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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 18
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Schubring, Paul: Zwei Bilder der Atalante-Sage
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0582

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tragen zum Teil lederne Kappen, die das Haar und die Wangen gegen die
Zweige und Dornen schützen sollen. Als Gegenspiel wird links davon Amors
Fesselung vorgeführt, die, auf Petrarcas Vorlage ruhend, wir ja sehr häufig
auf Truhenbildern und Schachtel-Kupferstichen dargestellt finden. Der liebe
kleine Bursche muß den Bogen hergeben, seine Flügel werden ihm geknickt,
er soll gar gefesselt werden. All das spielt in einer zauberhaften Hügel- und
Waldlandschaft. Junges Grün lacht auf den Kronen der Bäume, saftige Wiesen
wölben sich, selig laufen die Hunde, zwitschern die Vögel — sind wir in Ma-
teldas Hain? Auf den Höhen liegt die Burg, in der Atalante bei Schoeneus und
Klymene aufwuchs, links eine echte Landvilla im Geschmack Guarinos, der ja
darüber geschrieben hat. In der Ferne aber blauen die stolzen Höhenzüge der
Alpen, wie sie jeder kennt, der über den Brenner fährt und sich nun der Tief-
ebene nähert.
Das zweite Bild glaube ich landschaftlicher noch präziser lokalisieren zu können.
Hier sind wir am Gardasee, über den die Nachen an steilen Felsen vorbei-
fahren, etwa bei Sirmione an der Grotte Catulls. Sonst dieselben Höhen,
Bäume und Burgen. Diesmal kommt Atalante von links, nicht mehr im dunk-
len Kostüm der Jägerin, sondern im hellroten Kleid der Braut. Sie führt nicht
den Eher, sondern das Einhorn und ist im Begriff, dies treu gehüteteTier der
Göttin Diana zurückzugeben. Aber Schrecken befällt sie; wie wird die strenge
Göttin solchen Bruch des Jugendschwures aufnehmen? Zumal Atalantes Ge-
fährtinnen stolz und ehrenfest das Wiesel-Banner schwingen? Diana nimmt
eben auf dem kleinen Hügel rechts Platz; sie reicht einer Dienerin ihren Schild,
eine zweite will ihr den vogelgeschmückten Helm abnehmen, eine dritte reicht
ihr das Keuschheitszepter mit dem Wiesel. Hier mischt der Maler Symbole
der Athena mit denen Dianas; das kommt bei Cassoni-Bildern häufig vor;
beide Göttinnen sind ja Patroninnen der Jungfräulichkeit. Mit Spannung
wartet man auf Dianas erstes Wort. Der Dichtermaler will ja zeigen, wie
schwer der Jägerin der Abschied von froh durchwanderter Jugend wird. Frau
Venus hat gesiegt; aber schwer ist der Abschied von Mädchenstolz und Jagdlust.
Dieser Gedanke ist ja der Renaissancemalerei nicht fremd. Über dieAtalante-
Bilder in Prag schrieb ich vor vierzehn Jahren: »Die beiden Szenen schildern
die mutige Mädchenjugend und den Abschied von der schönen Wildheit am
Tage der Hochzeit; neue andere Freuden bieten sich an. Die Wehmut solchen
Abschieds wird aber nicht verschwiegen« (Gassoni, S. 37 t). Ein noch viel be-
kannteres Bild lebt von dein gleichen zwiespältigen Gefühl, Botticellis Pri-
mavera. Die junge gesegnete Frau, die in der Mitte weiter zurück im Hain
steht und vorsichtig schreitet, um den »ventre pregnante« zu schonen, sieht
in dem von Zephyr gehaschten Wildfang den eignen Jubel früher unbeschwerter
Kindertage und ebenso in den drei Grazien jene Schönen, die »selig sind in
sich selbst«. Gewiß, der Mutterstand ist der höchste; aber ohne Wehmut kann
man nicht an die Tage sorgloser Wildheit denken.
Die Beschreibung der Bilder hat schon mehrfach darauf hingedeutet, wo wir
den Maler dieser Truhentafeln zu suchen haben: in Verona, um 1480. Sehr
nahe steht unserer Tafel die sogenannte »Verlobung« in Berlin, die dort
als »ferraresisch« bezeichnet ist. Schon Berenson hat den Namen Michele de
Verona vor geschlagen; ich bin ihm in den Cassoni gefolgt (S. 374) und habe
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