Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0193
DOI Heft:
November- Dezember-Heft
DOI Artikel:Kahnweiler, Daniel-Henry: Das Wesen der Bildhauerei
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verschiedenen Helligkeitsgrad seiner Farben, durch „Helldunkel", sobald er dem Beschauer eine
Wiedergabe der „wirklichen" Körperwelt liefern will, denn das wirkliche Licht madit einfach das
Gemälde sichtbar als Fläche, ohne ihm aber dreidimensionale Körperlichkeit zu verleihen. Es
sei denn, er verzichte völlig auf scheinbare Körperlichkeit des Dargestellten zu Gunsten von
Flachbildern, wie die ägyptische, die byzantinische Malerei um das 9. Jahrhundert usw.
Hier hätten wir eine scharfe Scheidung zwischen Bildhauerei und Malerei, die der sichtbaren,
stofflichen Eigenheit beider Künste zu entsprechen scheint. Um sie zu bestimmen, haben wir die
Mittel untersucht, die beide Künste anwenden, um zu ihrem Zwecke zu gelangen, zur „Dar-
stellung". Aber dürfen wir denn den Mitteln eine so grol?e Widrtigkeit beimessen, dal? wir sie
als Grundlage für diese Begrenzung anset?cn? Was uns hier besonders stutzig machen mul?, ist
das Relief. Genau genommen, zeigt uns diese Kunstform eine Flädre, auf der durch gewisse
Erhöhungen das Lidrt zur Objektivation gezwungen wird. Diese P'läche mit Erhöhungen ist wiederum
bestimmt, auf einer Fläche gesehen zu werden, mag sie nun schon in dieser befestigt, oder klein,
tragbar sein. Das Relief, dürfen wir sagen, bedient sidr der Mittel der Bildhauerei, zu seinem
Ziele, das dem der Malerei sich nähert. Von der Rundplastik trennt es sich streng. Wir wollen
das deutlich machen, indem wir das Relief dreiseitig, die Rundplastik aber vierseitig nennen.
Was damit gemeint ist, wird jedermann klar sein. Wir denken an den Beschauer und stellen fest,
dal? er das in die Mauer gefügte Relief nur von drei Seiten betrachten kann — von vorn und
von beiden Seiten —, die Rundplastik aber auch von hinten. Mit andern Worten: nur die Rund-
plastik besitzt das Merkmal der wahren Dreidimensionalität, des Kubischen, das allen Körpern im
Georges Minne?
„Der Redner“
Marmor,
Folkwang-Museum, Hagen.
147
Wiedergabe der „wirklichen" Körperwelt liefern will, denn das wirkliche Licht madit einfach das
Gemälde sichtbar als Fläche, ohne ihm aber dreidimensionale Körperlichkeit zu verleihen. Es
sei denn, er verzichte völlig auf scheinbare Körperlichkeit des Dargestellten zu Gunsten von
Flachbildern, wie die ägyptische, die byzantinische Malerei um das 9. Jahrhundert usw.
Hier hätten wir eine scharfe Scheidung zwischen Bildhauerei und Malerei, die der sichtbaren,
stofflichen Eigenheit beider Künste zu entsprechen scheint. Um sie zu bestimmen, haben wir die
Mittel untersucht, die beide Künste anwenden, um zu ihrem Zwecke zu gelangen, zur „Dar-
stellung". Aber dürfen wir denn den Mitteln eine so grol?e Widrtigkeit beimessen, dal? wir sie
als Grundlage für diese Begrenzung anset?cn? Was uns hier besonders stutzig machen mul?, ist
das Relief. Genau genommen, zeigt uns diese Kunstform eine Flädre, auf der durch gewisse
Erhöhungen das Lidrt zur Objektivation gezwungen wird. Diese P'läche mit Erhöhungen ist wiederum
bestimmt, auf einer Fläche gesehen zu werden, mag sie nun schon in dieser befestigt, oder klein,
tragbar sein. Das Relief, dürfen wir sagen, bedient sidr der Mittel der Bildhauerei, zu seinem
Ziele, das dem der Malerei sich nähert. Von der Rundplastik trennt es sich streng. Wir wollen
das deutlich machen, indem wir das Relief dreiseitig, die Rundplastik aber vierseitig nennen.
Was damit gemeint ist, wird jedermann klar sein. Wir denken an den Beschauer und stellen fest,
dal? er das in die Mauer gefügte Relief nur von drei Seiten betrachten kann — von vorn und
von beiden Seiten —, die Rundplastik aber auch von hinten. Mit andern Worten: nur die Rund-
plastik besitzt das Merkmal der wahren Dreidimensionalität, des Kubischen, das allen Körpern im
Georges Minne?
„Der Redner“
Marmor,
Folkwang-Museum, Hagen.
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