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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 11
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Roh, Franz: Karl Haiders Bildform: (zur Landschaftsmalerei seiner Reifezeit)
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0368

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(zeitlos liegen diese Landschaften da) nnd doch kultivierteste Durchformung wie
in edlem Filigran. So im primitiven, geometrischen Gerüst juwelenhafte Zeich-
nung und Farbe, satt und kostbar in einer Stufung beinah des lg. Jahrhunderts,
wenigstens in den besten Bildern. Ebenso im Menschlichen: die Figuren auf
unseren Abbildungen haben das Einfältige der simplen Stände, ohne jeden Bruch
aber zeigen sie zugleich etwas von edelster, fragiler Rasse. Wie man überhaupt
nicht weiß, ob man — immer ein Zeichen hoher Kunst — die Malerei volks-
tümlich oder aristokratisch, kühl und raffiniert nennen soll. So sehr sich die
Figuren ihrer Landschaft zuneigen, sie bleiben immer einsam in ihr: eine in
ihrem Doppelsinn viel tiefere Auffassung, als die vorschnell erweichenden Ein-
heitsgefühle anderer Landschafter jener Zeit gaben. (Bei unseren Abbildungen
z. B. steht die kleine Figur dunkel auf hell, die große trotz allen Zartsinns der
Handlung in unerbittlicher Parallele zum Baumstamm). Aber auch zwischen In-
halt und Form im Bilde bleibt oft eine zarte Spannung, so nahe beieinander
all die trauten Dinge stehen: Die Dinglichkeit wird absichtlich ein bißchen
hart ins umgreifende Schema hineingestuft. Eine viel wahrere, skeptischere
Auffassung vom zartesten, möglichen Frieden in dieser Welt.
Größe der Raumanschauung, bei aller in ihr gewollten, so reizvoll kontrastie-
renden Engstellung, ergibt sich vor allem aus der weiterweisenden Flächenan-
ordnung: durch stete Rückführung auf Bildebene und scharfes Abschneiden an
den Bildrändern. (Bei beiden abgebildeten Figurenbildern sind weiterweisende
Baumformen oben gekappt, beim »Göll« die seitlich weiterweisenden Waldkegel).
Die Wiesen werden merkwürdig vor geführt, der Horizont wird bis in letzte
Fernen getrieben: nicht mit dunstperspektivischer, »optischer« Brechung (mit
der man letzte Fernen nie vermitteln kann, wenn sie nicht nur als vages Ver-
gehen erscheinen sollen), sondern mit »haptischer« Verkürzung, etwa durch
Aufstellen winziger Bäume, ganz hinten neben größere des Mittelgrundes. Auch
der Atmosphäre gegenüber spielt der zarte Dualismus Haiders: man findet oft
die untere Zone der Landschaften luftlos, ausgepumpt, krystallisch, durchsichtig,
ängstlich zeichnerisch ziseliert dastehen, während sich oben in den Wolken dick-
lichere Malerei ansammelt. Eine nur bis zu gewissem Grade naturgemäße
Wirkung, unmerklich zum Bildprinzip erhoben, nach welchem breit und feucht
Gelöstes über den lieblichen Mühseligkeiten dieser Erde schweben soll.
Im ganzen gehört diese Malerei zu derjenigen, damals in die Opposition ge-
drängten Kunst, welche nichts vom menschlichen Plerstellungsprozesse spüren
und genießen lassen will, sondern einer restfreien Objektivierung dient, aus der
der Schaffende, sowie sie erreicht ist, völlig zurücktreten soll. Für alle derartigen
Zonen der Kunstgeschichte ist der große Belobigungsbegriff, den man erstrebt,
nicht »strömende Gefühlswärme«, sondern »vergegenständlichte Anschauungs-
härte«.1
1 Dieser Aufsatz war längst vor Erscheinen der Biographie des Sohnes (Filser-Verlag,
Augsburg 1926) geschrieben und abgegeben. Da der Aufsatz das Phänomen, wie u. a.
auch von dem Biographen selbst versichert wird, aus ganz anderen, gesamtgeschichtlichen
Gesichtspunkten betrachtet, ist seine Veröffentlichung nicht etwa überflüssig geworden.

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