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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 15
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Schellenberg, Alfred: Schlesische Textilkunst auf der Ausstellung Breslau-Scheitnig 1927
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0504

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Maria in der Glorie als Hauptmotiv, von denen die eine (Abb. 4) auf dem
Bilde der Heimsuchung die beiden Ungeborenen im Schoße der Mütter sichtbar
werden läßt. Diese Darstellung hat schon in der Plastik des schlesisch-böhmischen
Kunstkreises 100 Jahre früher ihr Analogon1. Neben diesen in Plattstich aus-
geführten Stickereien treten zu Ende des Jahrhunderts jene bekannten Relief-
stickereien auf, unter denen als einer der höchsten Gipfel das herrliche mit far-
bigen Steinen besetzte und mit Perlen übersäte Rückenkreuz des Kanonikus
Helentreuter2 aufragt. Wenn dieses Kunstwerk wirklich auf schlesischem Boden
entstanden ist, so müßten wir in ihm den letzten Ausklang jener aristokratischen
Richtung sehen, die 1 00 Jahre früher ihren Ausdruck in so vielen holdseligen
Frauengestalten der Plastik fand. Am Ende dieser textilen Reliefplastik steht
in Schlesien die nicht mehr im Hochreliefstil, sondern schon stärker in die Fläche
zurückgebildete Kreuzigung der Neuroder Kasel (Abb. 2) aus dem Jahre 1585.
Ein Dezennium später und man überzieht ein Stück flache Pappe oder Perga-
mentstreifen mit Seide oder Leinwand und appliziert den nun sogar bemalten
Christus auf den Stoffgrund.
Werden auch das ganze 17. Jahrhundert hindurch noch Stickereien in Schlesien
ausgeführt — so vor allem auf Antependien mit Wappendarstellungen oder
auf Sargschilden der Zünfte — so liegt doch die große Leistung auf einem
andern Zweige der Textilkunst, auf dem des gestrickten Teppichs. Karl Masner
hat darüber ausführlich gehandelt (s. Anm. oben), so daß hier der Hinweis auf
die Höhepunkte: den Neisser Wappenteppich (1667), die Breslauer Rathaus-
tischdecke (1674) und den farbig und kompositioneil gleich prächtigen Wand-
teppich der Maria-Magdalenen-Kirche mit der Ölbergszene genügen mag. Gegen
1700 tritt dann die Gold- und Silberguipe-Technik allenthalben auf, voran im
Kloster Trebnitz. Eine Fülle herrlicher gestickter Paramente des 18. Jahr-
hunderts befinden sich heute noch im Gebrauch der schlesischen Klöster und
Pfarrkirchen (s. Abb. g). Der sog. Hochbergornat von St. Vincenz in Breslau und das
Pluviale in Landeshut (Kloster Grüßau besitzt noch eine Kasel) bezeichnen die
Gipfel schlesischer (vermutlich Breslauer) Stickkunst des Barock. Ungeiähr
gleichzeitig (175g) ist auch die in verschiedener Hinsicht interessante Camenzer
Marienkasel entstanden, die als eines der ganz wenigen schlesischen Barock-
meßgewänder mit figürlichem Schmuck durch die Verbindung von Stickerei
und Malerei eine Sonderstellung einnimmt. Dargestellt sind die aus einer offenen
Blüte hervor wachsende Maria, das Gnadenbild von Wartha unter einem chi-
nesisch stilisierten Baldachin und die beiden Heiligen Benedikt und Bernard.
Die rosa Farbe ihrer Seitenteile erklärt sich aus der ursprünglichen Verwendung
als Gaudete-Kasel, sie symbolisiert Maria als die die Ankunft des Heilands an-
zeigende Morgenröte des Christentums. Anderthalb Jahrzehnte später ent-
standen dann in Trebnitz wahre Farbwunder an gestickten Paramenten, von
denen mit Ausnahme einer einzigen heute noch in Schweidnitz im Gebrauch
sich befindenden Kasel nur noch etwa ein Dutzend Kelchtücher auf uns ge-
kommen sind.
Zwischen 1760 und 1780 erreicht die schlesische Damastweberei, von Friedrich
dem Großen durch die Ansiedlung sächsischer Damastweber im Riesengebirge
1 Vgl. Ausstellungskatalog: Schles. Malerei u. Plastik des Mittelalters, Breslau 1936 Nr. 16.
2 s. Abb. bei Buchwald a. a. O.

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