Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0735
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Heft 22
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Emmy Roeder Kind. Zeichnung
Aus der Ausstellung der Galerie Ferdinand Möller, Berlin
das Material aus dem Wesen des Su jets. Da ist
ein junges Mädchen: Es ist ganz glatt model-
liert wie eine Bronzestatue, die schlanken, fe-
sten Glieder haben nichts von ihrer Eigen-
schaft eingebüßt durch den Charakter des Hol-
zes. Da ist eine dicke Frau. Sie ist rund, mas-
sig, ungeheuer kubisch empfunden, schwer la-
stend, man denkt unwillkürlich an Stein. Da
ist ein Knabe, dünn und knochig, noch ist
ganz wenig Fleisch auf diesen spitzen Glie-
dern. Hier paßt das Objekt besser zu seiner
Darstellung in Holz. Aber am geeignetsten sind
docli die alten Männer. In ihre vom Leben
zerfressenen Leibern bohrt der Bildhauer tiefe
Löcher ein, reißt die Flächen auf und schnit-
zelt an ihren faltigen Gesichtszügen und ge-
krampften Fingern mit Wollust herum. Wie
wenig Voll auf sein Material Rücksicht nimmt,
zeigen schon die mannigfachen Ausflickungen
seiner llolzblöcke. Wie in der Barockzeit wird
überall rücksichtslos geleimt. Wo der Stamm
nicht ausreicht, wird kurzerhand etwas ange-
setzt. So geht der Holzcharakter verloren, er
wird nirgends künstlerisch verwertet, wie dies
bei Barlach der Fall ist.
Was die Angelegenheit Voll aber heraushebt
über den individuellen Fall eines recht talent-
vollen Plastikers, ist die Tatsache, daß hier zum
ersten Male von Skulpturen der „Neuen
Sachlichkeit“ gesprochen werden kann.
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