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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Oktober-Heft
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Schmidt, Leopold: Die Zukunft der Sinfonie
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0082

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Dichtung — und damit auch ihr Formenreichtum — Bschöpft zu sein. Soll aber darum das
sinfonische Schaffen überhaupt sein Ende erreichen, die Sinfonie als überlebte Kunstform nur
nodi einen geschichtlichen Wert haben? Die bevorzugte Stellung, die sie gerade im heutigen
Konzertleben geniest, spridit dagegen; und wer in der reinen Orchesferdidifung eine der elemen-
tarsten und herrlichsten Emanationen der Tonkunst erblickt, wird den Glauben an ihre stete
Verjüngung oder Wiedergeburt nicht aufgeben wollen. Wie aber wird die Sinfonik der Zukunft
beschaffen sein ? Nidit jede Zeit ist der Entwicklung gleidr günstig gewesen, und es ist sehr wohl
möglich, daß zunädist eine kürzere oder längere Pause eintrift, während der die schöpferische
Phantasie sidr vorwiegend auf anderen Gebieten betätigt.
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*
Von der zukünftigen Riditung und den mutmaßlichen Zielen einer Kunst wird man sich am
ehesten ein Bild madien können, wenn man rückschauend den Weg verfolgt, den sie durdrlaufen hat.
Die Sudre nadr den Anfängen einer sinfonisdien Literatur führt auf die venezianisdie Oper
des 17. Jahrhunderts. Hier finden sich zuerst orchesterähnlidie Gruppierungen von Begleif-
instrumenfen und kleine selbständige Instrumentalsäße, die als Einleitungen (Infraden) und
Zwischenmusiken dienten. Die Oper, die ja auch den. Tanz in sich aufnahm, war also von
außerordentlicher Bedeutung für die Entwicklung der Instrumentalmusik. Die Kunsfmusik . des
Mittelalters war bekanntlich wie die des Altertums ausschließlich vokal, und erst spät, nadr dem
Aufblühen des Instrumentenbaus, konnte sich allnrählidi eine kunstmäßige Instrumentalmusik
entwidceln. Ihre ersten selbständigen Regungen in der Oper waren freilidr recht bescheidene
Ansäße; immerhin boten namentlich die szenischen Zwischensäße (Aufzüge, Kampfhandlungen,
Gewitter und Seestürme) dem Komponisten bereits Gelegenheit zu musikalischer Charakteristik.
Ihre eigene, von der Vokalmusik unabhängige Formensprache bildete sich die jüngere Sdiwesferkunsf
dann im Laufe der folgenden Jahrhunderte. Das Wort „Sinfonie“ (bei den Griechen so viel
wie „Konsonanz“ bedeutend, also ursprünglich ein Begriff der Harmonielehre) wurde anfangs
unterschiedslos für jedes mehrstimmige Stück, gleichviel ob instrumentaler oder vokaler Natur,
angewendet. Neben dem Riccarcar, der Canzone, der Sonate bezeidmef es dann den kunstloseren
Saß (Note gegen Note). Allmählidr erst nimmt es die Instrumentalmusik für sich in Anspruch,
im besonderen die Oper und das Oratorium, deren Einleitungen (Ouvertüren) noch bis ausgangs
des 18. Jahrhunderts „Sinfonien“ heißen. Inzwischen aber hatte sidr auf dem Wege über die
Tanzsuiten und das wichtige Bindeglied der Triosonafen das herausgebildet, was wir heute den
sinfonisdien Stil nönnen. Mit dem Fortfall endlidi des Confinuo (Cembolo) und der Gewohnheit,
die Streicher mehrfadr zu beseßen, entwickelte sich in Serenade und Sinfonie der eigentlidre,
selbständige Orchesterstil audr außerhalb des vor allem von Scarlatti und der Neapolitanisdren
Sdrule, in Frankreich von Lully organisierten Opernorchesters.
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts etwa steht die Form der Sinfonie fest: erster Saß
(Sonatenform), liedmäßiger langsamer Teil, Menuett (seit Beethoven meist durdi das Sdrerzo erseßt),
Finale. Die entscheidende innere Wandlung aber vollzog sidr innerhalb der Mannheimer Komponisten-
schule (Stanriß, Richter, FÜß, Cannabich), die Vorläuferin des Wiener Klassikerfums. Hier entwickelte
sidr durch die Aufstellung kontrastierender Themen und die Ablösung der fugierten durdi die freie
thematische Arbeit der sogenannte Durchführungsteil und mit ihm das grundlegende Stilprinzip
aller künftigen Sinfonik. Seif 1760 kann man eine Massenproduktion fesfstellen, ein Engros-
komponieren von Sinfonien, die immer gleidi zu mehreren in einem opus vereinigt ersdiienen.
Mit Haydn übernimmt endgültig Wien die Führung,
In jener Frühzeit hafte die Sinfonie noch nicht ihren späteren seriösen Charakter. Sie wollte
nidifs sein als ein gefälliger Unterhaltungsstoff für die gebildeten Laienkreise, die damals weif

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