zu einer edeln und volltönenden Klassik ge-
langen können, er zog eine stürmisch wallende
Problematik vor, um hineinzustreben in die
Dschungeln des Seelischen.
Wenn man halb hingeworfenen, mißmutig in
der Anlage sdion wieder abgebrodienen Zeidi-
nungen des Ateliers — gelegentlidi sind es
geradezu sdion grolle Kartons — glauben darf,
so muh ihn Mare es, der ja auf die Bildhauer
viel mädifiger nodi gewirkt hat als auf die
Maler, aufs eindringlidisfe besdiäftigt haben.
Sdion in der Wendung zu Maillol äußert sidi
das Bedürfnis nadi Festlegung struktiver Form-
geseßlidikeif. Marees, das, was man bei ihm
im Besonderen „das Problem der Form“ zu
nennen pflegt, regt ihn an zum Nadigriibeln
und Nadiexperimenfieren. Mit einer eifervollen
Hartnäckigkeit, die ganz im Sinne des Dcutsdi-
Römcrs ist, madit er sidi daran, Flädien zu
bauen aus Leibern, die keine andere als tektonische
Funktion haben. Audi hier ist es ein Stehen
und Hocken, ein Ruhen und sich Strecken der
Gestalten, ein Festlegen und Ausweiten des
Raumes durdi eine Abfolge von Figuren, deren
Beziehung eben zu suchen ist in der Struktur
einer Idealräumlidikeit, die sie bestimmen. Ein-
fachste Geste wird gesudit, der Körper mit
Vorliebe in Frontal- oder Profilansicht gegeben,
Ausladen der Gliedmaßen mit Absicht fast
vermieden, Arme und Beine drängen sidi an
den Körper, sodaß eine geschlossene Silhouette
entsteht, und es kommt fast nie zur Ubcr-
schneidung dieser Silhouetten. Die Farbe ist
auf ein paar leise Akkorde beschränkt. Das
„vegetative Sein“, dem Marees nadistrebt, ist
viefleidit durdi einen kaum merkbaren Einschlag
verhaltener Lyrik vermensdilidit. Der große
«Frauenfries», der sidi jeßf bei Cassircr be-
findet, oder das Bild der Magdeburger Galerie:
«Die drei Frauen», wären bezeichnende Beispiele
dafür. Marees wird zu einem bedeutsamen,
zur strengsten Selbstzudit zwingenden Lehr-
meister. Er hilft ihm die Kräfte immer mehr
zu konzentrieren auf das Sfruktive der Form,
sich vollständig befreien von den Zufälligkeiten
einer nur äußeren Ansdiauung. Lehmbruck findet
in Marees die Grundlagen zu einem höheren,
auf das Absolute geriditeten Stilwollen. Gerade
er, dessen Sensibilität und zartes, ungemein
erregbares Empfindungsvermögen so sehr allem
Nazarener- und auch allem Deutsch-Römertum
entgegengesetzt ist, empfängt von da aus ent-
schiedenste Bestätigung für sein unablässiges
Bemühen um Strenge und Gesdilossenheit der
Form. Was die Lehre und das Vorbild des
Marees ihm eigentlidi bedeuten, ist keineswegs
nur zu ermessen aus diesen Flädienkompositionen,
die von dieser ersten Pariser Zeit an kaum ein-
mal ausseßen, die Klärung, zu der sie verhelfen,
wird — weniger augenfällig und darum nicht
so handgreiflidi nadiweisbar — für das plasfisdie
Schaffen fördernd und eminent fruditbar.
Lehmbruck geht nicht so völlig auf in diesen
Ideengängen, daß er nicht nodi Blick hätte für
die Kunst, die wie eine Offenbarung die ur-
eigensten Instinkte in ihm aufrühren und alle
seine Sdiaffenskräfte gleidisam elektrisieren sollte.
Idi meine die Kunst Minnes, die in ihrem
transzendenten Begehren die Gebärde gefunden
hafte, um wieder Unsagbares, seelisch Gleidmis-
haftes auszusagen. Minne hat in der Tat es
vermocht, den Stein wieder „sprcdiend“ zu
machen, den Steinen hat er eine Zunge gegeben,
zu klagen und zu künden, was Mensdien-
herzen zutiefst erregt. Er ist eine träumende
Poetenseele, ein Gefäß voll Demut und Ergriffen-
heit, einer, der die Welt in sidi überwunden hat;
aus der Weite dieses Mensdienfums erblühten
ihm Visionen von herber Großartigkeit. Der
Jüngling, der unberührte, knospenhaft nodi in
der Entfaltung steckende Mensch, ist der Typ
dieser sehr keuschen Kunst. Minne ist Ekstatiker,
dodi nicht einer von jenen, die explosiv sidi
nadi außen entladen: seine Ekstasen sdilagen
in ihn hinein, stilles Feuer, bringen sie ihn zum
Aufglühen in einer zehrenden Glut, die um so
mächtiger ist, als sie aus der Empfindung alles
wegsengt, was nur Sdiein und nidif Wesen ist.
Zieht man Minne in den Gesamtverlauf der
Entwickelung — es ist wirklidi ein Hineinziehen,
denn Minnes Schicksal war es, sowohl geistig
als soziologisdi eine von ganz Wenigen ergriffene
abseitige Ersdicinung zu bleiben —, so steht
er da als einer jener seltenen Geister, die inmitten
eines ganz anders geriditeten Kunsfstrebens
Möglidikeiten eines neuen Ausdrucksfiles ent-
wickelten. Sein Weg ist der der Abstraktion.
Er bereitet die formalen Mittel vor, die es wieder
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langen können, er zog eine stürmisch wallende
Problematik vor, um hineinzustreben in die
Dschungeln des Seelischen.
Wenn man halb hingeworfenen, mißmutig in
der Anlage sdion wieder abgebrodienen Zeidi-
nungen des Ateliers — gelegentlidi sind es
geradezu sdion grolle Kartons — glauben darf,
so muh ihn Mare es, der ja auf die Bildhauer
viel mädifiger nodi gewirkt hat als auf die
Maler, aufs eindringlidisfe besdiäftigt haben.
Sdion in der Wendung zu Maillol äußert sidi
das Bedürfnis nadi Festlegung struktiver Form-
geseßlidikeif. Marees, das, was man bei ihm
im Besonderen „das Problem der Form“ zu
nennen pflegt, regt ihn an zum Nadigriibeln
und Nadiexperimenfieren. Mit einer eifervollen
Hartnäckigkeit, die ganz im Sinne des Dcutsdi-
Römcrs ist, madit er sidi daran, Flädien zu
bauen aus Leibern, die keine andere als tektonische
Funktion haben. Audi hier ist es ein Stehen
und Hocken, ein Ruhen und sich Strecken der
Gestalten, ein Festlegen und Ausweiten des
Raumes durdi eine Abfolge von Figuren, deren
Beziehung eben zu suchen ist in der Struktur
einer Idealräumlidikeit, die sie bestimmen. Ein-
fachste Geste wird gesudit, der Körper mit
Vorliebe in Frontal- oder Profilansicht gegeben,
Ausladen der Gliedmaßen mit Absicht fast
vermieden, Arme und Beine drängen sidi an
den Körper, sodaß eine geschlossene Silhouette
entsteht, und es kommt fast nie zur Ubcr-
schneidung dieser Silhouetten. Die Farbe ist
auf ein paar leise Akkorde beschränkt. Das
„vegetative Sein“, dem Marees nadistrebt, ist
viefleidit durdi einen kaum merkbaren Einschlag
verhaltener Lyrik vermensdilidit. Der große
«Frauenfries», der sidi jeßf bei Cassircr be-
findet, oder das Bild der Magdeburger Galerie:
«Die drei Frauen», wären bezeichnende Beispiele
dafür. Marees wird zu einem bedeutsamen,
zur strengsten Selbstzudit zwingenden Lehr-
meister. Er hilft ihm die Kräfte immer mehr
zu konzentrieren auf das Sfruktive der Form,
sich vollständig befreien von den Zufälligkeiten
einer nur äußeren Ansdiauung. Lehmbruck findet
in Marees die Grundlagen zu einem höheren,
auf das Absolute geriditeten Stilwollen. Gerade
er, dessen Sensibilität und zartes, ungemein
erregbares Empfindungsvermögen so sehr allem
Nazarener- und auch allem Deutsch-Römertum
entgegengesetzt ist, empfängt von da aus ent-
schiedenste Bestätigung für sein unablässiges
Bemühen um Strenge und Gesdilossenheit der
Form. Was die Lehre und das Vorbild des
Marees ihm eigentlidi bedeuten, ist keineswegs
nur zu ermessen aus diesen Flädienkompositionen,
die von dieser ersten Pariser Zeit an kaum ein-
mal ausseßen, die Klärung, zu der sie verhelfen,
wird — weniger augenfällig und darum nicht
so handgreiflidi nadiweisbar — für das plasfisdie
Schaffen fördernd und eminent fruditbar.
Lehmbruck geht nicht so völlig auf in diesen
Ideengängen, daß er nicht nodi Blick hätte für
die Kunst, die wie eine Offenbarung die ur-
eigensten Instinkte in ihm aufrühren und alle
seine Sdiaffenskräfte gleidisam elektrisieren sollte.
Idi meine die Kunst Minnes, die in ihrem
transzendenten Begehren die Gebärde gefunden
hafte, um wieder Unsagbares, seelisch Gleidmis-
haftes auszusagen. Minne hat in der Tat es
vermocht, den Stein wieder „sprcdiend“ zu
machen, den Steinen hat er eine Zunge gegeben,
zu klagen und zu künden, was Mensdien-
herzen zutiefst erregt. Er ist eine träumende
Poetenseele, ein Gefäß voll Demut und Ergriffen-
heit, einer, der die Welt in sidi überwunden hat;
aus der Weite dieses Mensdienfums erblühten
ihm Visionen von herber Großartigkeit. Der
Jüngling, der unberührte, knospenhaft nodi in
der Entfaltung steckende Mensch, ist der Typ
dieser sehr keuschen Kunst. Minne ist Ekstatiker,
dodi nicht einer von jenen, die explosiv sidi
nadi außen entladen: seine Ekstasen sdilagen
in ihn hinein, stilles Feuer, bringen sie ihn zum
Aufglühen in einer zehrenden Glut, die um so
mächtiger ist, als sie aus der Empfindung alles
wegsengt, was nur Sdiein und nidif Wesen ist.
Zieht man Minne in den Gesamtverlauf der
Entwickelung — es ist wirklidi ein Hineinziehen,
denn Minnes Schicksal war es, sowohl geistig
als soziologisdi eine von ganz Wenigen ergriffene
abseitige Ersdicinung zu bleiben —, so steht
er da als einer jener seltenen Geister, die inmitten
eines ganz anders geriditeten Kunsfstrebens
Möglidikeiten eines neuen Ausdrucksfiles ent-
wickelten. Sein Weg ist der der Abstraktion.
Er bereitet die formalen Mittel vor, die es wieder
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