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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 11
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Roh, Franz: Karl Haiders Bildform: (zur Landschaftsmalerei seiner Reifezeit)
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0361

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KARL HAIDERS BILDFORM
(ZUR LANDSCHAFTSMALEREI SEINER REIFEZEIT)
VON FRANZ ROH
T. GESCHICHTLICHE STELLUNG
Die Haiders stellen ein Malergeschlecht dar, das nun schon drei Generationen
hindurch arbeitet. Es liegt hier die schöne, immer seltener gewordene geschicht-
liche Erscheinung familarer Stetigkeit des Schaffensgebietes vor. War solche
Stetigkeit im Mittelalter beinah Regel, war sie im Barock noch häufig, so trat
sie im ig. Jahrhundert spärlicher auf, obgleich auch hier noch Malerfamilien
anzutreffen sind. Nicht nur wirtschaftliche Umschichtungen, auch der sich durch-
setzende Spätindividualismus als geistesgeschichtliche Erscheinung brachte jene
Erblichkeit des Berufes mit all ihren Vorzügen und Hemmnissen beiseite. Mit
familienhafter Stetigkeit verband sich eine landschaftliche. Alle Haiders, wenig
herausgekommen, saßen in München oder dessen Umgebung. Dazu kam ein
Weiteres: die Kunst aller drei Malergenerationen war rückwärts gerichtet, konser-
vativ. Vergegenwärtigt man sich diese Dreiheit von Umständen, so sollte man
meinen, daß die Malerei Karl Haiders (1846—1912) wahrhaft eingebettet war
in verstehende Pflege und Anerkennung. War doch noch ein vierter Umstand
erfüllt, der, wie man oft behauptet, der Umwelt ent gegen komme: genaueste
Sachaufnahme der Natur in diese Malerei.
Als Lehre der Geschichte zeigt sich aber, von den Historikern manchmal noch
übergangen, daß derartig günstige Umstände nichts nützen, wenn individuelle,
der Zeit entlegene Bildmittel und Anschauungsformen hinzutreten. Wenige zeit-
fremde Bildmittel Haiders verursachten sofort, daß dieser Mann — mit einem
Jahreseinkommen von 500 bis 400 Mark sich und seine Familie durchhungern,
mit humoristischen Zeichnungen seines Vaters hausieren mußte, daß er in Aus-
stellungen übergangen oder totgehängt wurde, daß bei seinen Lebzeiten die
Münchner Staatssammluug ihre beiden Bilder in die Dependance abschob, daß
beim Begräbnis dieses seltenen Menschen weder ein Vertreter des bayrischen
Staates noch seiner Vaterstadt München sich zeigte. Nicht ein bayrisches, son-
dern ein internationales Preisgericht schickte ihm 1897 die goldene Medaille,
nicht die Münchner, sondern die Breslauer Universität verlieh dem Einsamen
den Ehrendoktor. Einem Trüppchen Nahestehender ist es zu danken, daß diesem
charakterfesten Manne allergröße Not erspart blieb. Vor allem (hier klingt das
älteste und rührendste Motiv der Geschichte auf) seiner alten, selber armen
Mutter. Sodann seiner ersten Frau und seinem Bruder, wenigen Freunden, vor
allem Aug. Pauly, dem Malertechniker Keim, dem Kunsthistoriker Bayersdorfer,
A. v. Perfall, später Wilhelm Weigand.
Persönliche Einsamkeit ist immer nur Gleichnis der geschichtlichen Einsamkeit
einer Anschauungsweise, hier einer Bildform, welche der Zeit im Grunde
fremd bleiben mußte. Um geschichtliche Herleitung der Kunst eines Menschen
zu ergründen, pflegt man noch immer seine Lehrer zu zitieren. Der junge
Haider, der als Sohn des Leibjägers und Tierzeichners Haider in Gesang und
Klavierspiel unterrichtet wurde und Chorsänger werden sollte, zeichnete aber
schon mit 13 Jahren in charakteristischer Weise. Vom 15. bis zum 19. Lebens-
jahre war Haider an der Akademie. Wenn man fragt, was seine Lehrer Hiltens-

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