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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 9
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Biermann, Georg: Rubens' Bildnis des Lizentiaten Hendrik van Thulden
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0300

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wie immer man das riesenhafte Opus eines Rubens im einzelnen auch bewerten
mag, das Eine ist sicher: Nach van Eyck, Rogier van der Weyden und ihren
Zeitgenossen hat es auf flämischem Boden keine Bildnismaler von ähnlicher
innerer Wahrhaftigkeit mehr gegeben wie diesen einen: Peter Paul Rubens.
Ganz besonders, wenn es sich um männliche Bildnisse gehandelt hat.
Da fühlt man nicht nur den Pulsschlag der eigenen Kraft und mit ihr den
Geist seines Zeitalters, nein, es ist neben aller malerischen Delikatesse, die
diese Bildnisse außerdem haben, in erster Linie das Geistige schlechthin, das
so sehr ergreift. Auf der letzten Londoner Ausstellung flämisch-belgischer Kunst
hat das eine Porträt des Bischofs Yrsselius mehr als andere Werke des Meisters
die Öffentlichkeit erregt und es ist durchaus kein Zufall, daß sich gerade dies
berühmte Bildnis des Kopenhagener Museums nach Anlage und innerer Kon-
zeption so sehr mit dem Bilde berührt, das hier erstmalig der Öffentlichkeit
vor gestellt wird.
Ob aber Rubens Kirchenfürsten wie den großartigen Erzbischof Trieste von
Gent (ehemals in der Sammlung M. von Nemes) oder nur die bürgerlich-
kirchlichen kleineren Grade, die meist seine Freunde waren, malte, immer sind
diese Bildnisse Originalwerke des Meisters, bei denen weder Schüler noch Ge-
sellen beteiligt waren. Diese Bildnisse aber geben nicht nur Zeitgeschichte
schlechthin, sie sind malerisch mit das Stärkste, was uns der Künstler hinter-
lassen hat.
Eines dieser überzeugenden Beispiele Rubensscher Porträtkunst ist ein kürzlich
aufgetauchtes Bildnis jenes selben van Thulden, dessen Porträt seit langem eine
der Perlen der Münchner Pinakothek ist. Beide Bilder von der gleichen Hand,
die einmal den Theologen im Alltagshabit (München), dann aber, ungleich fest-
licher, im weißen Ornat, bei seinem geistlichen Dienste, festgehalten hat. Das
ist in der Tat keine alltägliche Überraschung. Zumal man annehmen darf, daß
beide Bilder sogar im selben Jahr entstanden sind. Interessant, was der ausge-
zeichnete Rubens-Kenner Dr. L. Burchard über das wiederentdeckte Bild mit-
zuteilen weiß: Seinen Feststellungen nach befand sich das Porträt in neuerer
Zeit in Milton Abbey. Max Rooses hatte es selbst nie gesehen, wohl aber in
sein Oeuvre-Verzeichnis (unter Nr. 1072) aufgenommen. Der Dargestellte ist
der Lizentiat Hendrik van Thulden, der seit 1610 Pastor an der St. Georgs-
kirche in Antwerpen war und im Herbst 1617 im Alter von 57 Jahren starb.
In dieser Kirche hat das Bild lange Zeit gehangen. Noch 1748 ist es dort fest-
stellbar (De Wit, De Kerken van Antwerpen). Burchard bemerkt weiter, daß
die auf dem Einband des Gebetbuches verzeichnete Zahl von 1607 vermutlich
das Jahr bedeute, in dem Hendrik van Thulden die Priesterweihe erhielt.
Diese historisch nachweisbaren Daten sind an sich nicht nebensächlich für die
Richtigkeit der Zuschreibung, ganz überzeugend aber ist gerade diesmal die
originale Kraft der Rubensschen Handschrift, die hier dem Beschauer entgegen-
tritt. Denn dieses neue van Thulden-Porträt ist nicht nur groß seinem mensch-
lich-geistigen Aufbau nach, sondern malerisch von einer Kühnheit sonder-
gleichen. Das Weiß des Priestermantels steht beherrschend zwischen dem
doppelt abgestimmten Rot des Vorhangs und des Tisches. Das Ganze ein
genialer Wurf und von einer inneren Wahrheit und Fülle, die sich dem Be-
schauer unvergeßlich einprägt.
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