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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 11
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Biermann, Georg: Ein Hauptwerk des Hans von Marées
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0372

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EIN HAUPTWERK DES HANS VON MAREES
VON GEORG BIERMANN
Uns will scheinen, daß der heutigen Vorherrschaft der französischen Kunst des
1 9. Jahrhunderts in dem Moment auf dem Kunstmarkt ein Paroli geboten wird,
wo Amerika beginnt, sich stärker als bisher auch für die Höchstleistungen deut-
scher Malerei im 19. Jahrhundert zu interessieren. Die Kenner wissen nämlich
längst, daß beide Länder zwar Differenziertheit der Rasse auch künstlerisch offen-
baren, daß sie sich aber nach Können und Qualität oft durchaus das Gleich-
gewicht halten. Der Prozeß innerhalb der Sammeltendenzen Amerikas wird
voranschreiten und wenn es einmal gelingen sollte, eine Kollektion von etwa
fünfzig Bildern dieser deutschen Kunst für Amerika zusammenzustellen und hin-
überzubringen, d. h. jener Kunst, die an fünfzig Einzelleistungen die schöpferische
Kraft einer Generation erhärtet, dann würden gewisse Bilder deutscher Pro-
venienz, die bis heute kaum über Europa hinausgekommen sind, auch drüben
rasch zu Ansehen kommen und die amerikanischen Sammler würden bald er-
kennen, daß die Eroberung dieser »terra incognita« mehr als lohnend ist. Aber
es müßten Bilder von jener höchsten Klasse sein, die nicht nur das Eigenleben
ihrer Zeit in sich verschließen, Bilder von der Art des hier reproduzierten Werkes,
auf das diese Zeilen kurz hin weisen möchten.
Bei Carl Nicolai in Berlin nämlich ist eines der seit Jahrzehnten öffentlich
nicht mehr gezeigten Hauptwerke des Hans von Marees zu sehen, eine »Rast
am Waldesrand« von 1865, zwar bei Meier-Graefe völlig unzureichend repro-
duziert, die aber erst kürzlich aus mecklenburgischem Adelsbesitz wieder zugäng-
lich geworden ist. Tschudi hatte sich vergeblich bemüht, das Bild für die Jahr-
hundertausstellung von ] 906 nach Berlin zu bekommen, was man heute nur
bedauern kann, weil diese herrliche, glühende Malerei einen frühen Höhepunkt
im Werk des späteren Deutsch-Römers bezeichnet, der sich hier, noch frei von
antikischer Tradition, gefühlsmäßig auf die Gipfel deutscher Romantik erhebt
und dabei monumental wie malerisch gleich überzeugt. Man muß immer
an die Jahreszahl denken, die dieses Frühwerk des Hans von Marees fixiert.
Der Schüler Steffecks hat hier, zum vielleicht letztenmal, ein unzweideutiges
Bekenntnis an die Tradition deutscher Mal weise abgelegt. Das Bild ist tragischer
Schnittpunkt mitten im Lebenswerk des Künstlers, weil es haarscharf den Mo-
ment erkennen läßt, wo Hans von Marees noch stark und eigenwillig der besten
Überlieferung seiner eigentlichen Herkunft aus deutschem romantischen Blut
erliegt, bevor er dann den Weg ins Klassische beschreitet.
Das Bild ist in München gemalt, die Landschaft weist offenbar auf die nächste
Nachbarschaft der bayrischen Hauptstadt hin. Interessant die Feststellung, wie
hier letztes Nazarenertum des Gefühls bereits zeitgenössisches Kolorit erstrebt.
Malerisch ist dieses Bild in seiner Zeit stärkster Exponent deutscher Kunst, ja
man könnte hier mit Recht sagen, ein Dokument besten europäischen Geistes,
das jeden Maßstab gestattet.

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