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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 18
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Doesburg, Theo van: Über das Verhältnis von malerischer und architektonischer Gestaltung: (mit einer Einführung zur Stijlbewegung, Holland)
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0593

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Abb. 7. Grundriß zu van Eesterens Haus
am Fluß. 1923
werden. Ich selbst habe während meiner Zusammenarbeit mit dem Architekten
C. van Eesteren (1923) versucht, die Farbe als Verstärkungsmittel der archi-
tektonischen Raumgestaltung zu verwenden. Hierbei wurde von jeder »künst-
lerisch kompositorischen Tendenz« abgesehen. Die den Raum gliedernden
Flächen wurden je nach ihrer Lage im Raum durch Farbe betont. Höhe,
Tiefe und Breite wurden durch rot, blau und gelb hervorgehoben, die Massen
dagegen wurden grau, schwarz oder weiß gestrichen. Die Dimensionen des
Raumes kamen lebhaft zur Wirkung. Auf diese Weise war es möglich, die
Farbe als Architekturelement zu benützen, ohne daß eine ästhetische Wirkung
vorausgesetzt war.
Wir kommen damit zur dritten Anwendungsmöglichkeit der Farbe im Raum,
zur »Gestaltenden«. Seit Beginn der Stijlbewegung haben wir diese Frage prak-
tisch und theoretisch zu lösen versucht. Nachdem uns das Bild in der Malerei
nicht mehr eine in sich abgeschlossene individuelle Ausdrucksform unserer
Privaterlebnisse war, kam die Malerei mit dem Raum, und was noch wichtiger
war, mit dem Menschen in absolute Berührung. Es entstand eine Beziehung
von Farbe zum Raum und von Farbe zum Menschen. Durch diese Beziehung
vom »Bewegenden Mensch« zum Raum ergab sich eine neue Empfindung in
der Architektur: die Empfindung der Zeit nämlich.
Die Fährte des Menschen im Raum (von links nach rechts, von oben nach
unten, von vorn nach hinten) wurde für die Malerei in der Architektur von
prinzipieller Bedeutung. Wurde der Mensch durch das statische Bild an einen
bestimmten Punkt gefesselt, hat die dekorative Malerei ihn schon für einen
kinetischen »linearen« Ablauf im Raum empfindlich gemacht, so will ihm die
gestaltende Raumzeitmalerei ermöglichen, den ganzen Inhalt des Raumes
zu empfinden (malerisch, optisch-ästhetisch). Diese Empfindung war ebenso
neu wie die erste Empfindung einer Flugzeugfahrt im freien Raum.
Es handelte sich bei dieser Malerei nicht darum, den Menschen um bemalte
Wandflächen herumzuführen, damit er die malerische Entwicklung des Rau-
mes beobachten könnte, sondern: um eine zusammen wirkende synoptische
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