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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 10
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Bethe, Hellmuth: Ein unbekannter norddeutscher Schnitzaltar des 14. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0331

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zeigen ganz dieselben Proportionen, denselben etwas müden Gesichtsausdruck
und vor allen dieselben lyrisch zarten Farben wie die Figuren auf kölnischen
Tafelbildern des mittleren 14. Jahrhunderts.
Aus einer völlig anderen Quelle ist dagegen der Stil der farbenkräftigen Bilder
auf den Außenseiten der Flügel abzuleiten. Er kommt aus dem Südosten, wo
um die Mitte des 14. Jahrhunderts in Prag am Hofe Karls IV. ein neues
Zentrum deutscher Kunst entstanden war. Jedes einzelne Bild verrät diese
Herkunft. Denn die Art, in der hier italienische Trecentomotive verwertet sind,
besonders die Raumdarstellung und die Form der Architekturen, ist typisch
böhmisch. Auch bei diesen Bildern, von denen hier der 12 jährige Jesus im
Tempel wiedergegeben ist (Abb. 6), — da^ Bild ist 102 cm hoch und 72 cm
breit — läßt sich auf nichts unmittelbar Vergleichbares hin weisen. Zunächst
könnte man vielleicht an einen gewissen Zusammenhang mit den Malereien
des Grabower Altars denken, allein die fremden Anregungen sind da doch
wesentlich anders und ungleich viel selbständiger verarbeitet.
Wir müssen bei dem Rossower Altar also drei Hände unterscheiden: den Meister
der Skulpturen, den Meister der Flügelinnenseiten — denn mit dem Schrein-
plastiker kann dieser nicht identisch sein — und den Meister der Flügel-
außenseiten.
Wann und wo ist nun der Altar entstanden? Nach dem Aufbau, dem Stil der
Skulpturen, der Malereien auf den Innenseiten der Flügel und den architektoni-
schen Formen ist er um 1350 zu datieren, aber die Bilder auf den Außenseiten der
Flügel sind erst um 1400 möglich. Man wird daher eine zeitliche Trennung
zwischen Altarinneren und Altaräußeren vornehmen müssen, ähnlich wie man
das bei den Flügeln des Doberaner Hochaltars zwischen den beiden oberen und
der untersten Skulpturenreihe getan hat. Wo der Altar gearbeitet ist, muß einst-
weilen noch eine offene Frage bleiben. Am nächsten liegt es natürlich, an Ham-
burg oder Lübeck zu denken, aber bei dem völligen Fehlen von Vergleichs-
material läßt sich nichts Genaueres darüber sagen. Ebenso ungewiß ist, für
welche Kirche der Altar bestimmt war. Denn daß das kostbare Werk sich nicht
von Anfang an in der bescheidenen Rossower Kirche befunden hat, die kaum
breiter ist als der geöffnete Altar, ist doch wohl so gut wie sicher. Wahrschein-
lich hat er ursprünglich eine der großen Zisterzienserkirchen in der Mark oder
in Mecklenburg geschmückt und ist nach deren Verfall oder Zerstörung (im
17. Jhd.?) dann nach Rossow gekommen. Ein urkundlicher Beweis hierfür ist
nicht zu bringen. (Die alten Akten der Rossower Kirche sind verbrannt.) Aber
die Tatsache, daß die Zisterzienser, die das Land kolonisiert haben, früher als
Bischöfe und Städte Schnitzaltäre in ihren Kirchen aufstellen und daß das
Volutenkreuz im Schrein des Rossower Altars die einzige norddeutsche Parallele
auf dem rechten Flügel des Doberaner Hochaltars findet, gibt der Hypothese
immerhin einige Glaubhaftigkeit.
Bei der Herstellung der Photos, die mit großen Schwierigkeiten verbunden war, hat mich
der Sohn des Rossower Pastors, Herr Heinz Taetow, in liebenswürdigster Weise unter-
stützt. Ich möchte daher nicht verfehlen, ihm auch an dieser Stelle herzlich zu danken.

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