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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 10
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Giedion, Sigfried: Zur Situation der französischen Architektur, 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0333

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Abb. 2. R. Mallet-Stevens Unvollendet gebliebenes Schloß für Poiret

räumlichkeiten. Alles ist nach oben gedrückt. Im ersten Stock: Nur Ansätze
von Repräsentation, aber — zur Größe des Hausaufwandes — verschwindend
gering. Kein Millionär hätte sich das früher bieten lassen. Es ist klar, daß es
keine Speicher gibt. Im Souterrain warten besondere Kammern auf Pelze,
Gemälde, Koffer, Vorräte. Der Speisenaufzug fährt bis aufs Dach; auf das kom-
fortabelst eingerichtete Dach, das wir gesehen haben. Ein ebener Beton-
baldachin, der geschickt an den breiten Kaminzügen aufgehängt ist, schützt das
Tafellinnen vor dem letzten Rußstäubchen! Ein gekacheltes Office daneben.
Dachoffice. Die Herbheit La Corbusiers umgedeutet ins Schlemmerisch —
Elegante. —
Wenn es eines Beweises bedurft hätte, daß heutige Architektur und »reicher«
Stil unvereinbar sind: die Häuser in der Rue Mallet-Stevens würden ihn er-
bringen. Der Historiker hat das merkwürdige Phänomen festzustellen: Zum
erstenmal in der Geschichte wirkt nicht die Schicht mit den größten An-
sprüchen, sondern die Schicht mit den geringsten Ansprüchen als stilbildender
Faktor. Für den ersten Teil der Bewegung — um 1900 — war das mit weißem
Marmor bekleidete Stoclet-Haus, dieser Märchentraum eines Bankiers, den
keine Mittel hemmten, durchaus Träger der Entwicklung, historischer Wert.
Dies aber soll mit Sicherheit gesagt werden: Kein in Luxus und Unbeschränkt-
heit der Mittel erdachter Bau kann heute in der Geschichte des Bauens mehr
Bedeutung erhalten. —
Henry Sau vages Verdienst ist es, das Maison ägradins, das stufenförmig zurück-
weichende Miethaus, in Paris verwirklicht zu haben. Diese stockwerkweise
zurückspringenden Häuser — sie sind dazu noch weiß gekachelt — wirken
wie Lichtquellen in der Straße. Mehr noch als das bereits 1915 gebaute Haus
in der Rue Vavin beim Boulevard Raspail gilt dies für den ganz im Norden
gelegenen Miethausblock der Rue des Amireaux. Bau der Stadt Paris. Billige
Wohnungen.
Da der Block an drei Straßen liegt, konnte der Hohlraum, der sich unter den
zurückspringenden Geschossen bildete, Schwimmhalle werden, anstatt eines
schwarzen Lichthofs. (Abb. 3.) Die schwebende Konstruktions weise eines
 
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