dorf am Morgen
Aus der Ausstellung: Ostpreußentunst in der deutschen Kunst Gemeinschaft. Berlin Schloß.
entstanden war. Das war die eine Gefahr; die
zweite, größere drohte vom Vierungsturm im
Westen. Durch die Turmerneuerung unter
Neumann im 18. Jahrhundert, wobei das go-
tische Geschoß weggelassen wurde, hatten dio
Drucklinien eine völlige Veränderung erfah-
ren. Die Gurtbögen der Vierung trugen die
Last nicht mehr. Im Westbau klafften Risse
von i5 bis 20 cm. Nicht nur Sorgfalt, sondern
überlegtes Nacheinander der Sicherungen war
von entscheidender Wichtigkeit. Die Funda-
mente des Langhauses wurden Schritt für
Schritt erneuert, indem um die alten Funda-
mente der Pfeiler neue große Betonblöcke ge-
legt wurden. Die Risse und Löcher in den Ge-
wölben wurden von fahrbaren Gerüsten aus
mittels Betoneinspritzverfahren gedichtet. Die
Zwickel in der Westkuppel schließlich wurden
Stein um Stein ausgestemmt, dem Druck wurde
durch eingesetzte Eisen begegnet, bis dann
große Betonklötze eingefügt waren, deren Ei-
senverklammerungen in die nächsten Blöcke
durchgreifend einen unzerreißbaren Zusam-
menhalt gewährleisteten. Durch die moderne
Technik also war in der Vierung an der Über-
gangsstelle des quadratischen Raumes zum
achteckigen Raum eine neue, unserer Zeit ent-
sprechende Ausdrucksform geschaffen. Die
mittelalterliche Raumform war hier nicht zu
retten gewesen. Dem Baugeist unserer Zeit da-
her zu seinem Recht zu verhelfen, wäre nicht
nur erlaubt, es wäre Pflicht gewesen. Statt des-
sen hat eine romantisch-sentimentale Denk-
malpflege nun wieder die konstruktiv nicht
nötigen „romanischen“ Rundbogenglieder, in
Beton nachgeahmt, dort eingesetzt.
Am Äußeren des Westturms erforderten die
Verwitterungen einen gründlichen Ersatz der
äußeren Steinschichten. Der malerische Reiz
des Neumannschen Turmes mit seinem farbi-
gen Wechsel von rotem Sandstein und Tuff
ist verschwunden. Die geringere Haltbarkeit
des Tuffs führte zu seiner völligen Ersetzung
durch roten Mainsandstein, wenigstens an der
äußeren Schale, während im Kern der Tuff
sitzenblieh. Vorspringende Gesimse wurden
durch Kupfer abgedeckt, damit aber auch von
der Luft abgesperrt. Dieser Teil der Restaura-
tion erfuhr in der Diskussion eine herbe Kri-
tik durch den Kölner Dombaumeister Hertel
und den Direktor der holländischen Denkmal-
pflege Kalf.
Eine weitere fragwürdige Maßnahme ist die
Tieferlegung des Fußbodens um (io cm, so
daß die Pfeilerfüße nun wie auf Kothurnen
stehen. Gewiß ist, daß der Fußboden ur-
sprünglich tiefer lag und daß er erst allmäh-
lich nach den vielen Bränden und Erneuerun-
gen die letzte Niveauhöhe, die der Straßen-
und Plalzumgebung entsprach, erreichte. Aber
nach dem Urteil der besten Sachkenner lag
der ursprüngliche Fußboden nicht tiefer als
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