Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927
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Heft 20
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Uhr, zu einer Kamingarnitur gehörig. Goldbronze mit Porzellan-
blumen und einer Meißener Kändlergruppe
Versteigerung der Sammlung Frau Anna Goldschniidt-Wien am 1. November bei Rud. Lepke in Berlin
von der Krankheit unabhängig. Sie wirkt aber
auf das Tempo und den Formausdruck der
schöpferischen Leistung ein; vehement rasche
Wandlungen im Werke, die sonst unerklärlich
wären, treten ein. Eine ungeheure Auf-
schwungsfähigkeit bezeichnet fast immer die
Vorstadien, Zerstörung oder Verödung das
Ende. Jaspers sagt: „Die kontinuierliche,
langatmige Entfaltung des Genies schafft sich
neue Welten und wächst darin. Auch der
kranke Genius schafft sich eine neue Welt und
zerstört sich darin. '1 Schizophrenie ist nicht Ur-
sache für das Schaffen des Werkes, aber „in
der dunklen, rätselhaften Tiefe physiologisch-
psychologischer Zusammenhänge ist der schi-
zophrene Prozeß ein Faktor, ohne daß dar-
um dem Werk selbst ein schizophrener Cha-
rakter zukäme“.
Im Vergleich der Pathographien Strindbergs,
Van Goghs, Swendeborgs und Hölderlins er-
gibt sich, daß die ursprünglich geistige Ar-
tung beibehalten wird. In dem Aufschwung
und in den dämonischen Gesichtern der Schi-
zophrenie bleibt doch bei Strindberg die ei-
gentlich weltanschauliche Substanz: Skepsis
und Spiel. Bei Hölderlin und Van Gogh glaubt
Jaspers dagegen, daß die Steigerung der schöp-
ferischen Intensität im Anfangsstadium der
Krankheit nicht allein durch Wegfall der Hem-
mungen zu erklären sei, sondern er findet die
Hypothese, daß die größte Tiefe des meta-
physischen Erlebens vielleicht da gegeben sei,
wo die Seele so weit aufgelockert werde, daß
sie schließlich als zerstört zurückbleibe.
Sascha Schwabacher