Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927
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Heft 22
DOI article:Sammler und Markt
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Fayence-Kännchen. Delft, um 1700
Schüssel. Osmanische Halbfayence / Kanne. Halbfayence mit Tulpenornament
Klein-Wien, 17. Jahrh. Sämtliche aus der Sammlung von Lanna
Nachlaß Rudolph Philipp Goldschmidt, Berlin / Versteigerung am 22. und 25. November
bei Paul Cassirer, Berlin
essante Stück wieder einer breiteren Öffent-
lichkeit zur Kenntnis bringen. Neben einer
stattlichen Reihe charaktervoller Einzelbild-
werke, einem reichen Bestände an Gemälden,
rheinischem Steinzeug und Silber sieht man
auch einige zum Teil noch komplette Altar-
schreine. Über den hier abgebildeten St.-An-
nen-Altar seien einige Worte gesagt: Das
Kunstwerk stammt aus der Kirche des Klo-
sters Altenberg a. d. Lahn. In sechs an-
mutig gefüllten Hochrelief tafeln ist mit lie-
benswürdiger Erzählerkunst die Geschichte der
Hl. A nna von ihrer Hochzeit mit Joachim bis
zum Tempelgang ihrer Tochter Maria darge-
stellt. Auf der Darmstädter Ausstellung „Alte
Kunst am Mittelrhein“ vertrat der Altar eine
äußerst merkwürdige Spielart der nordöstlich-
sten Erzeugnisse des mittelrheinischen Kunst-
gebietes. Er ging dort unter dem Namen Lud-
wig Juppe, dem Marburger Hauptmeister um
die Wende des 15. Jahrhunderts. Juppe ist in
der Monographie Hans Neubers über diesen
Künstler (Marburg a. d. Lahn, igi5) mit ein-
leuchtenden Gründen als Glied der Calcarer
Bildhauerschule festgestellt. Die charakter-
liche Umfärbung und die Einbindung in mit-
telrheinisches Gefühlsmilieu, die der Calcarer
Slil schon in einigen der späteren Werke Lud-
wig Juppes erlebte, ist in dem Altenberger
Werk, das sicher einem Meister angehört, der
Juppe eng verbunden war, noch weiter und
zur Vollendung geführt. Die Aufteilung des
Schreinkorpus in mehrere kleine, mitvielfigu-
rigen Reliefdarstellungen geschmückte Felder,
von denen die mittleren erhöht sind, ist im
Prinzip noch die des niederrheinischen Altar-
typs. Auch in der Raumgestaltung der einzel-
nen Felder, der Zusammenstellung der Figu-
ren, in ihrer Tracht und ihrem Typus erweist
sich die Nähe Ludwig Juppes aufs deutlichste.
Die große Vereinfachung aber, die der kom-
plizierte Juppesche Kompositionsapparat er-
fährt, die wärmere Gefühlshaltung der Figu-
ren, die weichere, im einzelnen mehr male-
rische Formengebung, deutlich sowohl in der
Gewandbehandlung wie auch besonders in
dem breit aufgelösten dekorativen Ranken-
werk, das die Felder abschließt, offenbart sich
eine Versüdlichung, die als persönliches Werk
eines bodenständig mittelrheinischen Meisters
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